Menschenhandel
Haftstrafe im Schlepper-Prozess in Lugano gefordert

Vor dem Kantonsstrafgericht in Lugano hat am Mittwoch ein Prozess gegen eine mutmassliche Schlepperbande begonnen. In der Befragung kam zu Tage, dass der Menschenhandel mit syrischen Flüchtlingen für die fünf Männer ein Nebenverdienst war.
Publiziert: 04.11.2015 um 18:25 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:29 Uhr

Aus Geldnot seien sie zu Schleppern geworden, sagten die vier mutmasslichen Menschenhändler am Mittwoch vor dem Kantonsstrafgericht in Lugano. Die fünfte angeklagte Person war nicht vor Gericht erschienen.

Drei der Männer waren selbst noch nicht lange im Tessin wohnhaft - sie kamen aus dem Iran und Brasilien in die Schweiz. Einer von ihnen betrieb ein Lebensmittelgeschäft, ein anderer war in einer Autogarage tätig. Die «Kurierdienste» hätte er nur ausserhalb seiner regulären Arbeitszeiten ausführen können, sagte der Automechaniker am Mittwoch. Er selbst sei über eine Schlepper-Route vor 12 Jahren aus dem Iran in die Schweiz gelangt, sagte er auf Nachfrage in der Prozesspause.

Der Hauptangeklagte 44-jährige Iraner trat bereits im Januar eine vorläufige Haftstrafe an. Vor Gericht gab er zwar zu, die ihm zu Last gelegten Straftaten begangen zu haben, stritt allerdings seine zentrale Rolle im Schlepper-Netz ab.

Er soll in 46 Fällen zwischen September 2013 und September 2014 zusammen mit den Mitangeklagten vorwiegend syrische Flüchtlinge über die Schweiz nach Deutschland geschleust haben.

Die Angeklagten seien Teil einer grösseren kriminellen Organisation, die die Notlage der Flüchtlinge schamlos ausnutzten, sagte die Staatsanwältin in ihrem Strafantrag. Der Hauptangeklagte sei bereits 2010 den deutschen Behörden wegen Menschenhandels ins Netz gegangen.

Für ihn sei eine unbedingte Haftstrafe von vier Jahren gerechtfertigt, sagte die Staatsanwältin in ihrem Strafantrag - die geforderten Strafen für die anderen Angeklagten liegen bei unter zwei Jahren und sind zum Teil zur Bewährung ausgesetzt.

Durchschnittlich sollen drei Flüchtlinge an Bord der Transporte gewesen sein - insgesamt haben die fünf Schlepper 143 Menschen aus Syrien oder den Anrainerstaaten in die Schweiz gebracht. Die Transporte sollen aus der Region von Mailand und Varese über nicht besetzte Grenzübergänge in die Schweiz erfolgt sein, wie aus der Anklageschrift hervorgeht.

Ein Teil der geschleusten Menschen sei von der griechischen Insel Korfu gekommen, sagte einer der Angeklagten vor Gericht. Dafür seien Wohnmobile in Italien angemietet worden. Den weiteren Transport in Richtung der Grenzstellen nach Deutschland, Kleinhüningen (BS) und Kreuzlingen (TG), haben die Männer über ein «Staffel-System» mit mehreren Fahrzeugen organisiert.

Dem Hauptangeklagten wird vorgeworfen, wirtschaftliche Vorteile aus der Notsituation von 143 beförderten Menschen geschlagen zu haben. Für den Schlepperdienst sollen er und die Mitangeklagten zwischen 500 und 890 Franken verlangt haben. Der übliche «Tarif» hat auf dieser Strecke aber laut Anklageschrift nur rund 360 Franken betragen. Auf diese Weise seien zwischen 23'000 und 34'000 Franken in die Taschen des 44-Jährigen und der der weiteren Angeklagten geflossen sein.

Die Angeklagten rechtfertigten dies vor Gericht damit, dass die Flüchtlinge vorwiegend syrischer Herkunft über keine Ausweisdokumente verfügten und der Transfer dementsprechend schwerer zu organisieren gewesen sei.

Der Verteidiger des Hauptangeklagten zog in seinem Plädoyer einen Vergleich mit einer gewöhnlichen Spesenrechnung: Gemäss einer Berechnungstabelle des TCS würden für eine Hin- und Rückfahrt von Mailand nach Kreuzlingen schon Material- und Benzinkosten von 350 Franken entstehen. Den Männern könne deshalb für den Flüchtlingstransfer kein Wucher unterstellt werden.

Die Männer seien gut mit den Flüchtlingen umgegangen - sein Mandant sei kein Teil einer kriminellen Organisation. Im Gegenteil: Die Männer selbst seien für ihre Tätigkeit ausgebeutet worden. Von den 10'000 bis 15'000 Dollar, die Flüchtlinge für ihren Transfer zahlen müssten, hätten die Beschuldigten nur einen Bruchteil eingestrichen.

Er forderte deshalb einen Freispruch vom Vorwurf des Wuchers und für den Verstoss gegen das Ausländergesetz eine Strafe von 12 Monaten auf Bewährung.

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