Wenn er das Rad der Zeit zurückdrehen könnte, würde er es tun, sagt Julien T. mit schwacher Stimme. «Doch es ist zu spät, es ist passiert und ich möchte mich wirklich entschuldigen», fährt er fort, weint beinahe. «Der Tod eines Kindes ist ein Drama. Es ist das Schlimmste, was passieren kann. Ich habe keine Worte dafür.»
Vier Jahre nach dem Sekundenschlaf-Drama von Dürrenäsch AG hatte das Bezirksgericht Kulm heute im Gemeindesaal von Unterkulm die Schuld von Julien T. zu beurteilen.
Er war am 23. Dezember in einer Rechtskurve geradeaus gefahren, weil er kurz eingenickt war. Der damals selber in Dürrenäsch wohnende Familienvater erfasste eine Mutter aus dem Dorf, die auf dem Trottoir mit ihren zwei Kleinkindern und ihrem Hund unterwegs war. Die Mutter trug ihr drei Wochen altes Baby Max in einer Tragevorrichtung vor dem Bauch und schob ihren einjährigen Sohn im Kinderwagen. Alle drei wurden lebensgefährlich verletzt – Baby Max jedoch am schwersten. Der neugeborene Bub verstarb an Heiligabend im Spital.
Müdigkeit ignoriert oder medizinisches Problem?
Vor Gericht ging es um die Frage, ob Julien T. fahrlässigerweise in übermüdetem Zustand seinen Volvo lenkte. Denn laut Gutachter würden gesunde Menschen unmöglich am Steuer einschlafen, «ohne vorher eine Schläfrigkeit festgestellt zu haben».
Der Verteidiger wollte dagegen glaubhaft machen, dass es kein Sekundenschlaf war, sondern ein nicht entdecktes medizinisches Problem – und Julien T. deshalb keine Schuld treffe. «Ich habe mich nicht müde gefühlt», behauptete Julien T. vor Gericht denn auch mehrmals. Und dies, obwohl der Jowa-Schichtarbeiter in der ersten polizeilichen Befragung angegeben hatte, die Woche vor Weihnachten sei «einfach zu viel» gewesen, weil er «die ganze Zeit umhergerannt» war.
«Meine Frau war damals schwanger, zudem hatte ich eine krebskranke Schwiegermutter zu Hause, dann die Weihnacht, die Kinder und die Arbeit», versucht Julien T. dem Richter zu erklären. Am Abend zuvor sei er noch bei einem Weihnachtsessen gewesen und um 23 Uhr ins Bett gegangen. Um 4.45 stand er laut Gerichtsakten nach weniger als sechs Stunden Schlaf wieder auf, ging in die Bäckerei, kam um 14 Uhr nach Hause, um noch seine zwei kleinen Buben zum Coiffeur zu fahren. Auf der Heimfahrt hörten sie Kindermusik, während einer der Kleinen im Kindersitz einnickte.
Vater von Max nimmt Entschuldigung des Todesfahrers nicht an
Das Letzte, an das sich Julien T. erinnerte, war die Strecke zwischen Hallwil und Dürrenäsch, die er damals täglich befuhr. Beim Unfall selber macht er ein «Blackout» geltend. «Was war das Erste, das Sie beim Aufwachen wahrnahmen?», wollte der Richter wissen. «Die zersplitterte Scheibe. Das ist ein Bild, das ich nie vergessen werde», antwortete der Todesfahrer.
Auch der Vater von Max sass im Gerichtssaal. Sein Anwalt erklärte deutlich, wie enttäuscht sein Mandant sei: «Die Entschuldigung kann die Familie nicht annehmen, wenn sich der Beschuldigte während 1,5 Stunden herausredet, er habe nichts falsch gemacht.»
Richter: «Es gibt nur Verlierer»
Die Richter folgten den Anträgen der Staatsanwaltschaft und sprachen Julien T. der fahrlässigen Tötung, der mehrfachen schweren Körperverletzung und des Fahrens im fahrunfähigem Zustand schuldig. «Sie haben die Warnhinweise des Körpers ignoriert. Als pflichtbewusster und korrekter Mensch, der sie sind, wollten sie diese nicht wahrhaben, weil man ja funktionieren muss», so der Richter. Julien T. kassierte 18 Monate bedingt und eine Busse von 2000 Franken. Zudem muss er die Gerichtskosten tragen und ist der Opfer-Familie schadenersatz- und genugtuungspflichtig.
Der Richter hielt aber auch fest: «Es war ein absolut tragisches Ereignis mit enormen Folgen. Ein Alptraum für die betroffene Familie, der ungeheures Leid brachte. Aber auch der Alptraum jedes Automobilisten. Es gibt nur Verlierer. Der Unfall lässt alle Betroffenen fassungslos und traumatisiert zurück.»
*Namen geändert