Rechtsanwalt Fabian Füllemann spricht zum Fall des in Aarau geflüchteten Ausschaffungshäftlings Amin T. (34)
«Simple Lösungen gibt es hier nicht»

Amin T. (34) hätte die Schweiz 2014 verlassen müssen. Doch der Asylbewerber blieb illegal hier. Er wurde etliche Male aufgegriffen, kam aber immer wieder frei und wurde straffällig. 2019 kam er in Haft. Nur: Kürzlich gelang ihm die Flucht. Haben die Behörden versagt?
Publiziert: 15.10.2022 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 16:15 Uhr
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Rechtsanwalt Fabian Füllemann von der Kanzlei Fricker Füllemann Rechtsanwälte in Winterthur: «Die Schweiz hat im Jahr 2012 ein Migrationsabkommen mit Tunesien abgeschlossen. Eine freiwillige Rückkehr wäre ihm wohl offengestanden.»
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Ralph DonghiReporter News

Blick: Herr Füllemann, hätte Amin T. die Schweiz im 2014 überhaupt verlassen können?
Rechtsanwalt Fabian Füllemannvon der Kanzlei Fricker Füllemann Rechtsanwälte in Winterthur: Die Schweiz hat im Jahr 2012 ein Migrationsabkommen mit Tunesien abgeschlossen. Eine freiwillige Rückkehr wäre ihm wohl offengestanden.

Warum wurde er damals nach dem negativen Entscheid nicht gleich in Haft genommen?
Dies dürfte rechtlich nicht möglich gewesen sein. Bei der Anordnung von Haft spielt zudem oftmals das Verhalten der Person oder die Verfügbarkeit von Haftplätzen eine grosse Rolle.

Er wurde mehrfach straffällig und 2017 wegen Delikten zu 40 Tagen unbedingt verurteilt. Warum kam er da nicht in Ausschaffungshaft?
Bei hinreichenden Gründen verlängern die Migrationsbehörden manchmal die Ausreisefristen. Wie etwa, wenn weitere Familienangehörige oder Kinder involviert sind.

T. durfte sich nur im Aargau aufhalten. Dennoch wurde er elf Mal in Olten aufgegriffen – er kam aber erneut nie in Haft.
Oftmals führen Staatsanwaltschaften in solchen Fällen Fast-Track-Verfahren durch. Diese werden innerhalb von circa 24 Stunden mit einem Strafbefehl abgeschlossen. In der Regel wird eine Geldstrafe ausgefällt. Anschliessend wird der Beschuldigte an das Migrationsamt überstellt. Dieses entscheidet dann, ob eine ausländerrechtliche Haft angeordnet wird.

Er kam wieder nicht in Haft.
Allenfalls lag dies auch an einem anderen hängigen Strafverfahren sowie an schlechten Aussichten betreffend Rückführung.

T. hat dann erneut Delikte begangen und wurde im Mai 2019 verhaftet. Zu spät?
Ich möchte die Arbeit der Behörden ohne Aktenkenntnis nicht beurteilen. Dass er in Haft kam, dürfte aber vor allem strafrechtliche Gründe gehabt haben – wie etwa ein gravierendes Delikt. Je nach Konstellation und Verhalten des Ausreisepflichtigen wenden die Migrationsbehörden dann im Anschluss an das Strafverfahren das gesetzlich vorgesehene Instrumentarium an Zwangsmassnahmen an. Wie etwa die Ausschaffungshaft.

In der war er zuletzt und haute ab. Muss nun härter durchgegriffen werden?
Die Rechte im Strafverfahren richten sich nicht nach dem Aufenthaltsstatus – was auch wünschenswert ist! Es ist fraglich, ob eine weitere Verschärfung der gesetzlichen Grundlagen mit Blick auf grundlegende Rechtsprinzipen überhaupt möglich wäre. Überdies würde dies deutlich mehr öffentliche Mittel für Beamte und für Haftplätze bedingen. Dies wäre mit Kosten für den Steuerzahler verbunden. Simple Lösungen gibt es hier nicht.

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