Migrations-Expertin der Uni Bern
«Wir könnten viel mehr Flüchtlinge aufnehmen»

Hunderttausende von Migranten sind auf dem Weg nach Europa, wo völlig verschiedene Kulturen aufeinanderprallen. Julia Eckert, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Sozialanthropologie an der Uni Bern, erklärt, wie diese Durchmischung aus ihrer Sicht funktionieren könnte.
Publiziert: 29.08.2015 um 23:09 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 03:39 Uhr
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Der lange Marsch: Hunderte von Flüchtlingen zu Fuss auf dem Weg nach Serbien – mit dem Baby auf dem Arm.
Foto: Pascal Mora
Interview: Guido Felder

Frau Eckert, wie viele Flüchtlinge kann Europa aufnehmen?

Julia Eckert: Es ist unmöglich, eine genaue Zahl anzugeben. Allerdings kommen lange nicht so viele, wie Europa aufnehmen könnte.

Wie kann man den Flüchtlingsstrom unterbinden? Was nützen Grenzzäune?

Jene, die kommen, werden kommen, egal, welche Grenzmassnahmen wir treffen. Es ist nur die Frage, ob wir uns allen durch die Entkriminalisierung der Migration nicht viel ersparen würden. Je schärfer die Kriminalisierung, desto mächtiger die mafiösen Schlepperorganisationen. Auch würden wir so nicht Tausende in den Tod treiben.

Das heisst, Sie würden einfach die Tore nach Europa öffnen?

Die Möglichkeiten, legal nach Europa zu migrieren, müssen erweitert werden, dann wird Asyl auch nicht missbraucht. Die EU muss sichere Wege für Flüchtlinge schaffen, indem man Visapflichten in Krisenländern aussetzt und Asyl schon in den Botschaften dort vergibt.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für Europa aus ethnologischer Sicht?

Nicht einmal bei der Integration. Vielmehr ist es wohl die Herausforderung, eine Gesellschaft zu schaffen, die auch den Schwächsten unter uns ein gutes Leben gewährleistet.

Das geschieht nicht von heute auf morgen. Sind bei so vielen Migranten innert so kurzer Zeit nicht Spannungen programmiert?

Unterschiede – sie sind oft viel kleiner, als man meint – können bereichern. Gesellschaften sind ja nicht dadurch definiert, dass sich alle einig sind, was richtig und gut ist, sondern dass man sich einigermassen einig ist, wie man sich streitet.

Der Unmut über die Zuwanderung wächst trotzdem. Wie kann man die Unzufriedenen beruhigen?

Diese Beunruhigung entstammt aus ganz anderen Unsicherheiten: aus Zukunftsängsten, Abstiegsängsten. Deren strukturelle Ursachen muss man beseitigen, daran sind weder Flüchtlinge noch andere Migranten schuld. Wir müssen zu einer Gesellschaft finden, die auch unter den lange Ansässigen Unterschiede, Schwächen und Stärken des Einzelnen akzeptiert.

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