«Die Kinder haben geweint»
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Gekündigte Mieter sind traurig:«Die Kinder haben geweint»

Wegen geplanter Flüchtlingsunterkunft in Windisch AG
Kanton will den gekündigten Mietern einen Anwalt zahlen

Die Mieterinnen und Mieter der drei Liegenschaften in Windisch AG, denen gekündigt wurde und in deren Wohnungen Asylbewerber einziehen sollen, schütteln nur noch den Kopf. Schon wieder haben sie Post vom Kanton erhalten – und was für welche.
Publiziert: 10.03.2023 um 00:40 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2023 um 11:18 Uhr
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Julia Adams aus Windisch AG sitzt im Treppenhaus – in der Hand den neuesten Brief vom Kanton Aargau.
Foto: Ralph Donghi
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Ralph DonghiReporter News

Fassungslos sitzt Julia Adams (39) im Treppenhaus vor ihrer Mietwohnung in Windisch AG. In der Hand hält sie einen Brief vom Kanton Aargau, den sie soeben aus dem Briefkasten gezogen hat. «Bitte nicht schon wieder», sagt sie leise, als sie ihn öffnet. «Was wollen die jetzt schon wieder?»

Die Überraschung: Das Departement Gesundheit und Soziales kündigt im einseitigen Schreiben vom 8. März 2023 eine «Anlaufstelle für Mieterinnen und Mieter» der Liegenschaften Zelglistrasse 9 sowie Mülligerstrasse 11 und 13 an. «Zur Bearbeitung Ihrer Anliegen als Mieterin oder Mieter» habe der Kantonale Sozialdienst ein Anwaltsbüro beauftragt. Und weiter: «Die Kosten für die Arbeit der Anwälte trägt der Kantonale Sozialdienst.»

«Das ist doch grotesk!»

Adams weiss nicht, ob sie lachen oder weinen soll. «Ich komme langsam nicht mehr draus», sagt sie zu Blick. «Zuerst kündigt uns der Eigentümer, damit der Kanton hier eine Asylunterkunft für 100 Personen eröffnen kann. Und jetzt zahlt der Kanton uns einen Anwalt, damit dieser gegen seine eigenen Interessen vorgehen kann. Das ist doch grotesk!» Und sie fragt: «Vertritt dieses Anwaltsbüro tatsächlich unsere Wünsche?»

Die Naturwissenschaftlerin, ihr Ehemann Michael (42) sowie ihre Kinder Finja (3), Johannes (6) und Norina (8) sind eine Partei unter 49 Mieterinnen und Mieter, die vom Eigentümer Ende Februar dieses Jahres eine Kündigung per Ende Juni und September erhalten haben. Und zwar, damit dieser die Wohnungen danach für Flüchtlinge an den Kanton vermieten kann. Der Aufschrei der Mietparteien war gross. «Die Kinder haben geweint», sagte Adams damals zu Blick.

Auch Windisch zeigte sich entsetzt, allen voran SVP-Gemeindepräsidentin Heidi Ammon (63). Sie sagte damals zu Blick: «Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man solche Kündigungen ausspricht.»

Kanton wusste nicht, dass Familien darin leben

Daraufhin gab Departementsvorsteher Jean-Pierre Gallati (56, SVP) Fehler zu und bat «die Betroffenen und den Gemeinderat von Windisch um Entschuldigung». Bei der Eignungsprüfung der Liegenschaft habe der Kantonale Sozialdienst den Auswirkungen der Kündigungen keine Beachtung geschenkt, erklärte er. Man sei sich nicht bewusst gewesen, dass es um grössere Wohnungen gehe, in denen Familien leben.

Schliesslich sagte der Kanton, man wolle mit der Gemeinde und der Eigentümerin der Liegenschaft eine Lösung für die Betroffenen finden. Vermieterin und Kanton seien grundsätzlich bereit, die Mieterinnen und Mieter der grösseren Wohnungen länger dort wohnen zu lassen – bis sie ein neues Zuhause gefunden haben.

Dazu sollen den Mietparteien laut dem neuesten Schreiben vom Kanton gleich drei juristische Personen «als Kontaktpersonen zur Verfügung» stehen. «Sie prüfen Ihre Anliegen, koordinieren diese mit der Vermieterin und dem Kantonalen Sozialdienst und versuchen, Lösungen zu finden», heisst es im neuesten Brief. Man solle nicht zögern, die Anlaufstelle zu kontaktieren. Und: «Bitte beachten Sie, dass die Korrespondenz in deutscher Sprache geführt werden soll.»

«Wir möchten lieber selber einen Anwalt organisieren»

Der Kanton zeigt sich im Brief «überzeugt, dass wir Sie im vorliegenden Kündigungsprozess mit unserem Beratungsangebot unterstützen können». Zudem entschuldigt man sich an dieser Stelle «nochmals für die Umtriebe, die für Sie entstanden sind». Mit der Errichtung der Anlaufstelle «bieten wir Ihnen im Rahmen unserer Möglichkeiten eine bestmögliche Beratung».

Julia Adams sagt, wie alle Mietparteien, die Blick gefragt hat: «Wir möchten lieber selber einen Anwalt organisieren, der uns alle zusammen vertritt. Und vor allem wollen wir eines: in unseren Wohnungen bleiben!»


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