Egerkingen SO führt umstrittene Regeln für Migranten-Kinder ein
Hier ist Deutsch Pflicht!

Weil sich Schweizer Schüler ausgegrenzt fühlen, hat der Gemeinderat um Johanna Bartholdi (64) zu neuen Bestimmungen gegriffen.
Publiziert: 29.01.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 12:30 Uhr
Johanna Bartholdi, Gemeindepräsidentin von Egerkingen.
Foto: Stefan Bohrer
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«Es kann ja nicht sein, dass Schweizer Kinder an der Schule plötzlich noch Albanisch lernen müssen, oder? Zweifel habe ich bei den Bussen. Ich frage mich, ob man diese durch­setzen kann, wenn einige Eltern von ausländischen Kindern selbst nicht richtig Deutsch können?» Siri Schöni (21), Hausfrau, Egerkingen
Foto: Ralph Donghi

Es sind schwere Vorwürfe, mit denen Gemeinde­präsidentin Johanna Bartholdi (64) momentan zu kämpfen hat. Weil Schweizer Kinder sich auf dem Pausenplatz ausgegrenzt fühlten, hat der Gemeinderat von Egerkingen SO neue Ausführungsbestimmungen zur Schulordnung erlassen, wie das «Oltner Tagblatt» berichtet. Der zentrale Punkt: Auf dem Schulareal ist die Umgangssprache Deutsch. «Ob die Kinder hochdeutsch oder Mundart sprechen, lassen wir offen», sagt Gemeindepräsidentin Bartholdi.

Sie habe Verständnis für die Schweizer Kinder, die sich ausgegrenzt fühlen, wenn sie ihre Mitschüler nicht verstehen. Besonders bei Konflikten gilt: «Wenn sie sich schon streiten müssen, dann bitte auf Deutsch.» Bartholdi will aber festhalten: «Die Problemkinder sind nicht nur die mit Migrationshintergrund, sondern auch Schweizer Kinder.»

Bis zu den Sommerferien sollen nun alle Eltern über die neue Regelung informiert werden. Um diese auch durchzusetzen, droht der Gemeinderat mit Konsequenzen. Bei der ersten Zuwiderhandlung gibt es einen mündlichen Verweis. Bei der zweiten einen schriftlichen an die Eltern. Nach dem dritten Mal muss der Schüler in einen Deutschkurs. Kostenpunkt für die zehn Lektionen: 550 Franken. Dass sie sich mit dieser ­Regelung in einem rechtlichen Graubereich befindet, weiss die Gemeindepräsidentin. Sie nimmt es in Kauf.

Die Pausenplatz-Strafe für Ausländerkinder in Egerkingen kommt nicht aus heiterem Himmel. Im letzten Dezember sorgte eine Schule im Zürcher Oberland für Schlagzeilen. Zehn Schüler der Sekundarschule Gossau erschienen im traditionellen Edelweiss-Hemd zum Unterricht. Eine Lehrerin wollte den 14- bis 16-jährigen Buben und Mädchen verbieten, die Hemden zu tragen, weil das ­rassistisch sei. Die Schulleitung stellte schliesslich klar: Es gibt kein Verbot von Edelweiss-Hemden.

Eine Art Vorreiterrolle bei der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund nimmt Basel-Stadt ein: Dort müssen Kinder bereits vor dem Schul­eintritt Deutsch lernen. Wenn sie in den Chindsgi kommen, sollen die Kleinen Deutsch reden. Um das zu erreichen, gibt es dort sogar ein Spielgruppen-Obligatorium.

Dieter Baur, Leiter Volksschulen Basel-Stadt, findet die Grundhaltung in Egerkingen richtig: «In der Schule sollte generell Deutsch die Verstän­digungssprache sein. Auch ausserhalb des

Unterrichts.» Auf dem Pausenplatz komme es aber auf die Situation an. «Andere Sprachen als Deutsch sollten erlaubt sein, solange sie keinen ausschliessenden Charakter haben. Deutsch sollte aber Pflicht sein, wenn ich das Gefühl habe, die anderen reden über mich.»

Einen ähnlichen Weg wie Egerkingen geht der Kanton Thurgau: Gemäss dem neuen Volksschulgesetz können Schulen von den Eltern eine Kostenbeteiligung für die Deutschnachhilfe der Kinder verlangen. In einigen Schulgemeinden ist das bereits der Fall.

Im Kanton Aargau ist in den Kindergärten bald Schweizerdeutsch Pflicht. Auch für die Erzieher: Von den knapp 2500 Kindergärtnerinnen im Kanton haben 108 einen ausländische Pass – mehr als die Hälfte davon einen deutschen. Ihnen bleibt bis Ende 2018 Zeit, um Schweizerdeutsch zu lernen.

Gar nicht begeistert vom Egerkinger Entscheid ist man beim Schweizer Lehrerverband. «Das wird rechtlich schwierig», so Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle. «Auf dem Pausenplatz klar verboten sind zum Beispiel Schlägereien und Mobbing. Um aber Deutsch als Umgangssprache durchzusetzen, braucht es einen richterlichen Entscheid.» Der Entscheid des Gemeinderats von Egerkingen sei auch für die Schule problematisch. «Das greift in ihre Fachkompetenz ein», so Brühlmann.

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