Bei Brigitte Honauer (†77) war schon der Name Programm. Als Vera Tentation führte sie 25 Jahre lang das Cabaret Löwen in Balsthal SO – einer der verrücktesten Stripclubs des Landes. So wild ihr Leben, so tragisch ihr Tod.
Honauer stirbt Ende Mai bei einem Verkehrsunfall – unweit ihres Hauses in Niederbipp BE. Die Cabaret-Legende kommt von der Strasse ab und kracht in einen Steinhaufen. Mitfahrerin der alleinstehenden Rentnerin: ihre geliebte Mischlingshündin Giny (10), die den Crash überlebte.
Ihr guter Freund Ludwig Szabo (69), einst selbst Barkeeper im Löwen, verabschiedet sich an der Unfallstelle von seiner Ex-Chefin und sagt leise: «Es ist schlimm, dass sie so früh von uns gehen musste!» Der Tod macht ihn betroffen. Er denkt auch an die Schwester der Toten: «Marianne ist die einzige lebende Verwandte von Brigitte.»
Die Schwester trauert im verwaisten Haus
Im verwaisten Haus von Honauer sitzt Marianne Helfert (80) still auf einem Stuhl: «Die Polizei hat mich angerufen. Das werde ich nie mehr vergessen, wie gesagt wurde, die Brigitte sei verstorben. Ich war sprachlos.» Dennoch: Für ihre Schwester bleibt sie immer in schöner Erinnerung – als «liebenswerte, willensstarke, lebenslustige Frau».
Als die gebürtige Deutsche 1989 in Balsthal das Cabaret Löwen eröffnete, war die Akzeptanz im Ort gering. Die Leute hätten es einfach nicht in Ordnung gefunden, sagt ihre Schwester. Doch die Widerstände legten sich. Aus dem Löwen wurde ein Kultcabaret. Die Gäste kamen aus der ganzen Schweiz. Auch zu ihren Angestellten und Tänzerinnen hatte Honauer stets ein gutes Verhältnis gehabt. Ihr Schwester dazu: «Sie war für sie wie eine Mutter.»
Mit 21 Jahren begann ihre Karriere als Tänzerin
Wohl, weil sie wusste, wie sich ihre Mädchen fühlen. Sie war selbst 50 Jahre im Rotlichtmilieu tätig – begann mit 21 Jahren zu tanzen und mit ihrem Körper gutes Geld zu verdienen. Zu Hause in Deutschland habe man aber früher nicht jedem erzählt, was Birgitte beruflich so trieb, sagt ihre Schwester offen. «Das war zu jener Zeit ja alles ein bisschen verpönt.» Die junge Deutsche kommt in den wilden 60er- und 70er-Jahren in der Welt rum. Als Striptänzerin in Karatschi, Beirut und Teheran. Einmal hat sie gar für den Schah von Persien getanzt.
In Solothurn fand Honauer ihre zweite Heimat, auch hier erlebte sie verrückte Sachen. Da war der Gast, der einmal hoch zu Ross angeritten kam. Und sein Pferd wie selbstverständlich an der Tür festband. Oder 2010, als Honauers Tänzerinnen einen Räuber mit einem Stöckelschuh in die Flucht prügelten. Oder Jahre später, als Fasnächtler, als Lego-Männer verkleidet, einen goldenen Elefanten aus dem Lokal stahlen.
Wie eine Mutter kümmerte sie sich um ihre Mädchen
Nun stehen Ex-Barkeeper Szabo und Honauers Schwester Marianne vor dem Haus in Balsthal, das bis 2015 das Cabaret beheimatete. «Das ist ihr Lebenswerk», sagt Szabo und fügt an, dass er 25 Jahre gerne dort gearbeitet habe. «Das war das erste Cabaret überhaupt in dieser Gegend. Alles sehr gepflegt. Es war wie eine Familie.»
Auch Honauers Schwester war gerne im Löwen: «Brigitte hat sich so gut um die Mädchen gekümmert. Sie zum Arzt gefahren, zum Bahnhof.» Heute erinnert im Innern nicht mehr viel an das Kultcabaret. Die Bühne ist weg. Ausser einem Spiegel und Kerzen ist nichts mehr aus den wilden Zeiten geblieben.
Dafür gibt es unzählige Freunde und Trauernde in der ganzen Region. In Oensingen SO befindet sich die Stammbeiz von Brigitte Honauer: das Dal Toscano. Gastronom Massimo Santucci (51) war ein guter Freund der Toten. Er steht gleich neben Honauers Stammplatz und erinnert sich: «Sie bestellte immer ein Cüpli.»
Am Tag vor dem Tod noch beim Lieblingsitaliener
Seine letzte Erinnerung ist noch ganz frisch. «Am Sonntagmorgen war sie noch hier. Wir nahmen zusammen den Apéro.» Am Tag darauf erfährt Santucci vom Tod der guten Freundin: «Sie war wie eine Tante für uns. Man konnte mit ihr über alles sprechen.»
Der grosse Wunsch von Brigitte Honauer war eine Autobiografie. Ihr aufregendes Leben schrieb jedenfalls genügend Geschichten dafür.