Farbige Bilder aus besseren Zeiten. Eine Reise nach Pisa (I), Grillplausch im Sommer, Spaziergänge rund um Rupperswil AG. Es sind Fotos aus dem unbeschwerten Leben der Familie Schauer, die Opferanwalt Markus Leimbacher gestern an die Leinwand des Saals der Mobilen Einsatzpolizei in Schafisheim AG projiziert. Er erzählt von Carla Schauer (†48), ihren Eltern Georges (77) und Rosa (73), ihrem Bruder Manuel (51) und den geliebten Söhnen Davin (†13) und Dion (†19). Auch ihr neuer Partner Georg Metger (50) ist auf den Fotos zu sehen – er war ihre letzte grosse Liebe.
Das Glück findet am 21. Dezember 2015 durch die Tat von Thomas N.* ein brutales Ende. «Die Familie wurde für immer zerstört», sagt Anwalt Markus Leimbacher. «Besonders die Eltern von Carla Schauer leiden in jeder Sekunde unter dem brutalen Tod ihrer geliebten Tochter und Enkel.» Er berichtet über Hausbesuche: «Die Mutter Rosa bricht in Tränen aus, wenn sie mich nur sieht. Der Vater hat jeglichen Lebensmut verloren, ist suizidial. Die Eltern leben nur physisch, psychisch sind sie tot.» Auch Bruder Manuel kämpft mit einer schweren posttraumatischen Störung – wie seine Eltern hat er nicht die Kraft, am Prozess teilzunehmen.
«Er redet sich und der Welt alles schön»
Einzig der Lebenspartner Georg Metger wohnt als Vertreter der Familie der Verhandlung bei. Als Staatsanwältin Barbara Loppacher im Namen der Anklage den Tatverlauf wiedergibt, kann er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Die Staatsanwältin geht mit dem Angeklagten hart ins Gericht und betitelt seine Ausreden zu den Taten vor Gericht als «lachhaft» und «Blödsinn». Sie weiss: Thomas N. ist manipulativ, eine «Blackbox». «Er redet sich und der Welt alles schön. Auch das spricht für seine Gefährlichkeit.»
Ihre Forderung ist klar: lebenslange Haft für den Vierfach-Killer! Damit nicht genug: Die Staatsanwältin will Thomas N. auch lebenslang verwahrt sehen. Denn: Sie sieht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut ein ähnliches Verbrechen begeht – und widerspricht so den beiden Psychiatern, die gestern eine Untherapierbarkeit des Angeklagten noch ausgeschlossen hatten. Ihr Urteil: «Die Gutachten haben den Angeklagten nicht umfassend erfasst.»
Für die elf Angehörigen, die als Privatkläger im Prozess auftreten, sind die Worte der Staatsanwältin Balsam auf die geschundene Seele. Sie leiden unter der falschen Reue des Angeklagten und wünschen sich, dass er nie wieder auf freien Fuss kommt.
«Mein Mandant durchlebt grenzenlosen Schmerz»
Der Anwalt des Ex-Mannes R. S.* (58) von Carla Schauer zeichnet das Bild eines gebrochenen Menschen. Der Vater von Dion und Davin lebt im Kanton Luzern, ist während der Prozessdauer extra auf eine weite Reise gegangen. Anwalt Stefan Meichssner dazu: «Mein Mandant durchlebt grenzenlosen Schmerz. Er erträgt nicht mal den Gedanken an die Taten, ist ausser Landes.»
Auch die beiden Halbschwestern der toten Buben haben es nicht aus dem Tessin nach Schafisheim geschafft. Ihr Anwalt Carlo Borradori berichtet von erschütternden Szenen: «Die beiden Schwestern hingen an den Buben. Die 26-jährige Jessica weint, wenn sie nur den Namen der Jungen hört. Die 29-jährige Deborah kann sie nicht mal mehr aussprechen.» Während seiner Ausführungen bleibt dem Tessiner Anwalt immer wieder die Stimme weg, er appelliert an den Richter: «Sprechen Sie ein gerechtes Urteil, damit die beiden Schwestern wieder leben können.»
Besonders erschütternd sind die Worte von Luc Humbel, dem Opferanwalt der Familie von Dion Schauers (†19) Freundin. Die 21-jährige Simona F.* musste mitansehen, wie ihrem Freund die Kehle durchgeschnitten wurde – bevor Thomas N. ihr auf gleiche Weise das Leben nahm.
Humbel erzählt, dass der Vater von Simona F. 1998 unerwartet verstorben sei. Das sei auch ein Grund dafür, weshalb die Mutter eine sehr enge Beziehung zu Simona und ihren zwei Geschwistern hatte. «Der Verlust von Simona hat uns als Familie einen unvorstellbaren Schmerz zugefügt», zitiert Anwalt Humbel die Mutter. Seine Stimme ist tränenerstickt.
Er zitiert auch den Bruder Simonas, der nicht anwesend ist. Er habe sich gefragt: «Warum trifft es uns schon wieder? Warum muss unsere Familie so leiden?» Bei der Familie fliessen die Tränen. Auch ein Polizist, der an der Seite sitzt, wischt sich Tränen von der Wange.
«Entschuldigung»
Der Angeklagte nimmt die Ausführungen emotionslos zur Kenntnis. Erst am Abend zeigt Thomas N. eine Regung. Als ein Opferanwalt die Verteidigerin auffordert, das kleine Rednerpult vom Tisch zu nehmen, legt der Angeklagte selbst Hand an.
Am Ende ergreift er selbst das Wort und nimmt Bezug auf seinen Entschuldigungsbrief: «Für mich war es schwierig, im Brief um Entschuldigung zu bitten.» Er fragt in die Runde: «Wie kann man für eine solche Tat um Entschuldigung bitten? Aber ja, es hätte vorkommen müssen.» Daher sein letztes Wort: «Entschuldigung.» Es kommt bei den Angehörigen der Opfer nicht mehr an.
*Namen der Redaktion bekannt
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