Auf einen Blick
- Rentnerin überlebt Sturz ins Gleisbett, Ehepaar rettet ihr Leben
- Marie-France E. traf ihre Retter erstmals in der Öffentlichkeit
- 71-Jährige konnte sich nach 55 Jahren das Rauchen abgewöhnen
Es sind die schönsten Weihnachten, die Marie-France E.* (71) je erlebt hat. Denn: Dass sie überhaupt noch da ist, hat sie ihren Rettern, dem Ehepaar Karin (68) und Hans D.* (73), zu verdanken. «Sie sind meine Schutzengel», sagt Marie-France E. «Hätten sie mich auf dem Gleis nicht gedreht – ich wäre tot.»
Blick hatte über das Wunder von Marie-France E. am Bahnhof Kaiseraugst AG berichtet. Die Rentnerin, die wegen ihrer MS-Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist, wollte am 9. Januar 2024 auf den Zug.
Mit Rollstuhl ins Gleisbett gestürzt
Doch da passierte es kurz vor 16 Uhr: Sie blieb beim elektrischen Rollstuhl mit einem ihrer Winterhandschuhe am Gashebel hängen. Sie habe nichts mehr tun können, erzählte sie nach dem Unfall im Spital. Ihr Rollstuhl fuhr weiter und stürzte mit ihr ins Gleisbett. Leute hätten geholfen, sagte sie. Sie selber habe keine Kraft gehabt, sich selber rauszuziehen.
Da kam auch schon der Schnellzug. Sie habe sich ganz flach auf die Gleise gelegt, sagte Marie-France E. damals. Unglaublich: Der Zug erfasste zwar Teile ihres Rollstuhls, aber sie selber nicht. «Er fuhr sicher zehn bis zwanzig Sekunden über mir.» Doch sie überlebte!
Erstmals öffentlich mit Retter-Paar gezeigt
Jetzt, bald ein Jahr später, zeigt sich Marie-France E. im Blick erstmals öffentlich mit ihren Rettern – in der Reha in Rheinfelden AG. Und inzwischen steht fest: Das Rentner-Paar hat ihr das Leben gerettet, indem es E. gedreht und auf den Gleisen so hingelegt hat, dass nichts mehr von ihr auf den Schienen lag. «Dem ist so», sagt die Gerettete. «Ich bin ihnen unendlich dankbar.»
Karin und Hans D., die für den «Prix Courage» nominiert waren, können sich nicht mehr an jedes Detail erinnern – das ist in solchen Ausnahmefällen möglich. Sie waren jedoch damals mit ihrem Hund in Kaiseraugst spazieren und wollten den Zug heim nach Rheinfelden nehmen. «Da haben wir plötzlich jemand um Hilfe schreien gehört.»
«Achtung, der Zug kommt!»
Es war die Begleiterin von Marie-France E., die völlig geschockt auf dem Gleis 5 stand. «Wir sind sofort zu ihr hingesprungen», so Karin D. Sie habe noch ihren Hund angebunden und sei dann – wie ihr Mann – runter zu Marie-France E. in den Schotter gesprungen. «Ich weiss nur noch, dass mein Mann sagte, wir müssten zuerst das Gefährt von ihren Beinen lösen.» Das gelang. Dann hörten sie nur noch die Begleiterin schreien: «Achtung, der Zug kommt!»
Karin D. widerspricht Marie-France E. nicht, dass sie sie im Gleisbett noch gedreht haben. Sie habe auch noch versucht, sie wegzuziehen, aber: «Es reichte nicht mehr.» Ihr Mann Hans D. ergänzt: «Sie war einfach zu schwer.» Auch er musste die Gestürzte ihrem Schicksal überlassen. «Ich habe noch ganz böse gedacht: Ein Toter reicht – und bin auch zurück aufs Perron. Ich habe sie quasi im Stich gelassen. Das hat mich lange beschäftigt.»
Helferin bricht sich mehrfach das Bein
Der Zug erfasst und bricht mehrfach das linke Schien- und Wadenbein von Karin D. und verletzt auch noch ihren Fuss – dann fährt er über Marie-France E. Sie habe «keine Todesangst gehabt», sich wie Tom Cruise gefühlt und sich ganz ruhig verhalten, sagte sie damals. Sie brach sich beim Unfall zwar den rechten Ellbogen sowie das rechte Handgelenk und hatte eine Schramme am Knie. «Aber sonst nichts», sagte die pensionierte Schneiderin.
Sie war anschliessend drei Wochen im Spital und erhielt eine Ellenbogen-Prothese und Metallplatten im Unterarm sowie in der Hand. Dann ging es für vier Monate in die Reha. «Ich musste alles wieder aufbauen», sagt Marie-France E. Ende Mai konnte sie nach Hause.
Auch noch Infekt am Bein gekriegt
Doch im November kriegte sie am Bein einen Infekt. «Ich musste erneut für zwei Wochen ins Spital», so Marie France E. Danach musste sie wieder in die Reha und kämpfte sich zurück ins Leben als MS-Patientin. «Ich kann mich bereits bis zu 85 Prozent wieder bewegen wie früher. Ich habe auch keine Träume und kein Trauma vom Unfall.»
Marie-France E., die 2023 auch noch ihren Mann verlor, konnte am 23. Dezember wieder definitiv nach Hause. Den 24. Dezember hat sie bei ihrem Sohn und ihren beiden Enkeln gefeiert. «Sie haben für mich alles schön dekoriert. Ich konnte gut essen und Geschenke auspacken», grinst sie. Jetzt hofft sie, dass sie nie mehr einen solch schweren Unfall hat.
Nach 55 Jahren mit dem Rauchen aufgehört
Das grösste Geschenk habe sie aber längst erhalten, sagt sie. «Mein Leben.» Und: «Weil ich die ersten Wochen im Spital nicht rauchen durfte, habe ich gleich ganz damit aufgehört – nach 55 Jahren.»
Zurück bleibt auch «eine neue, spezielle Freundschaft zu Marie-France», sagt Karin D. Auch Hans D. ist zufrieden: «Ein Leben gerettet zu haben, macht einen schon irgendwie stolz. Doch für uns war dies selbstverständlich.»
* Namen bekannt