Für Oskar Betschart (39) aus Mühlau AG war es ein herber Schlag, als er im vergangenen Oktober die Kündigung erhielt. Dies nach acht Jahren, viel Herzblut und Engagement in der Personalabteilung einer Firma im Kanton Luzern.
Betscharts Handicap: Er ist blind. Seine Sehkraft schwand wegen der Erbkrankheit Retinitis pigmentosa seit seiner Kindheit kontinuierlich. Heute kann er nur noch zwischen Hell und Dunkel unterscheiden.
Braucht ein bisschen mehr Zeit für seine Arbeiten
«Ich war immer sehr stolz, trotz meines Handicaps für dieses Unternehmen zu arbeiten. Und wäre gerne weiter Teil davon geblieben», sagt er. Nur: «Ich kann aufgrund meiner Behinderung nicht die gleiche Leistung erbringen, die sehende Menschen können, und brauche darum immer etwas länger für meine Arbeiten», so Betschart. Das hat ihn schliesslich den Job gekostet. Dem Mann also, bei dem selbst fast 200 Personen, die einmal in der Firma gearbeitet haben oder dies immer noch tun, am Vorstellungsgespräch waren.
Von der Firma, die Oskar Betschart entlassen hat, heisst es auf Anfrage von Blick: «Vor acht Jahren haben wir Herrn Betschart eingestellt, aber nicht, weil er handicapiert ist. Sondern als vollwertiges Teammitglied. Das war für ihn wie auch für uns sehr wichtig.» Die Verantwortlichen der Firma teilen weiter mit, dass sich bei ihnen im Umfeld viel verändere – und das rasend schnell. «Durch die Digitalisierung wird alles immer anspruchsvoller. Das ist für alle Mitarbeitenden eine grosse Herausforderung.» Dass Oskar Betschart nun nicht mehr bei ihnen im Unternehmen sei, habe auch mit seiner «zurückhaltenden Veränderungsbereitschaft» zu tun. Man habe nach Alternativen im Personalbereich gesucht, aber sich schliesslich nicht gefunden. «Persönlich und emotional ist das für alle ein Verlust», heisst es.
KV-Lehre, Weiterbildungen, 18 Jahre Berufserfahrung
Die Schlagworte der modernen Welt also wurden dem sehbehinderten Mann zum Verhängnis: Digitalisierung, Tempo, Leistungsfähigkeit. Oskar Betschart kann darum nicht verstehen, dass die Verantwortlichen einer Firma mit über 400 Angestellten keinen anderen Platz für ihn gefunden haben.
Der zweifache Familienvater ist allerdings ein Kämpfer – war er schon immer. Er wollte nie als etwas Besonderes gelten, schloss in der Handelsschule eine KV-Lehre ab, hat 18 Jahre Berufserfahrung im Personalwesen und ein Rucksack voller Weiterbildungen. Und: Er hat sich alle Anstellungen jeweils selber gesucht.
In der Tat deutet auf den ersten Blick nichts darauf hin, dass Betschart ein Handicap hat. Wenn er vor dem Computer sitzt, haut er im Zehnfingersystem in die Tasten. Einziger Unterschied ist die Braille-Zeile unterhalb seiner Tastatur. Ein Hilfsmittel, das Blinden ermöglicht, elektronische Daten zu lesen.
Nun will er weitermachen, sich einen neuen Job suchen. Am liebsten in der Nähe seines Wohnorts Mühlau. Er möchte einen Arbeitsweg, den er mit seinem Blindenstock selber bewältigen kann. Denn er lebt nach dem Motto: Wer blind ist, hat gelernt, nicht aufzugeben. «Die Eltern haben mich nie verhätschelt. Sie sind Bauern, und so musste ich schon als Kind im Betrieb helfen: Heu beigen, Kartoffeln ernten – ich bin nie einen Sonderzug gefahren.»
Er setzt nun auch aufs Schwyzerörgeli
Betschart hat zudem damit begonnen, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Gemeinsam mit seiner Schwester Edith – auch sie ist fast blind – bildet Oskar Betschart seit Jahren ein begehrtes Schwyzerörgeli-Duo. Die beiden treten beinahe jedes Wochenende an einem Anlass auf. Er will künftig vermehrt als Lehrer auch anderen Menschen das Schwyzerörgeli-Spiel beibringen.
Für ihn gab es immer nur zwei Varianten: «Entweder verkriechst du dich und weinst. Oder du stehst auf und machst was.» Betschart gehört zur zweiten Kategorie. Auch wegen seiner beiden Kinder – vier- und sechsjährig. «Ich will ihnen schliesslich ein Vorbild sein.»