BLICK-Kolumnist Giuseppe Gracia über den Vierfachmörder von Rupperswil
Das Böse

Das Urteil im Mordprozess von Rupperswil ist gefällt – doch das Unbegreifliche verstehen wir immer noch nicht. Kommt das Böse von aussen oder steckt es in jedem Menschen drin? Die neue Kolumne «Weltanschauung» von Giuseppe Gracia.
Publiziert: 20.03.2018 um 15:27 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 23:10 Uhr
Giuseppe Gracia

Der vierfache Mord von Rupperswil macht uns nicht nur wegen seiner kalten Brutalität fassungslos, sondern auch deshalb, weil wir es nicht mehr gewohnt sind, mit dem Bösen zu rechnen. Psychiater, Behörden, Medien: In solchen Fällen ringen alle um die richtige Antwort unserer Gesellschaft.

Es geht nicht nur um ein angemessenes Gerichtsurteil. Wir wollen eine Gesellschaft sein, die den Grundlagen ihrer Moral vertrauen kann. Gerade dieses Vertrauen wird immer wieder erschüttert. Dann versuchen wir, das Unfassbare in rationale Schubladen zu packen. Schubladen, die uns vor dem Schwindel des Abgründigen schützen sollen. Wir möchten das Unbegreifliche begreifen und als psychische oder soziale Fehlentwicklung interpretieren. Eine Fehlentwicklung, die wir reparieren können, weil wir hoffen, dass am Ende alles irgendwie reparierbar ist.

Wir sind unteralarmiert

Der Scheinfriede des Wohlstands macht uns unteralarmiert, wenn es um unsere eigene Natur geht. Wir leben in der Illusion, der Mensch sei grundsätzlich im Innern gut und werde erst von aussen zum Schlechten getrieben, von einer schlimmen Erziehung oder einer ungerechten Gesellschaft. Wir suchen selbst bei einem Killer aus gutem Haus und friedlicher Umgebung nach äusseren Ursachen. Wir setzen auf Therapie, Pädagogik und Integration. Je besser das Umfeld, desto besser der Mensch.

Das ist eine herkömmliche Logik in unserer technisierten, durchpädagogisierten Zeit. Dahinter steckt jedoch ein Menschenbild, in dem die Freiheit der Person, die immer auch Freiheit zum Bösen ist, nicht mehr vorkommt. Obwohl wir es nach dem industriell durchgeführten Horror des Holocaust oder der kommunistischen Vernichtungslager eigentlich besser wissen müssten. Obwohl schon die Bibel sagt: «Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken.»

Das Höchste, das Niedrigste

In dieser Sichtweise ist der Mensch ein geheimnisvolles Wesen, fähig zum Höchsten wie auch zum Niedrigsten. Die Möglichkeit zum Bösen ist der Preis für unsere Freiheit. Aus dem Herzen des Menschen kann grosses Leid über andere kommen, aber es kann aus dem Herzen des Menschen auch die Liebe in die Welt kommen, ohne die das Leben nicht lebenswert ist. Oder mit den Worten von Friedrich Dürrenmatt: «Die Liebe ist ein Wunder, das immer wieder möglich ist, das Böse eine Tatsache, die immer vorhanden bleibt.»

Giuseppe Gracia (50) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

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