Noch bevor die Sonne hinter dem Piz Buin aufgeht, macht sich Gisela Comas (30) ans Tageswerk. Augen für die Schönheiten der Alp Suot hat die Sennerin so früh am Morgen noch nicht. Sie muss die Melkmaschine vorbereiten. Um 6 Uhr wollen ihre 60 Ziegen gemolken werden. Jeden Tag. Von Juni bis September. So lange leben die Tiere von sieben Bauern aus der Region auf der kleinen Ziegenalp im Val Tuoi auf 2018 Metern über Meer.
Zusammen mit Partner Augustin Pelletieri (27) aus Argentinien verbringt sie bereits den zweiten Sommer auf der Alp. Er treibt die Tiere um 9 Uhr auf die steilen Bergweiden. Comas, die studierte Ökonomin, die sich am Plantahof zur Käserin ausbilden liess, steht dann in der Käserei am Dampfkessel. Und macht Halbhart- und Frischkäse. Ihre Produkte verkauft sie direkt auf der Alp sowie an Läden und Hotels. Im letzten Jahr waren es 1500 Kilo.
Comas liebt das einfache Leben in den Bergen. Für die vier Monate bekommt sie 15'000 Franken Lohn. «Ich brauche keinen Luxus», sagt sie. In den raren freien Momenten liest sie Romane, spielt Karten. «Abends trinken wir auch einmal einen Schnaps», verrät sie. «Nur zwei Dinge fehlen mir hier oben: täglich eine Zeitung und der Kontakt mit der Familie.» Darum fährt sie einmal pro Woche mit dem Velo ins Tal. Dank Internet-Telefon Skype hält sie Kontakt mit den Liebsten in der Heimat.
Comas hat ihre Geissen ins Herz geschlossen, kennt alle mit Namen. «Sie sind neugierig und verspielt. Man kann sogar mit ihnen schmusen», sagt sie. Anfang Juni, wenn sie aus dem Tal kommen, seien die Tiere mager. «Nach ein paar Wochen auf der Alp legen sie an Gewicht zu. Ihr Fell beginnt zu glänzen. Das zeigt, dass sie sich bei uns oben wohlfühlen», sagt Comas.
«Aber sie sind frech», wirft Augustin ein. «Als Hirte musst du aufpassen. Die Geissen merken, wenn du abgelenkt bist. Und hauen ab. Dann musst du ihnen nachrennen. Keine einfache Sache auf den steilen Weiden. Die Geissen haben da Heimvorteil», sagt Augustin. Er spricht aus Erfahrung.
Für 95 Franken pro Alpsommer kann man Gotte oder Götti einer dieser Ziegen werden. Das Geld wird direkt wieder für die Alpen der Region eingesetzt. Auf der Alp Suot wurden in den letzten beiden Jahren 70'000 Franken investiert. Etwa für einen Dampfkessel, einen Kamin und ein besseres Käselager.
«Die Arbeit auf der Alp ist hart», sagt Maria Morell (66), die Initiantin der Ziegenalp. «Darum sollen die Sennen und Hirten auch hier oben einen gewissen Komfort haben. Nur so finden wir gute Leute, die dann auch guten Käse machen», sagt die ehemalige Gemeindepräsidentin von Guarda GR. «Es wäre schlimm für die Gemeinde, wenn die Alp nicht mehr bestossen würde. Auch für den Tourismus», sagt Morell. Alle zwei Wochen bietet sie geführte Wanderungen zu den Geissen an. Die begnadeten Kletterer fressen in Steilhängen frisches Gras und knabbern Alpenkräuter. Aber auch Gehölz wie Hasel und Erle.
«Das ist wichtig, denn so tragen sie dazu bei, dass die wertvollen Alpflächen nicht verwildern», weiss Morell. Erst nach 21 Uhr haben Comas und Pelletieri Feierabend. «Ich falle todmüde ins Bett», sagt Comas. Ende September treibt sie dann die Tiere ins Tal zurück, macht erst einmal Ferien. Und heiratet ihren Augustin. Gegen Ende Oktober packe sie das Alpfieber dann wieder. «Und ich sage für eine weitere Saison zu. Das Leben hier oben ist einfach wunderbar.»