Mit 96 zu 88 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgte der Nationalrat am Dienstag seiner Kommission und beschloss, nicht auf die Vorlage des Bundesrates einzutreten. Durchgesetzt haben sich damit die SVP und die FDP, gegen alle anderen Fraktionen. Sie vertraten die Ansicht, die heutigen Bestimmungen genügten.
Mit der neuen Regelung käme es vermehrt zu unbegründeten Meldungen, warnte Pirmin Schwander (SVP/SZ) im Namen der Kommission. Es stelle sich die Frage, wie hoch die Messlatte liege. Zunehmend würden schon schmutzige Kleider oder ein blauer Fleck gemeldet. Yves Nidegger (SVP/GE) stellte fest, ein Verdacht sei etwas sehr Vages. Auch der Begriff des Kindeswohls sei vage.
Die Befürworter warfen den Gegnern vor, «Täterschutz» zu betreiben. Es sei unverständlich, dass jene, die immer nach harten Strafen für Täter riefen, nicht bereit seien, die Opfer besser zu schützen, sagte Sibel Arslan (Grüne/BS).
Die Ausweitung der Meldepflicht würde einen besseren Kindesschutz ermöglichen, argumentierten die Vertreterinnen und Vertreter von SP, Grünen, CVP, GLP und BDP. Mit gesamtschweizerisch einheitlichen Regeln wäre zudem die Rechtssicherheit garantiert.
Bernhard Guhl (BDP/AG) wies auf die Hilflosigkeit der Kinder hin. Misshandlungen führten zu lebenslangen Traumatisierungen. Es gebe Leute, die drehten im Roten, wenn von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) die Rede sei. Doch es brauche eine solche Behörde.
Justizministerin Simonetta Sommaruga rief die Zahlen in Erinnerung. Im Jahr 2014 hätten Kinderkliniken insgesamt 1400 Fälle von Kindesmisshandlungen gemeldet. Ein Fünftel der Kinder sei jünger als 2 Jahre alt gewesen, 40 Prozent jünger als 6 Jahre. «Überlassen Sie doch nicht ausgerechnet die Schwächsten unserer Gesellschaft, die kleinen Kinder, sich selber», sagte Sommaruga.
Das Parlament habe sich in den vergangenen Jahren oft mit Strafen für Täter befasst, stellte die Justizministerin fest. Das seien wichtige Überlegungen. «Aber wir haben auch die Aufgabe, uns zu überlegen, wie wir solche Straftaten verhindern können.»
Im Nachhinein stelle sich oft die Frage, warum niemand hingeschaut habe, gab Sommaruga zu bedenken. Heute sei von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt, wer zu einer Meldung verpflichtet und wer dazu berechtigt sei. Das sei nicht sinnvoll.
Die Vorlage geht nun an den Ständerat. Von den neuen Regeln betroffen wären Personen, die beruflich regelmässig Kontakt zu Kindern haben - beispielsweise professionelle Sporttrainer, Musiklehrer, Angestellte von Kinderkrippen und Tagesmütter. Der Bundesrat möchte sie dazu verpflichten, bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls Meldung an die Kindesschutzbehörden zu erstatten.
Heute müssen nur Personen in amtlicher Tätigkeit - beispielsweise Lehrer oder Sozialarbeiter - den Behörden grundsätzlich mitteilen, wenn ein Verdacht auf Kindeswohlgefährdung besteht. Neu soll diese Pflicht auch für Fachpersonen aus den Bereichen Betreuung, Bildung, Religion oder Sport gelten.
Untersteht eine Person dem Berufsgeheimnis, soll sie nach dem Vorschlag des Bundesrates nicht verpflichtet, aber berechtigt sein, sich an die Kindesschutzbehörde zu wenden. Das betrifft etwa Ärztinnen, Psychologen und Anwälte. Heute dürfen diese nur Meldung erstatten, wenn eine strafbare Handlung vorliegt. Künftig sollen sie vorher einschreiten können.
Generell soll eine Meldung jedoch nur dann erfolgen, wenn die Fachperson nach Abwägung der Interessen zum Schluss kommt, dass das dem Wohl des Kindes dient. Personen, die dem Berufsgeheimnis unterstehen, sollen neu auch berechtigt sein, der Kindesschutzbehörde bei der Abklärung des Sachverhalts zu helfen.
Aus Sicht des Bundesrates würde damit der Kindesschutz gestärkt. Die neuen Regeln würden gewährleisten, dass die Kindesschutzbehörde rechtzeitig die nötigen Massnahmen zum Schutz eines gefährdeten Kindes treffen könne, schreibt die Regierung in ihrer Botschaft ans Parlament.
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