Gemäss der im «Tages-Anzeiger» vom Samstag vorgestellten Studie der Berner Fachhochschule Wirtschaft, Gesundheit, Soziale Arbeit bieten hierzulande nur gerade drei Opferhilfe-Beratungsstellen fachkompetente Hilfe für Menschen mit Behinderungen an, die Opfer sexueller Gewalt werden.
Doch auch diese drei Beratungsstellen decken nicht alle Behinderungen ab. Überdies sind sie nur in den beiden Appenzell, den Kantonen St. Gallen, Zug und Zürich tätig.
In den übrigen Kantonen gibt es zwar einerseits Stellen, die sich auf das Thema sexuelle Gewalt spezialisiert haben, aber keine Fachkompetenz im Umgang mit Menschen mit Behinderung haben und umgekehrt, schreiben die Autoren der Studie. Diese hat der «Tages-Anzeiger» im Internet aufgeschaltet.
An der Umfrage haben sich 181 Organisationen in der ganzen Schweiz beteiligt. «Die Stellen- und Angebotslandschaft macht insgesamt einen heterogenen und fragmentierten Eindruck, weshalb es für hilfesuchende Personen und Institutionen nicht immer einfach sein mag, ein für ihre Bedürfnisse passendes Angebot zu finden», heisst es darin.
Selbst für Fachleute ist es oft schwierig, Betroffene an die richtige Stelle zu verweisen. Bei vertiefenden Gesprächen mit Stellenleitenden «kam häufiger zum Ausdruck, dass ein Mangel an Übersicht besteht, was eine effiziente Weitervermittlung» erschwere oder gar verhindere.
Kommt hinzu, dass die meisten Organisationen sehr klein sind: Mehr als die Hälfte arbeitet mit weniger drei Vollzeitstellen. Das wenige Personal muss zudem mehrere Themen gleichzeitig bearbeiten.
Die Studie hat auch untersucht, an welche Gruppen von Opfern sexueller Gewalt sich die Angebote richten. Am ehesten finden Erwachsene, Jugendliche bis 25 Jahre, Frauen und Kinder eine Anlaufstelle, wo sie rasch und unbürokratische Hilfe erhalten können.
Dagegen finden neben Menschen mit Behinderungen auch Menschen, die von den Tätern abhängig sind, Menschen in Heimen, ältere Menschen oder Ausländerinnen und Ausländer sowie Männer schwer kompetente Hilfe, wenn sie Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurden.
Die Studie kommt zum Schluss, dass eine nationale Anlaufstelle Abhilfe schaffen könnte. Dabei sehen die Autoren zwei mögliche Aufgabengebiete: Eine nationale Telefonhotline könnte Betroffene und Angehörige direkt an die richtige Stelle in ihrer Region vermitteln.
Auch fehlt eine kantonsübergreifende Fachstelle, die die Kantone bei der Forschung, Aus- und Weiterbildung und der Prävention unterstützt und vernetzt, und die politisches Lobbying betreibt.
Die Studie der Fachhochschule Bern war von der verbandsübergreifenden Arbeitsgruppe Charta Prävention «Wir schauen hin!» in Auftrag gegeben worden. Die Charta war von Heimen und Behindertenorganisationen unterzeichnet worden, nachdem die Behörden 2011 die Öffentlichkeit über den Fall des Berner pädokriminellen Sozialtherapeuten informiert hatten.
Der Mann hat nach seiner Verhaftung 2010 den mehrfachen sexuellen Missbrauch von 114 Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Heimen in der Schweiz und Deutschland zugegeben. 2014 wurde er zu 13 Jahren Haft verurteilt. Wegen der Verjährung beurteilte das Gericht nur 33 der Missbrauchsfälle.
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