Keine harte Droge wird so verharmlost wie Kokain: Für viele gehört Koks zum Ausgang dazu, in Songs wird es abgefeiert und in Netflix-Serien wie Wellmania oder auf Sky in Succession glorifiziert. Kokain ist eine Lifestyle-Droge.
Einer, der in den letzten zehn Jahren kein Wochenende ohne Kokain verbracht hat, ist Raul Marugan. Der 27-jährige Aarauer sagt zu Blick: «Für mich gab es nur Party, Alkohol und Koks. Ich liebte es.»
Stets hat der Spanier versucht, das Bild eines schillernden Party-Löwen aufrechtzuerhalten, erzählt er. «Durch das Kokain fühlte ich mich wie ein King und so präsentierte ich mich auch. Dabei war ich innerlich tot und bekam mein Leben nicht auf die Reihe.»
Karriere und Familie
Jetzt ist Schluss damit: Marugan hat sich Anfang September für den Entzug entschieden. Auslöser war ein emotionales Treffen mit seiner Mutter in Spanien, so Marugan: «Ich habe realisiert, dass ich nicht glücklich mit mir selbst bin.» Ausserdem seien viele seiner Freunde weitergezogen und hätten sich ein Leben fernab der Droge aufgebaut: «Sie haben Karrieren und Familien. Das wünsche ich mir auch.»
Marugan erhält unter anderem aufgrund seiner Sucht- und Traumaproblematik – letzteres ausgelöst durch emotionale Vernachlässigung und einer schwierigen Kindheit – eine Rente durch die IV. Die Institution wurde schon im Teenageralter aktiv, indem sie Marugan die Möglichkeit auf eine Erstausbildung im Detailhandel gab. Dies, nachdem sich ein Nerv zurückzubilden begann und eine rechtsseitige Gesichtslähmung eintrat.
Kokain täglich konsumiert
Einen Entzug macht Marugan nicht zum ersten Mal. Bereits vor drei Jahren begab er sich aufgrund seiner Sucht freiwillig in eine stationäre Klinik. Kurz darauf rutschte er jedoch wieder ab. Doch dieses Mal sei es anders, so Marugan: «Ich spüre es.»
Marugan habe früh mit den Drogen begonnen. «Mit 12 habe ich gekifft. Mit 16 kam der Alkohol und schon bald das Koks dazu, um den Effekt des Alkohols aufzuheben.» Er gibt zu: «In meiner dunkelsten Zeit konsumierte ich Kokain sogar täglich.»
Die Gründe für den exzessiven Konsum sind vielfältig, so Marugan. In der Pubertät sei seine familiäre Situation unerträglich geworden. «Meine Mutter kämpfte gegen ihre Alkoholsucht, mein älterer Bruder verlor mit 15 Jahren sein rechtes Auge und mein Vater war zurückhaltend und altmodisch.» Jeder habe mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen gehabt. «Ich kam wohl einfach zu kurz.»
Emotionale Vernachlässigung
In einem Bericht der Entzugs-Klinik heisst es: «Bei Marugan ergeben sich Hinweise auf das Vorliegen von schwerer emotionaler Vernachlässigung sowie schwere physische Vernachlässigung.»
Trotzdem findet Marugan: «Meine Eltern haben ihr Bestes gegeben. Es war aber nicht die Erziehung, die ich gebraucht hätte.» Ihm habe eine führende Hand und eine Schulter zum Anlehnen gefehlt. «Allem voran fehlte es mir jedoch an Liebe für mich selbst.»
Gefangen im Strudel
Kokain sei lange die Lösung für all seine Probleme gewesen, doch der Konsum habe seine Spuren hinterlassen – auch optisch. Marugan zeigt ein Foto von sich mit schwarzen Augenrändern, roten Augen und roter Nase: «Das haben zehn Jahre Kokain-Konsum mit meinem Gesicht gemacht.»
Über die Jahre hinweg sei Marugan in einen Strudel geraten: «Alles drehte sich nur noch um Koks. Ich steckte meine ganze IV-Rente oder mein RAV-Geld in meine Sucht.» Reichte es nicht, habe er entweder mit Freunden zusammengelegt oder in den Clubs gedealt, um seinen eigenen Konsum zu finanzieren. Rechnungen blieben unbezahlt, Schulden häuften sich an.
Um Kokain zu beschaffen, habe er sein Umfeld belogen und manipuliert, so Marugan. «Dafür schäme ich mich heute extrem.» Auch Chancen – wie etwa eine Lehrstelle im Detailhandel – habe er vermasselt. «Ich bekam immer weniger auf die Reihe.»
Aufklärung auf Tiktok
Für ein besseres Leben stellt Marugan jetzt alles auf den Kopf: «Ich hatte nie eine Struktur im Alltag. Auch weiss ich nicht, was Disziplin ist. Dinge, die jetzt wichtig sind, um dem Kokain fernzubleiben.»
Also habe er gleich hier angesetzt: «Ich habe meine Ernährung umgestellt, treibe Sport und suche nach gesunden Beschäftigungen. Gleichzeitig halte ich mich von meinem bisherigen Freundeskreis und dem Feiern fern.»
Seine Sucht und seinen Entzug thematisiert Marugan auch auf seinem Tiktok-Kanal. «Es hilft mir bei der Verarbeitung und ich kann andere Menschen aufklären.» In der Aufklärungsarbeit sieht er seine Zukunft.
Hohe Akzeptanz
Es sei erschreckend, wie einfach man in der Schweiz an Kokain kommt und wie hoch die Akzeptanz sei, so Marugan: «Obwohl Kokain eine harte Droge ist, wird es hier bis in die privilegiertesten Kreise akzeptiert. Mögliche Folgen werden verharmlost. Die Kunstszene – so etwa die Musik- und Filmbranche – feiern die Droge beinahe schon ab.»
Marugan weist darauf hin, wie gefährlich das sein kann: «Ein verzweifelter Junge oder ein trauriges Mädchen sind nicht in der Lage, einen Unterschied zwischen der Kunst und dem wahren Leben zu machen. Sie laufen Gefahr, süchtig zu werden.»