Massenbesäufnis «Botellon»:
Politik und Polizei machtlos

Zu Tausenden melden sich Jugendliche zum Zürcher Massenbesäufnis an. Polizei und Politik brummt jetzt schon der Schädel.
Publiziert: 18.08.2008 um 21:08 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 16:24 Uhr
Von Thomas Ley und Karin Baltisberger

Ein feucht-fröhlicher Sturm, ausgelöst von einem 17-Jährigen, der auch noch so heisst: «Mit diesem riesigen Echo habe ich nicht gerechnet», sagt Jan Fröhlich. Damit meint er nicht nur das Medien-Echo: Als er auf der Webseite Facebook zum öffentlichen Massenbesäufnis aufrief, rechnete er mit ein paar hundert Interessierten.

Bis heute sind es über 4000.

Die Behörden wissen Ort und Zeit des Saufgelages: am 29. August auf der Zürcher Chinawiese. Aber sie wissen noch nicht, ob sie überhaupt eingreifen können.

Aber verhindern wollen sie es: «Polizeidirektorin Esther Maurer will dazu alle rechtlichen Mittel ausschöpfen», sagt ihr Sprecher Reto Casanova. Am liebsten würde die Polizei einfach Nein sagen: «Aber bis jetzt ist bei uns noch kein Bewilligungsgesuch eingegangen», sagt Stadtpolizei-Sprecherin Judith Hödl. «Und noch ist nicht klar, ob es überhaupt ein Gesuch bräuchte.» Falls doch, ist Sense mit dem Facebook-Happening: «Die Polizei würde kaum zusagen.»

Denn die Zürcher sehen anderswo, wie sowas endet. Der Brauch des «Botellón» (deutsch: «Riesenflasche») kommt aus Spanien – wo sich die Jungen mit immer grösseren Gelagen überbieten. Lärm, Abfall, Alkoholvergiftungen inklusive. Die Polizei schwankt zwischen Verbot und Duldung. In Granada stieg 2006 unter Polizeibewachung ein «Macro-Botellón» – mit 20000 Teilnehmern.

Unterdessen hat es auch die Romandie gepackt. Vor einem Monat hinterliessen in Genf über tausend Trinkfreudige Abfallberge. Genf will die Partys inzwischen verhindern. Doch am Freitag wollen die Jung-Genfer schon wieder gemeinsam Bier und Schnaps bechern.

Und jetzt also auch die Deutschschweizer: In Bern ist ein Happening geplant, in Zürich ist es beschlossen. Und das Facebook-Publikum findets prima: «Mal was anderes», sagt Livia (18), eine der 4000 Botellón-Interessierten: «So ist das Trinken viel billiger.» Dass die Riesenparty einen schlechten Ruf hat, stört die Jungen nicht: «Das macht doch genau den Reiz aus», gibt Silas (19) zu. Er selber will sich zwar nicht ins Koma trinken. «Aber was meine Kollegen wollen, weiss ich nicht.»

Doch was darf die Polizei tun? Öffentliches Trinken ist schliesslich erlaubt, solange man dabei nicht lärmt oder etwas beschädigt. «Die Polizei kann sich auf den Generalartikel für ‹Ruhe und Ordnung› berufen», sagt der Freiburger Staatsrechtsprofessor Peter Hänni. «Aber das ist etwas schwammig.» Er rät dazu, den Anlass bewilligungspflichtig zu machen. «Denn hier wird ja öffentlicher Grund benutzt.» Das Problem: Dazu müssten die «Veranstalter» die Zahl der Teilnehmer vorher angeben.

Die Gesundheitsbehörden vertrösten auf später: Derzeit werde das Nationale Programm Alkohol erarbeitet, meldet Thomas Zeltners Bundesamt für Gesundheit: Man baue auf «Information und Sensibilisierung» der Jugendlichen.

«Botellón»-Teilnehmer wie Robin (27) dürften Politiker-Appelle kaum beeindrucken: «Ich will doch vor allem unseren Stapi Elmar Ledergerber ein bisschen ärgern.»

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