Markus Studer aus Dübendorf ZH war Herz-Chirurg und wurde LKW-Fahrer
«Aber damit kann man kein Geld mehr verdienen»

Die Rechnung des ehemaligen Chirurgen ging nicht auf. Die Schweiz kann im internationalen Transportwesen nicht mehr mithalten.
Publiziert: 11.11.2012 um 20:44 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:02 Uhr
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Mit seinem Truck fuhr Markus Studer über eine Million Kilometer.
Foto: Lea Meienberg
Von Adrian Schulthess

Über eine Million Kilometer haben sie in knapp zehn Jahren zusammen  zurückgelegt: der rote Mercedes Benz Actros 1846 MP2 und sein Chauffeur, Markus Studer (66) aus Dübendorf ZH. Jetzt fährt der Laster ohne ihn, sagt Studer, «irgendwo in Saudi-Arabien, wo die Abgasnormen nicht so streng sind».

Studer musste seinen Lebenstraum aufgeben. «Das hat schon wehgetan. Lastwagenfahrer zu werden, das war vor allem eine Bauchentscheidung. Damit aufzuhören, das hat der Kopf entschieden», sagt er.

«Die Rechnung ging einfach nicht mehr auf. Im internationalen Transportwesen sind die Preise so tief gefallen, dass in der Schweiz niemand mehr mithalten kann.»

Ausstieg aus Solidarität

Der Grund, so Studer: die Öffnung Europas gegen Osten hin. «Heute sieht man fast nur noch Osteuropäer auf den internationalen Routen. Tschechen, Polen und Litauer. Die können ganz anders rechnen als wir in der Schweiz, nur schon die Lebenshaltungskosten sind massiv tiefer.»

Studer stieg aus Solidarität aus. «Klar könnte ich mitziehen mit den Dumpingpreisen. Wegen meiner speziellen Position im Geschäft. Aber ich will nicht zu Konditionen fahren, die sich meine Chauffeurkollegen nicht leisten können.»

Auf den Autobahnen Europas war Studer ein Unikum. Ein Quereinsteiger. Bis Mitte 50 war er einer der renommiertesten Chirurgen der Schweiz, war Oberarzt am Unispital Zürich und später Mitgründer des Zürcher Herzzentrums der Hirslanden-Gruppe.

In einem Alter, in dem andere erste Gedanken an die Frühpensionierung wagen, hat Markus Studer noch mal ganz neu angefangen: Er gründete ein eigenes Transportunternehmen, kaufte den roten Mercedes und einen 32 000-Liter-Tankanhänger. Seit 1. Januar 2003 war der Ex-Chirurg selbständiger Chauffeur.

Traumberuf Lastwagenfahrer

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Auch die Wartung des Mercedes gehörte zum Job.
Foto: SRF

«Als Chirurg war ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Und an diesem Punkt wollte ich aufhören», so Studer. «Ich habe in meinen Traumberuf gewechselt, so die Welt kennengelernt, meinen Horizont erweitert.» Sein Spurwechsel kam an: als Buch («Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer», 2006) und als Dokfilm («Fernfahrer mit Doktortitel», 2010).

«Es war eine schöne Zeit», sagt Studer. «Auch heute kann ich mir keinen schöneren Ort vorstellen als das Bett in der Lastwagenkabine, wenn der Regen aufs Dach trommelt.»

Meran, Antwerpen, Rotterdam, Hamburg: Studer und sein Mercedes steuerten ganz Europa an. «Ich habe so viel gesehen und erlebt! In Frankreich zum Beispiel. Plötzlich taucht neben der Strasse ein australischer Friedhof auf. Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. Die sind um die halbe Welt gereist und in einem Krieg gestorben, mit dem sie eigentlich nichts zu tun hatten. Ohne meinen Lastwagen hätte ich das nie gesehen.»

Die Frankreich-Touren seien ihm am liebsten gewesen. «Dort ist die Infrastruktur am besten. Und in Frankreich wird die Arbeit der Chauffeure noch geschätzt», sagt Studer. «In der Schweiz werden Chauffeure geächtet: Jedes Kind lernt, dass Güter auf die Bahn gehören und die Lastwagen sowieso nur die Strassen verstopfen und sich Elefantenrennen liefern.»

Obwohl Studer seinen LKW verkauft hat, kurvt er weiter durch Europa: «Ich fahre jetzt für ein Car-Unternehmen. Rundreisen, bis zu zwei Wochen. Ich kann mir die Routen aussuchen, muss nur jene fahren, die ich will. Am Nordkap war ich bereits drei Mal!»

Der grösste Unterschied zum früheren Job: «Jetzt redet meine Ladung mit mir. Das ist schon etwas anderes als 25 Tonnen Orangensaft! Meistens bin ich ohne Reiseleiter unterwegs und erkläre den Passagieren, was man aus dem Fenster sieht.»

Lastwagenchauffeure spotteten gern über die Car-Kollegen, sagt Studer. «Früher waren das Weicheier für mich. Sie tragen Krawatten und schlafen im Hotel. Und jetzt bin ich plötzlich einer von ihnen!»

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