Als das Urteil gesprochen ist und die Beamten Freddy Nock (55) in Gewahrsam nehmen, schüttelt er mit dem Kopf. Der Hochseilartist kann nicht fassen, was gerade passiert. Er lächelt ungläubig. Aber nur kurz. Dann senkt Nock den Kopf und verlässt mit den Polizisten den Saal. Der Akrobat wandert in den Knast. 30 Monate teilbedingt – davon muss er zehn Monate hinter Gitter. Schuldig gesprochen: wegen der versuchten vorsätzlichen Tötung an seiner Noch-Ehefrau.
Am Morgen sitzt Ximena Nock (44) aufgelöst im Bezirksgericht Zofingen AG. Ihre Tränen kann sie nicht zurückhalten, als sie vom Martyrium durch Freddy Nock berichtet, wie er sie über Jahre misshandelte. Sie immer wieder schlägt und würgt. «Ich hatte damals Todesangst», sagt sie mit zittriger Stimme.
Einst hatte sich das Paar in schwindelerregender Höhe ewige Liebe versprochen. Das war einmal. Die Anklagepunkte sind heftig: versuchte vorsätzliche Tötung, mehrfache Gefährdung des Lebens und mehrfache versuchte schwere Körperverletzung. Für die versuchte Tötung wird er schliesslich verurteilt.
Ungläubige Blicke bei der Urteilsverkündung
Bei der Urteilsverkündung schaut der Aargauer ungläubig zu seinem Anwalt. Dabei hatte der Verteidiger sogar einen Freispruch gefordert, die Ehe als «eine wilde Beziehung» betitelt: «Auf einen leidenschaftlichen Streit folgte eine leidenschaftliche Versöhnung.» Sogar eine Entschädigung sollte geltend gemacht werden, weil Nock durch seine Zeit in U-Haft lukrative Aufträge durch die Lappen gingen. Nun dürfte er lange Zeit kein Engagement mehr finden.
Beim Prozess geht die gebürtige Chilenin ihrem Noch-Ehemann völlig aus dem Weg. Während sie vom Gericht befragt wird, muss er in einen Nebenraum verschwinden. Das Drama beginnt im Mai 2008. Damals sei der erste Streit eskaliert. Der Akrobat geht auf Ximena los, packt sie am Hals und drückt zu. Fest, immer fester, mehrmals. Die Chilenin schluchzt: «Ich habe ihn so geliebt und einfach nicht verstanden, warum er mir das antut.» Sie sei lange bei ihm geblieben, in der Hoffnung, er würde sich ändern.
Doch: Es wird schlimmer. Das bekommt sie fünf Jahre – am 1. März 2013 – zu spüren. Nach der Verleihung der Swiss Awards in Zürich eskaliert erneut ein Streit. Dieses Mal im Zimmer des Holiday Inn. Freddy Nock verliert die Nerven, packt seine Frau und schlägt ihren Kopf laut Anklageschrift «drei Mal heftig gegen die Wand».
Brutale Attacke im Hotelzimmer
Danach wirft er sie aufs Bett, würgt sie zuerst mit seinen Händen, drückt ihr dann ein Kissen aufs Gesicht. Ximena Nock erinnert sich: «Da wollte er mich umbringen. Er war unberechenbar. In diesem Moment habe ich ihm alles zugetraut.» Erst als sie sich tot stellt, lässt er von ihr ab.
Während der Würge- und Prügel-Attacke liegt ihre Tochter im Zimmer nebenan, bekommt alles mit. «Sie hörte quälende Schreie aus dem Zimmer, fürchtete, dass ihre Mutter totgeschlagen werde», ergänzt der Staatsanwalt. Danach schlafen die Kinder mit einem Messer oder einer Schere unter dem Kopfkissen. Um notfalls eingreifen zu können.
Zu den Vorwürfen will sich Freddy Nock den ganzen Tag nicht äussern. Kein Wort. Sämtliche Fragen des Gerichts lässt er ins Leere laufen, wiederholt immer nur den gleichen Satz: «Dazu möchte ich nichts sagen.»
Der Nasenbeinbruch der Noch-Ehefrau wird belanglos kommentiert
Dafür zitieren Gericht und Staatsanwalt aus vorherigen Befragungen. Und die haben es in sich. Damals gibt er zu, seine Frau gewürgt zu haben. Er könne sich lediglich nicht mehr daran erinnern, ob er auch mal beide Hände an ihrem Hals hatte. Später meint er dazu, dass er sie vielleicht ab und zu am Hals gepackt habe, um sie beruhigen. Als er zur gebrochenen Nase seiner Frau gefragt wurde, soll er gesagt haben: «Dumm gelaufen!»
Nicht nur das: Er stellt seine Frau als tollpatschige Säuferin da, die immer wieder stürzen würde. Daher auch die Verletzungen. Zu alledem schweigt der Akrobat vor Gericht. Der Staatsanwalt: «Typische Erklärungen für häusliche Gewalt.»
Kokain, finanzielle Probleme, Hang zur Gewalt
Der Angeklagte habe finanzielle Probleme, nehme viel Kokain und habe einen Hang zur Gewalt, erklärt der Staatsanwalt. «Wir kennen nur den öffentlichen Freddy Nock, der Private hat eine dunkle Seite.»
Das Gericht begründet das Urteil am Abend ausführlichst. Man habe sich lange beraten. Mit dem Ergebnis: Die Aussagen von Frau Nock seien selbst bei mehrmaligen Nachfragen inhaltlich in sich geschlossen. Der Vorwurf, dass sie sich das ausgedacht habe, sieht das Gericht damit entkräftet. Insbesondere die Aussagen der Kinder stützen das Urteil. Nock selber starrt bei den Ausführungen auf seinem Stuhl. Er schüttelt leicht den Kopf, scheint nicht glauben zu können, was ihm nun blüht: der Absturz. Ohne Netz, ohne Seil – und ohne Umwege geht es direkt in den Knast.