Der einst als «frechster Gemeindeammann der Schweiz» betitelte Walter Dubler (63) über seine Leidenszeit
«Ich lag zwei Jahre lang auf dem Grill»

Trotz Lohnkürzung liess sich Walter Dubler weiterhin den ursprünglichen Beitrag in die Pensionskasse einzahlen. Das Obergericht verurteilte ihn. Der Regierungsrat setzte ihn ab. Nach dem Freispruch durch das Bundesgericht erklärt der Wohler jetzt, wie er litt und warum er nicht verzeihen kann.
Publiziert: 15.02.2018 um 16:44 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 18:51 Uhr
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Wohlens Ex-Gemeindeammann Walter Dubler blickt auf seine Leidenszeit zurück.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Christian Dorer, Sandro Inguscio (Text), Philippe Rossier (Fotos)

BLICK: Wie sieht das Leben von Walter Dubler heute aus?
Walter
Dubler: Ich bin Jungrentner mit 63 Jahren. Körperlich geht es mir gut, weil ich mich immer fit gehalten habe und gereist bin. Privat geht es mir dank meiner Familie und meinen Freunden gut.

Das Aargauer Obergericht hatte Sie wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Betrug verurteilt, das Bundesgericht sprach Sie zwei Jahre später frei. Wie war es in dieser Zwischenzeit, als Beschuldigter durchs Dorf zu laufen?
Die Menschen haben die Unverhältnismässigkeit verstanden. Ich erfuhr grosse Anteilnahme. Aber helfen konnte mir niemand. Mein Anwalt und ich waren auf uns alleine gestellt, um die Justiz von meiner Unschuld zu überzeugen. Was eine riesige Geduldsprobe war: Es fühlte sich an, als wäre ich nach der Eröffnung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft fast zwei Jahre lang auf einem Grill gelegen. Wie eine Wurst, die am Spiess über dem Feuer gedreht wird.

Wie muss man sich das vorstellen?
Es war ein ewig langes Warten. Und das hätte nie passieren dürfen. Der Einzelrichter der ersten Instanz und das von einem SVP-Mann präsidierte Obergericht haben Fehlurteile gefällt, statt das Gesetz korrekt angewendet, wie es deren Aufgabe gewesen wäre.

Wie haben Sie gemerkt, wer Ihre wahren Freunde sind?
Geblieben ist mir der Freundeskreis, den ich schon vor meiner Zeit als Gemeindeammann hatte. John F. Kennedy hatte recht, als er sagte, dass es in der Politik nur Kollegen, aber keine Freunde gebe. Ich habe schnell gemerkt, dass mich einige in der Gemeinde beerben wollten, als sie merkten, dass ich ein Problem habe. Wenn einem Politiker Blut das Hosenbein runterläuft, sind die Alligatoren schnell zur Stelle. 

Wie war es, als Sie nach 18 Jahren als Gemeindeammann plötzlich alle attackierten?
Wie permanente Terror-Anschläge – und man versucht, sich zu wehren. Ich habe die Rechtslage analysiert und den Kampf aufgenommen, weil ich schnell begriff, worum es ging. Es wurde Angst geschürt, man wollte die Menschen verunsichern, damit sie mich fallen liessen. Der Aufwand, welcher zu Lasten der Steuerzahlenden betrieben wurde, um die Anschuldigungen voranzutreiben, war ein unverhältnismässiger Irrsinn!

Sie wurden in erster und zweiter Instanz verurteilt, aber kämpften weiter. Hat Ihnen Ihre Sturheit Kraft verliehen?
Es war immer ein Kampf um Gerechtigkeit. Ich habe in meinem Freundeskreis einen Stab gebildet und zusammen mit diesem und meinem Anwalt eine Lagebeurteilung vorgenommen – wie im Militär! Zum Glück bin ich sehr belastbar und habe einen eisernen Durchhaltewillen.

Hatten Sie Angst, dass es für Sie schlecht enden könnte?
Nachdem mich auch das Obergericht verurteilt hatte, begann ich zu zweifeln. Ich hatte kein Vertrauen mehr in das aargauische Rechtssystem. Auch dies war ein Grund, warum ich die Entlassung durch den Regierungsrat nicht angefochten habe. Der Hauptgrund war: Bis ein rechtskräftiger Entscheid vorläge, würden Monate, vielleicht sogar über ein Jahr verstreichen. Im letzten Jahr einer Amtsperiode einen solchen Aufwand zu betreiben, das macht keinen Sinn. 

Wie gross die Belastung war, zeigte auch Ihr Zusammenbruch während der Gerichtsverhandlung.
Ich war innerlich viel mehr angespannt, als ich dies selber spürte. Irgendwann hielt das Nervensystem dem Druck nicht mehr stand. Und wenn das aussetzt, dann haut es einen um. Ich hörte die Fragen des Richters zwar klar und beantwortete diese, aber ich fühlte mich wie eine Kerze, die langsam erlischt.

Die Erleichterung muss gross gewesen sein, als Sie freigesprochen wurden.
Der 29. Juni 2017 war einer der schönsten Tage meines Lebens! Der Tag, an dem ich den Anruf erhielt mit dem Entscheid, dass das Bundesgericht das Obergericht anwies, mich vollständig freizusprechen. Erst da hatte ich das Vertrauen zurückgewonnen, dass die Kontrollmechanismen in unserem Rechtssystem funktionieren.

Woher haben Sie Ihr Kämpferherz?
Meine Mutter war eine Bergsteigerin, die Herausforderungen liebte. Auch ich bin eine Kämpfernatur. Ich bin nicht ohne Grund Gemeindeammann geworden und wurde fünfmal gewählt. In einer solchen Position können Sie nur etwas bewegen, wenn Sie Power haben.

Wie ging Ihre Familie mit dem Ganzen um?
Meine Mutter ist 2016 im Alter von 93 Jahren gestorben. Sie hatte stets gesagt, ich könne froh sein um meine Ehefrau. Diese ist Engländerin und deren Denkart, dieses Kämpferische, hat geholfen. Meine drei Töchter waren sich gewohnt, dass der Vater Politiker ist und in der Öffentlichkeit steht.

Haben Ihre Kinder Sie mal gefragt: Papi, hast du betrogen?

Nein. Zu Hause hatte ich keine Gerichtsverhandlung. Meine Familie kannte die Akteure, die hinter diesen politischen Bomben-Anschlägen gegen mich steckten. Sie hat sich aber Sorgen um mich gemacht. Meine Mutter fragte mehrmals: ‹Walti, erträgst du das noch?› Zum Glück hat sie die Verurteilung in zweiter Instanz und meine Entlassung nicht mehr miterleben müssen. Ich weiss nicht, wie sie dies ertragen hätte. Vielleicht schaut sie ja jetzt vom Himmel herab und sieht, dass zumindest rechtlich alles gut gekommen ist.

Angestossen wurden die ganzen Vorwürfe durch Ihren Widersacher Jean-Pierre Gallati aus der SVP. Woher kommt diese Fehde?
Ich wurde über die Zeit von verschiedenen Vertretern der SVP immer wieder attackiert. Dies hatte keine ideologische, sondern persönliche Gründe. Die Akteure wechselten, die Musik blieb die gleiche. Jean-Pierre Gallati ist bekannt dafür, wie er auf der politischen Bühne agiert. Verrückt ist nur, dass sich alle, von Staatsanwaltschaft bis zum Regierungsrat, so vor ihm hertreiben liessen.

Warum liessen Ihre Gemeinderatskollegen Sie fallen wie eine heisse Kartoffel?
Einige hielten zu mir, andere nutzten die Lage sofort aus. Nach meiner Suspendierung hat der Gemeinderat beschlossen, dass sie wegen des Mehraufwands pro Jahr 154'000 Franken mehr Entschädigung bekommen müssen. Einige haben realisiert, dass sie mich beerben können, wenn ich politisch kaltgestellt bin. 

Können Sie dem Regierungsrat verzeihen, dass er Sie abgesetzt hat?
Nein. Ich hatte den Regierungsrat darum gebeten, mich persönlich anzuhören, bevor er entscheidet. Das hat er abgelehnt. Seit der Gründung des Kantons Aargaus war es das erste Mal, dass ein vom Volk gewählter Gemeindeammann entlassen wurde – ohne Anhörung! Das ist unverzeihlich. Ich wurde demontiert. Punkt. Fertig. Aus. Es gibt Schäden, die sind irreversibel.

Juristisch haben Sie nun recht bekommen. Aber war es in Ordnung, was Sie getan haben?
Ich hätte die Pendenz mit der Pensionskasse wegen der höheren Arbeitgeberbeiträge von total 4125 Franken von Anfang an richtig regeln sollen. Wenn das aber der Massstab ist, um jemanden dermassen anzugehen, dann müssten täglich Tausende Menschen angeklagt werden.

Sie sind ein detailversessener Mensch. Und ausgerechnet Ihre Karriere wird durch eine Unterlassung zerstört?
Das ist eine Tragik. Ich habe dies völlig unterschätzt und hätte es viel früher angehen müssen. Es gibt Politiker, die stellen sich immer zuerst die Frage, welche negativen Auswirkungen ihre Handlungen auf sie selber haben könnten. In meiner Tätigkeit als Gemeindeammann konzentrierte ich mich immer zuerst auf den Nutzen für Wohlen. In diesem Fall verwendete ich keine Zeit dafür nachzudenken, welche Konsequenzen die Pendenz mit der Pensionskasse haben könnte. Dies war fatal, ja.

Erwarten Sie jetzt eine Entschädigung?
Der immaterielle Schaden bleibt für immer und ewig. Wie eine Narbe. Der materielle Schaden könnte bereinigt werden. Dies ist eine Frage des politischen Willens.

Ist Ihr Lebenswerk zerstört?
Ich vergleiche es mit einem Bild aus dem Sport: Ich bin Formel-1-Rennen gefahren und wurde in meinem Boliden abgeschossen. Man konnte mich zwar aus dem Auto befreien, ich kann noch gehen, aber ich kann nie mehr Formel 1 fahren. Es ist vorbei – und mein Bolide ein Wrack.

Der Fall Walter Dubler

Zwei Jahre kämpft Walter Dubler (63) um seinen Ruf, bevor ihn das Bundesgericht am 29. Juni 2017 vom Vorwurf des mehrfachen Betrugs und «ungetreuer Geschäftsführung» freispricht. Die Lausanner Richter heben das Urteil gegen den ehemaligen Wohler Gemeindeammann mit der Begründung auf, die Voraussetzungen für eine Verurteilung seien nicht erfüllt.

Das Verfahren gegen Gemeindeammann Walter Dubler beginnt im Juni 2015

Jean-Pierre Gallati, SVP-Einwohnerrat und Dublers regionalpolitischer Gegenspieler, hat dem parteilosen Gemeindeammann im Juni 2015 vorgeworfen, die Gemeinde betrogen zu haben. Dubler – das bestätigte dieser später selbst – hat sich zu hohe Pensionskassenbeiträge einzahlen lassen. Auch Entschädigungen für seine Tätigkeit als Präsident des Regionalplanungsverbandes «Unteres Bünztal» soll Dubler nicht der Gemeinde abgeliefert, sondern selbst eingesackt haben.

Noch im November 2015 wird Dubler von seinem Amt als Gemeindeammann suspendiert. Gegen eine Verurteilung durch das Bezirksgericht Zurzach im März 2016 geht er in Berufung. Doch das Obergericht Aargau bestätigt im September desselben Jahres das erstinstanzliche Urteil und verschärft die Strafe auf 66'000 Franken Geldstrafe bedingt und 6000 Franken Busse. Der Aargauer Regierungsrat setzt Walter Dubler aufgrund des «Vertrauensverlustes» daraufhin endgültig als Gemeindeammann von Wohlen AG ab, die Amtsenthebung tritt am 1. März 2017 in Kraft.

Dubler, der zum Zeitpunkt seines Sturzes der Gemeinde bereits 18 Jahre lang vorstand, will das Urteil nicht akzeptieren und legt vor dem Bundesgericht Beschwerde ein. Und tatsächlich: Es hebt den kantonalen Entscheid schliesslich auf.

Zwei Jahre kämpft Walter Dubler (63) um seinen Ruf, bevor ihn das Bundesgericht am 29. Juni 2017 vom Vorwurf des mehrfachen Betrugs und «ungetreuer Geschäftsführung» freispricht. Die Lausanner Richter heben das Urteil gegen den ehemaligen Wohler Gemeindeammann mit der Begründung auf, die Voraussetzungen für eine Verurteilung seien nicht erfüllt.

Das Verfahren gegen Gemeindeammann Walter Dubler beginnt im Juni 2015

Jean-Pierre Gallati, SVP-Einwohnerrat und Dublers regionalpolitischer Gegenspieler, hat dem parteilosen Gemeindeammann im Juni 2015 vorgeworfen, die Gemeinde betrogen zu haben. Dubler – das bestätigte dieser später selbst – hat sich zu hohe Pensionskassenbeiträge einzahlen lassen. Auch Entschädigungen für seine Tätigkeit als Präsident des Regionalplanungsverbandes «Unteres Bünztal» soll Dubler nicht der Gemeinde abgeliefert, sondern selbst eingesackt haben.

Noch im November 2015 wird Dubler von seinem Amt als Gemeindeammann suspendiert. Gegen eine Verurteilung durch das Bezirksgericht Zurzach im März 2016 geht er in Berufung. Doch das Obergericht Aargau bestätigt im September desselben Jahres das erstinstanzliche Urteil und verschärft die Strafe auf 66'000 Franken Geldstrafe bedingt und 6000 Franken Busse. Der Aargauer Regierungsrat setzt Walter Dubler aufgrund des «Vertrauensverlustes» daraufhin endgültig als Gemeindeammann von Wohlen AG ab, die Amtsenthebung tritt am 1. März 2017 in Kraft.

Dubler, der zum Zeitpunkt seines Sturzes der Gemeinde bereits 18 Jahre lang vorstand, will das Urteil nicht akzeptieren und legt vor dem Bundesgericht Beschwerde ein. Und tatsächlich: Es hebt den kantonalen Entscheid schliesslich auf.

Von der Bank in die Politik

Walter Dubler wurde nach seiner Banklehre bei der Aargauischen Hypotheken- und Handelsbank zum Betriebsökonom. Seine politische Karriere startete er 1982, als er Mitglied der Finanzkommission von Wohlen wurde. Während zehn Jahren war er danach im Einwohnerrat (mit zwei Jahren Unterbruch), ehe er 1998 Gemeindeammann und in der Folge vom Volk fünfmal wiedergewählt wurde. 2017 wurde er vom Regierungsrat entlassen. Obwohl er später vom Bundesgericht freigesprochen wurde. Dubler ist verheiratet und Vater von drei Töchtern. 

Walter Dubler wurde nach seiner Banklehre bei der Aargauischen Hypotheken- und Handelsbank zum Betriebsökonom. Seine politische Karriere startete er 1982, als er Mitglied der Finanzkommission von Wohlen wurde. Während zehn Jahren war er danach im Einwohnerrat (mit zwei Jahren Unterbruch), ehe er 1998 Gemeindeammann und in der Folge vom Volk fünfmal wiedergewählt wurde. 2017 wurde er vom Regierungsrat entlassen. Obwohl er später vom Bundesgericht freigesprochen wurde. Dubler ist verheiratet und Vater von drei Töchtern. 

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