Es geht um einen Haufen Geld, alte Freundschaften – und Bestechungsvorwürfe: Im Städtchen Mellingen AG (6200 Einwohner) ist ein Streit um eine Lärm-Entschädigung eskaliert. Mittendrin stecken ein lokaler Unternehmer und die Gemeinde-Oberen. Sogar die Staatsanwaltschaft wurde jetzt aktiv.
Im Fokus der Ermittler: Unternehmer Christoph Nüssli. Seine Firma Marin Frey AG ist in der Gemeinde ansässig. Und er ist Verwaltungsratspräsident der Mellinger Nüssli Druck AG, die die Lokalzeitung «Reussbote» herausgibt. Der Unternehmer hat entsprechend beste Verbindungen in die Lokalpolitik.
Und genau darüber könnte er jetzt stolpern. Die Staatsanwaltschaft bestätigt auf Blick-Anfrage, dass sie gegen Nüssli eine «Untersuchung wegen des Verdachts auf Bestechen» führt. Die Meldung an die Strafverfolgungsbehörden kam direkt aus dem Stadtrat.
Blick sprach mit mehreren Quellen darüber, wie es so weit kommen konnte. Die Informanten wollen anonym bleiben.
Enteignungsverfahren läuft seit Jahren
Alles begann mit dem Bau einer Umfahrungsstrasse. Dafür brauchte der Kanton Land von Nüsslis Marin Frey AG. Der Zoff um das Enteignungsverfahren läuft schon seit Oktober 2020.
Gestritten wird dabei vor allem um die Lärmbelastung. Denn für den zusätzlichen Lärm durch die neue Strasse soll Nüssli entschädigt werden. Wie viel er kassieren soll, da gehen die Meinungen weit auseinander. Der Kanton will 5800 Franken überweisen. Nüsslis Zahl hat ein paar Nullen mehr: Mit etwa 2'500'000 Franken will der Unternehmer entschädigt werden – zweieinhalb Millionen!
Nüssli rechnet nämlich ganz anders als der Kanton. Laut Kanton ist das Gewerbe, das auf dem fraglichen Landstück ansässig ist, nicht besonders lärmempfindlich – darum die tiefe Lärmentschädigung. Nüssli hingegen sieht in seinem Landstück viel mehr: nämlich eine Zone, in der neuer Wohnraum entstehen könnte. Wären hier künftige Wohnungen erlaubt, müsste der Kanton viel mehr für Lärmentschädigung bezahlen. Wäre – weil aktuell darf in der Zone kein Wohnraum gebaut und grundsätzlich nicht gewohnt werden.
Aber: Würde es auf Nüsslis Land erlaubt werden, könnte das für seine Entschädigung vom Kanton den Unterschied zwischen ein paar Tausendern und ein paar Millionen machen, so das Kalkül.
Hier kommt die Gemeinde ins Spiel. Denn die Gemeinderäte (heute Stadträte) haben ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht, was für ein Wohnanteil in der fraglichen «Arbeitszone 1» erlaubt ist. Nüssli wollte die Mellinger Exekutive dazu bringen, einen Wohnanteil von einem Drittel durchzuboxen.
Pikanter Brief liegt Blick vor
Der findige Unternehmer schrieb im Mai 2022 also einen Brief an die Mellinger Gemeindeverwaltung. Dort sass ein alter Bekannter von ihm, Beat Gomes. Der Gemeinderat arbeitete bis vor einigen Jahren gleichzeitig als Journalist für Nüsslis «Reussbote». Nüssli adressierte seinen Brief an Gomes.
Der Brief trägt den kryptischen Titel «Erklärung Schadloshaltung zu Gunsten Gemeinde Mellingen». Das Dokument liegt Blick vor.
Nüssli erwähnt darin, dass die Höhe der Lärmentschädigung ein Hauptstreitpunkt im Enteignungsverfahren sei. «Der Staat Aargau argumentiert, dass die Entschädigungshöhe primär von der Frage des möglichen Wohnanteils in dieser Arbeitszone 1 abhängt.»
Dann folgt der Satz, der die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief. Nüssli schreibt verklausuliert: «Die Marin Frey AG erklärt hiermit, die Gemeinde Mellingen aus einer zusätzlichen Kostenbelastung schadlos zu halten, falls diese sich aus einer Lärm-Mehrentschädigung der Erstellerin an die Marin Frey AG aufgrund der Höhe des Wohnanteils in der Arbeitszone 1 ergibt.»
Vereinfacht gesagt: Ebnet mir den Weg zu meinen Millionen, dann bekommt ihr auch etwas zurück.
Die Gemeinde hätte nämlich nebst dem Kanton ebenfalls einen Teil von Nüsslis möglicher Millionen-Entschädigung decken müssen: Quellen reden von etwa 500'000 Franken. Dieses Geld wollte Unternehmer Nüssli retournieren. Verloren hätte laut diesem Plan nur der Kanton.
Doch das ist alles Theorie. Denn nachdem der Mellinger Gemeinderat den Brief von Nüssli bekommen hatte, schaltete er die Strafverfolgungsbehörden ein. Die dann auch aktiv geworden sind. Ob am Ende der Ermittlungen auch Anklage erhoben wird, ist offen.
Die Stellungnahme von Nüssli
Was sagt der Unternehmer zu den schweren Vorwürfen und zum Schreiben? «Die Initiative ging vom Gemeinderat (heute Stadtrat) aus», sagt Nüssli auf Blick-Anfrage. «Ein Behördenmitglied hatte mich diesbezüglich kontaktiert und um ein Gespräch gebeten. Anlässlich dieser Sitzung haben wir die Chancen und Risiken diskutiert, und mit meinem Schreiben habe ich den Inhalt wie besprochen festgehalten.» Für beide Seiten ergebe sich daraus kein Vorteil, meint er. «Jedoch Rechtssicherheit.»
Nüssli sagt: «Mit meiner ‹Erklärung Schadloshaltung zu Gunsten Gemeinde Mellingen› war nicht ein Behördenmitglied Ansprechpartner, sondern die Einwohnergemeinde Mellingen, vertreten durch den Gemeinderat.» Es sei für ihn «bis heute schleierhaft, wie daraus eine ‹Bestechung› konstruiert werden kann.»
Weiter führt Nüssli aus, dass der Mellinger Stadtrat «zwischenzeitlich eine Desinteresse-Erklärung abgegeben» habe. «Er bringt damit zum Ausdruck, dass er an einer Fortführung des Strafverfahrens nicht mehr interessiert ist. Das führt in der Regel zur Einstellung des Verfahrens.»
Stadtpräsidentin äussert sich nicht
Die Staatsanwaltschaft stellt aber klar: «Bei Verdacht auf Bestechen handelt es sich um ein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft ist von Gesetz wegen verpflichtet, die Vorwürfe weiter zu prüfen.»
Die Mellinger Stadtpräsidentin Györgyi Schaeffer ging auf die Fragen von Blick nicht ein. Sie verwies aufs Amtsgeheimnis. Auch Stadtrat Beat Gomes gab keine Stellungnahme ab.
Für Christoph Nüssli gilt die Unschuldsvermutung. So oder so: Sein Land- und Lärm-Zoff mit dem Kanton geht weiter. Mittlerweile ist das Enteignungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht hängig.