Die halbe Welt schaut auf Visp VS. Dort produziert der Schweizer Chemieriese Lonza den Grundstoff für das Vakzin des US-Biotech-Unternehmens Moderna. Der Druck ist immens: Vor einer Woche vermeldete Moderna Lieferverzögerungen, auch die Schweiz ist betroffen.
Tausende Impftermine mussten umdisponiert werden. Aus den Kantonen wurden sogar Forderungen laut, dem Bundesamt für Gesundheit BAG das Impfstoffdossier zu entziehen.
Bereits im März titelte der «Walliser Bote»: «Läuft Lonza in Visp am Limit?». Recherchen von SonntagsBlick zeigen jetzt: Es fehlt vor allem an qualifiziertem Personal – das hat direkte Folgen für die Produktion des Vakzins.
Fachkräftemangel
An einer Medienkonferenz des internationalen Pharmaverbandes am Freitag machte Moderna-Chef Stéphane Bancel den Walliser Hersteller direkt für den Verzug verantwortlich. Als Grund gab Bancel an, dass sich bei Lonza die Anstellung von Fachkräften verzögere.
Der Bund ist bereit, den Vispern beizustehen. Gut informierte Quellen berichten, das Innendepartement (EDI) von Bundesrat Alain Berset sei bereits im März bei Lonza vorstellig geworden, um zu erfahren, ob Bern in irgendeiner Form helfen könne. Lonza-Verwaltungsratspräsident Albert Baehny habe dies aber verneint.
Vor anderthalb Wochen fand dennoch ein Treffen zwischen Bundesrat Berset und Baehny satt. Dabei habe der Lonza-Chef eingeräumt, dass in Visp derzeit 80 bis 100 Biotechnologiespezialisten fehlten. Lonza sei es bis dahin nicht gelungen, diese zu rekrutieren.
Lonza schweigt
Berset habe daraufhin Hilfestellung bei der Suche nach Spezialisten zugesichert. Das Unternehmen reagierte auf Anfrage von SonntagsBlick nicht. Bersets Innendepartement schreibt, man wolle Lonza «bei der anspruchsvollen Rekrutierung der Fachkräfte für die Produktion des Wirkstoffes für den Covid-19-Impfstoff unterstützen».
Das EDI klärt derzeit ab, «ob Spezialisten aus Bundesverwaltung, bundesnahen Betrieben und Hochschulen beigezogen werden können». Zudem wird geprüft, wie die Vermittlung von Mitarbeitenden aus Pharmabetrieben und weiteren Unternehmen zu unterstützen wäre – denn die Versorgung mit Moderna-Impfstoff «ist für die Schweiz von herausragender Bedeutung».
Doch nicht nur personelle Engpässe führen derzeit zu Lieferverzögerungen in aller Welt. Auch an Grundstoffen, die für die Herstellung der Impfungen benötigt werden, herrscht Knappheit.
Zwar lassen sich Vakzine auf mRNA-Basis vergleichsweise rasch herstellen. Bis zur Auslieferung vergehen nur rund vier Wochen, zwei bis drei davon sind für abschliessende Qualitäts- und Kontrolltests notwendig.
Allerdings sind neben der genetische Informationen tragenden mRNA über 100 weitere Rohstoffe nötig. Unter anderen sogenannte Phospholipide für die zwingend notwendige Umhüllung der mRNA, die sonst im Körper sofort abgebaut werden würde. Zudem braucht es Oligonukleotide als Bausteine der mRNA selbst.
Diese beiden Inhaltsstoffe sind also besonders wichtig. Sie werden derzeit von Dutzenden eher kleinen Biotech-Unternehmen überall auf der Welt im Akkord hergestellt. Die Firmen sind jedoch durch Mengen überfordert, wie sie von den Impfriesen geordert werden, und stossen an ihre Kapazitätsgrenzen.
Grundstoffe fehlen
Michael Nawrath, Arzt und Pharmaanalyst, sagt: «Der Markt ist ausgetrocknet. Moderna und Biontech suchen händeringend nach diese Grundstoffen.»
Bereits letztes Jahr, bevor die ersten Vakzine überhaupt zugelassen waren, entstanden für die klinischen Versuchsreihen Wartezeiten von bis zu 18 Monaten, um die Belieferung mit Phospholipiden und Oligonukleotiden zu bewerkstelligen.
Eine weitere Hürde, die von den Impfstoffherstellern offenbar massiv unterschätzt worden war: der Reinheitsgehalt des Rohmaterials muss einwandfrei sein – was die Suche nach qualitativ hochwertigen Stoffen noch schwieriger gestaltet.
«Die Biotech-Unternehmen haben den Mund bei ihren Ankündigungen, in welcher Zeit wie viele Dosen hergestellt werden können, etwas voll genommen», meint Branchenkenner Nawrath. «Und die Länder haben ihnen bei den Bestellungen einfach geglaubt.»
Zu konkreten Fragen wollte sich das BAG nicht äussern. Auch nicht, ob der Bund die Komplexität der Impfstoffherstellung unterschätzt habe.
«Wir reden hier von komplett neuen, teilweise sehr fragilen Lieferketten. Kleinste Verzögerungen haben enorme Auswirkungen auf die Produktion», sagt Andrin Oswald, der im Namen der Schweiz als externer Delegierter für Impfstoffbeschaffung mit den Herstellern verhandelt hat. «Wenn ein Land keine Verzögerungen will, hätte es Puffer einbauen müssen», sagt Oswald. Genau das hat die Schweiz offenbar verpasst.
Trotz personeller und materieller Schwierigkeiten hält die Branche an ihrem erklärten Ziel fest: zehn Milliarden Dosen sollen bis Ende Jahr vom Band gehen.
Bleibt zu hoffen, dass nicht wieder etwas dazwischenkommt.
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