Ein Wochenende im Wellnesshotel. Nur er und sie. Niemand hat Sara* (14) je so verwöhnt. Murat* (18) tat es, wie selbstverständlich. Er organisierte Masseuse, Coiffeur, kaufte ihr ein neues Kleid und Schuhe. Sie putzte sich raus. Doch nicht für sich. Auch nicht für ihn. Sara sollte den Kunden imponieren – einem wildfremden Paar. Nur wusste sie davon nichts.
Murat zwang Sara an diesem Tag in die Prostitution. Ohne dass sie es bemerkte. Die Masche nennt sich Loverboy und ist eine Form der Zuhälterei. 30 Fälle hat die nationale Meldestelle in den letzten Jahren verzeichnet. In Wirklichkeit sind es wohl viel mehr.
Petra Hartmann (49), Expertin präventiver Opferschutz, ist seit Jahrzehnten in der Opferhilfe tätig. Vor kurzem gründete sie den Verein Vergissmeinnicht für Betroffene von Gewalt, insbesondere sexueller. Hartmann hat neun Loverboy-Opfer selbst betreut. Darunter auch Sara. Mit dem Einverständnis der Opfer schildert Hartmann dem BLICK zwei dieser Schicksale.
Murat drohte Sara mit seiner Knarre
Am Abend im Wellnesshotel gab das fremde Paar Sara Alkohol aus. Das Mädchen ist betrunken, landet plötzlich in einem fremden Hotelzimmer. Murat ist weg. Sie wird vom Paar vergewaltigt. Ihr Freund holt sie am Morgen wieder ab. Auf ihrem Zimmer wartet das Frühstück am Bett. Hartmann: «So machte Murat sie gefügig. Er war abwechselnd charmant und brutal.»
Solche Wochenenden wurden zur Gewohnheit. Zwei bis vier Kunden musste Sara dann befriedigen. Immer waren es Paare. «Murat sagte ihr stets, dass er es anziehend fände, dass sie mit Fremden schlafe. Und er zeigte ihr seine Pistole auf dem Schrank», sagt Hartmann.
Drei Jahre lang gehorchte sie. Erst dann fand Sara heraus, dass Murat von den Paaren Geld verlangte. Dass er daran abkassierte. Sie vertraut sich ihrer Mutter an. «Es dauerte ein Jahr, bis sie von ihm loskam. Doch das Trauma bleibt – ein Leben lang», so die Opferberaterin.
Domina verkaufte Robert als Sexsklaven
Dennoch habe Sara ihren Weg gemacht. Anders als Robert* (15). Der Teenager litt fünf Jahre unter seinem Loverboy beziehungsweise einem Lovergirl. Anja* (18) hiess sie. Er nahm sich mit zwanzig das Leben.
Robert lernte Anja durch einen Bekannten kennen. Beim ersten Treffen allein drängte sie ihn dazu, Gras zu rauchen und Alkohol zu trinken. Später auch, Kokain zu konsumieren. Beim Sex führte sie ihn in die Sadomaso-Szene ein: Sie war die Domina, er der Sklave.
Damals wohnte Robert noch im Heim. Anja schlug vor, er könne zu einem Kollegen ziehen. Er brach aus. Doch der Kollege erwartete Sex als Gegenleistung für die Unterkunft. Robert sah keinen Weg zurück. Er machte mit.
Täter kommen ungestraft davon
Der Jugendliche geriet tiefer in die Prostitution, tiefer in die Drogenszene. Sie gibt ihm Heroin. Als Gegenzug muss er sie als Sklave befriedigen – oder ihre männlichen Freunde. Fünf Jahre später tötete er sich. In seinem Leben hatte er nur zwei Menschen von seinem Schicksal erzählt: Petra Hartmann, seiner damaligen Suchtberaterin, und seinem Onkel.
Weder im Fall von Sara noch bei Robert kam es zu einer Anklage. Hartmann: «Das Problem ist, dass viele Opfer erst nach Jahrzehnten über die Misshandlungen sprechen können – weil sie immer wieder Re-Traumata erleben, also die Misshandlungen noch einmal mental durchmachen.»
Die Taten kommen deshalb spät ans Licht. Häufig zu spät. Täter werden nicht bestraft. Opfer fühlen sich allein gelassen, Angehörige machtlos. Wie Beat T.*: Seine Kollegin erzählte ihm nur bruchstückhaft, was ihr Loverboy ihr antat. Gewalt, Ausbeutung, Isolation. «Ich versuchte, sie zu einer Hilfestelle zu schicken. Doch sie war wie besessen von ihm – bis heute», erzählt er.
Er beobachtet sie per Videochat, wenn sie schläft
Die Schweizerin ist 24 Jahre alt, als sie den Mann aus dem Balkan kennenlernt. Verliebt sich in ihn, schwebt über allen Wolken. Er will sie heiraten. «Wir vermuteten damals alle, dass er sie wegen einer Aufenthaltsbewilligung ausnutzt», sagt T.
Doch die junge Frau glaubt an seine Liebe zu ihr. Einige Monate nach dem ersten Treffen tauschen sie Ringe. Dann die Kehrtwendung. Keine Schmeicheleien, keine Zärtlichkeiten mehr. Dafür Herrschsucht und Kontrollzwang. «Als er zwischenzeitlich im Ausland war, musste sie nachts ihr Skype anlassen, damit er sie beim Schlafen beobachten konnte.»
Zu Hause drängt er sie, verlangte, dass sie hörig war – bei allem, immer. Wenn sie nicht spurte, schlug er sie. «Ob er meine Kollegin auch an andere Männer verkauft hat, darüber schweigt sie», sagt Beat T.
«Egal, wo sie sich versteckte, er tauchte auf»
Ihre Freundschaft litt. Der Loverboy verbietet ihr, mit anderen Kontakt zu haben. Erst als die Situation komplett ausartet, findet seine Kollegin den Mut, die Polizei zu rufen. Sie erstattet Anzeige wegen häuslicher Gewalt. Verurteilt wird er nie.
Sie trennt sich. Er rastet aus, lauert ihr zu Hause auf. «Egal, wo sie sich versteckte, er tauchte immer wieder bei ihr auf», erzählt T. Auch in Gedanken wird die Frau von ihrem Loverboy verfolgt. «Er ist immer präsent in ihrem Kopf. Auch wenn ich mit ihr über etwas völlig anderes rede, kommt sie irgendwie auf ihn zurück.»
Häufig dauert es Jahre, bis die Opfer die Abhängigkeit zu ihrem Loverboy überwunden haben. Wohl auch deshalb trauen sich viele nicht, zur Polizei zu gehen. Dazu passt: Bisher wurde schweizweit noch kein Loverboy verurteilt.
* Namen geändert
Ein Loverboy macht sich in mehrerlei Hinsicht strafbar. In jedem Fall erfüllt er den Straftatbestand der Förderung der Prostitution. Dafür drohen zehn Jahre Haft.
Ist sein Opfer minderjährig, macht sich auch der Freier strafbar. Prostitution ist in der Schweiz für Minderjährige verboten. Bei Verstoss drohen bis zu drei Jahren hinter Gitter oder eine Busse.
Sollte das Opfer ein Kind sein, also jünger als 16 Jahre, kommt ein weiterer Straftatbestand hinzu: sexuelle Handlungen mit einem Kind. Hier drohen dem Freier zusätzlich fünf Jahre Gefängnis. Ebenso dem Loverboy, sollte er mit dem Opfer geschlafen haben.
Bei all diesen Straftatbeständen handelt es sich um Offizialdelikte. Heisst: Die Behörden müssen von sich aus reagieren, sollten sie auf einen Fall hingewiesen werden. Die Ermittlungen werden auch ohne entsprechende Anzeige aufgenommen.
Ein Loverboy macht sich in mehrerlei Hinsicht strafbar. In jedem Fall erfüllt er den Straftatbestand der Förderung der Prostitution. Dafür drohen zehn Jahre Haft.
Ist sein Opfer minderjährig, macht sich auch der Freier strafbar. Prostitution ist in der Schweiz für Minderjährige verboten. Bei Verstoss drohen bis zu drei Jahren hinter Gitter oder eine Busse.
Sollte das Opfer ein Kind sein, also jünger als 16 Jahre, kommt ein weiterer Straftatbestand hinzu: sexuelle Handlungen mit einem Kind. Hier drohen dem Freier zusätzlich fünf Jahre Gefängnis. Ebenso dem Loverboy, sollte er mit dem Opfer geschlafen haben.
Bei all diesen Straftatbeständen handelt es sich um Offizialdelikte. Heisst: Die Behörden müssen von sich aus reagieren, sollten sie auf einen Fall hingewiesen werden. Die Ermittlungen werden auch ohne entsprechende Anzeige aufgenommen.
ACT212 ist das Beratungs- und Schulungszentrum gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung. Der Verein betreibt die nationale Meldestelle und ist eine niederschwellige Anlaufstelle für Hinweise aus der Bevölkerung.
Da sich Opfer von Loverboys in den meisten Fällen nicht selber melden, ist es wichtig, dass sie von ihrem Umfeld Unterstützung erhalten.
Einige Warnzeichen können sein:
- Ununterbrochenes Chatten
- Häufiges Ausgehen
- Rückzug von Familie und Freunden
- Plötzlich viel Geld oder viele neue teure Errungenschaften (wie Kleider oder Schmuck)
- Vermehrtes Fehlen in der Schule mit unstimmigen Begründungen, Noten verschlechtern sich
- Innerliche und äusserliche Veränderungen (vielfach einen anderen Kleidungsstil, der provokativ und sexy ist)
Weil solche Veränderungen aber auch auf viele «normale Teenager» zutreffen können, müssen diese Indikatoren zwingend im Zusammenhang mit einem neuen Freund stehen.
Stellen Eltern, Freunde oder Bekannte solche Anzeichen fest, ist es wichtig, dass sie dem möglichen Opfer ihre Unterstützung anbieten. Hilfe erhalten Sie entweder online unter www.act212.ch oder unter der anonymen Hotline-Nummer 0840 212 212. (frk)
ACT212 ist das Beratungs- und Schulungszentrum gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung. Der Verein betreibt die nationale Meldestelle und ist eine niederschwellige Anlaufstelle für Hinweise aus der Bevölkerung.
Da sich Opfer von Loverboys in den meisten Fällen nicht selber melden, ist es wichtig, dass sie von ihrem Umfeld Unterstützung erhalten.
Einige Warnzeichen können sein:
- Ununterbrochenes Chatten
- Häufiges Ausgehen
- Rückzug von Familie und Freunden
- Plötzlich viel Geld oder viele neue teure Errungenschaften (wie Kleider oder Schmuck)
- Vermehrtes Fehlen in der Schule mit unstimmigen Begründungen, Noten verschlechtern sich
- Innerliche und äusserliche Veränderungen (vielfach einen anderen Kleidungsstil, der provokativ und sexy ist)
Weil solche Veränderungen aber auch auf viele «normale Teenager» zutreffen können, müssen diese Indikatoren zwingend im Zusammenhang mit einem neuen Freund stehen.
Stellen Eltern, Freunde oder Bekannte solche Anzeichen fest, ist es wichtig, dass sie dem möglichen Opfer ihre Unterstützung anbieten. Hilfe erhalten Sie entweder online unter www.act212.ch oder unter der anonymen Hotline-Nummer 0840 212 212. (frk)