Ein Streit zwischen zwei Asiaten artete im November 2022 in Wettingen AG aus. Für einen Chinesen (†69) endete er tödlich. Für den Vietnamesen Hoc Dao L. (65) im Spital – und schliesslich im Knast. Denn: Der Chinese ging mit einem Messer auf L. los. Dieser wehrt sich – und tötet seinen Widersacher.
Die Staatsanwaltschaft eröffnete zunächst ein Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung gegen L. Doch das Ganze wurde als Notwehr taxiert. Der Vietnamese kam frei. Das Verfahren wurde eingestellt.
Jetzt konnte Blick mit dem Vietnamesen sprechen. Der pensionierte Fabrikarbeiter wohnt immer noch in der kleinen Wohnung, in der der Angriff geschah. «Hier, zwischen der Toilette und dem Korridor, passierte es», erzählt er. Dann zeigt er seine rund zehn Zentimeter lange Narbe am Bauch. Er habe sich wehren müssen, sagt L. «Sonst wäre ich jetzt vielleicht tot.»
Sie kannten sich seit über 20 Jahren
Der kinderlose L. erzählt, dass er schon seit 43 Jahren in der Schweiz lebe und seit 30 Jahren geschieden sei. Seinen chinesischen Kollegen habe er vor über 20 Jahren in einem Einkaufscenter kennengelernt – in einem asiatischen Geschäft. «Wir wurden rasch Kameraden», so L. Der Chinese habe dann aber immer mehr Alkohol getrunken. «Wir hatten uns dann etwa zwei, drei Jahre nicht gesehen.»
Bis rund eine Woche vor dem Vorfall. Sein Kumpel, der zu dem Zeitpunkt in einem Hotel gewohnt habe, sei plötzlich zu ihm gekommen. «Er fragte mich, ob er ein paar Tage bei mir übernachten könne», so L. Er habe ihn nicht nach dem Grund gefragt und einfach zugestimmt. Er habe dann bemerkt, dass sein Kollege inzwischen jeden Tag Alkohol getrunken habe und es ihm langweilig gewesen sei. «Er sagte mir auch, dass er sterben möchte. Er war manchmal sehr traurig.»
Der Angriff kam wie aus dem Nichts
Am Morgen des Angriffs kommt L. kurz nach 11 Uhr aus dem Badezimmer. «Da kam mein Kumpel einfach mit einem grossen Messer auf mich zu und drückte es mir in den Bauch. Mehrmals!», sagt L. Er wisse nicht, warum dies der Chinese getan habe. «Ich habe keine Ahnung.»
Sicher ist: Noch während sein Kollege auf ihn einsticht, packt L. das Messer, dreht es mit der Hand des Angreifers und «drückt» es, wie er sagt, dem Chinesen in den Oberkörper. «Er ging dann zu Boden.» L., selbst schwer verletzt, packt sein Handy und ruft die Polizei an. «Ich sagte, dass in meiner Wohnung zwei Personen Verletzungen haben und sie bitte eine Ambulanz schicken sollen.» Er habe Angst, ein weisses Gesicht und einen blutigen Arm gehabt.
Todesopfer war in psychiatrischer Behandlung
Der Chinese überlebt den Vorfall nicht. Später kommt aus: Er hatte in der Vergangenheit mittelschwere Delikte begangen, war in psychiatrischer Behandlung und gar zur Verhaftung ausgeschrieben.
L. kommt nach dem Vorfall ins Spital und wird operiert. «Ich musste zehn Tage lang dortbleiben. Danach kam ich ins Gefängnis.» Doch er sagt von Anfang an, dass er aus Notwehr gehandelt habe. Dies sahen aufgrund der Aussagen und des Spurenbildes auch die Forensiker so.
L. bekam Genugtuung zugesprochen
Die Aargauer Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren somit im August dieses Jahres ein. L. hatte sich nicht strafbar gemacht. Ihm wurde eine Genugtuung im höheren vierstelligen Bereich zugesprochen. Nach Hause durfte er bereits am 22. Dezember 2022. «Zum Glück», sagt er. «Ich war froh.»
Inzwischen gehe es ihm «schon viel besser», sagt L. Seine Narbe sei gut verheilt und er lebe jetzt ein normales Leben. Aber: «Ich frage mich heute noch jeden Tag, warum mein Kollege mit dem Messer auf mich losging.» Er könne immer noch nicht gut schlafen und denke «halt schon noch oft» an ihn.
* Name bekannt