Plüschtiere, Farbstifte und Bilderbücher. Das Kinderzimmer sieht noch genau so aus wie am Tag, als Marwan es verliess. Nur die Geschenke auf dem Schreibtisch sind nicht ausgepackt. Der kleine Bub wurde am 16. September sechs Jahre alt. Den Geburtstag konnte er nicht mit Mama Dijana Manteva (39) in Coldrerio TI feiern. Denn Marwan ist verschwunden. Seit über acht Monaten. Entführt vom Vater, einem Ägypter. Die Mutter ist verzweifelt: «Ich weiss nicht, wo Marwan ist, wie es ihm geht.»
Es ist der 7. Februar 2015. Wie jeden Samstag bringt die Tessinerin ihren Sohn ins Frauenhaus Casa Santa Elisabetta. Zehn Jahre war Dijana mit Hassan S.* (40) verheiratet. Es gab Prügel und Streit. Immer wieder. Es folgten Trennung, Scheidung, Besuchsregelung.
«Er sollte das Wochenende mit seinem Vater verbringen», erzählt Dijana vom letzten Tag mit Marwan. Am Abend ruft die Pharmahändlerin bei Hassan S. (40) an: «Ich wollte meinem Kind wie immer eine gute Nacht wünschen.» Doch das Handy war tot. Hassan war mit Marwan nach Kairo geflogen. Der Kellner hatte heimlich einen ägyptischen Pass für den Buben besorgt und konnte ungehindert ausreisen.
Ägyptisches Konsulat in Bern, Schweizer Botschaft in Kairo, Verwandte und Freunde von Hassan werden von der verzweifelten Mutter angefleht: «Bitte sagt mir, wo Marwan ist.» Der Imam von Lugano TI soll helfen. Manteva gelingt es sogar, Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei deren Besuch im Tessin das Dossier ihres Sohnes in die Hand zu drücken. Nichts hilft. Ägypten habe das Haager Abkommen nicht unterzeichnet, so die trockene Antwort aus Bern. Es fehlten die Gesetze, um Marwan zurückzuholen.
Auch wenn Interpol wegen Kindsentführung fahndet und Ägypten versprochen hat, Marwan zu finden, fehlt jede Spur. «Es ist wie ein Labyrinth ohne Ausgang», sagt Dijana Manteva. «Wer schützt mein Kind? Marwan ist Schweizer! Und er braucht seine Mutter. Was tut man ihm bloss an?» Grosse Sorge bereitet Dijana auch die Zukunft ihres Sohnes: «Er muss doch zur Schule. Was wird aus ihm werden? Gib mir meinen Sohn zurück, Hassan!»
Manteva hängt ein Bettlaken aus dem Fenster ihrer Wohnung. Darauf steht «Marwan back home». Es entsteht eine gleichnamige Website, eine Facebook-Seite. Rund 2500 Personen folgen Marwans Schicksal online. Mitte Oktober kommen 150 Freunde in Lugano zu einem Flashmob zusammen. «Vereint sind wir stark», so das Motto. Doch bringt das den kleinen Marwan wieder heim ins Tessin?