Lukas Bärfuss zeigt im Literaturhaus Zürich sein Buch
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Buchpremiere «Vaters Kiste»:Lukas Bärfuss zeigt im Literaturhaus Zürich sein Buch

Lukas Bärfuss über seine Literatur
«Ich habe alles abgeschrieben»

Sein neustes Buch handelt vom Erben. Im Gespräch mit Blick erklärt Lukas Bärfuss, wieso er froh ist, nichts geerbt zu haben. Was ihm von seinem Vater blieb – und wie viel Shakespeare in ihm steckt.
Publiziert: 18.10.2022 um 12:10 Uhr
Benno Tuchschmid
Lukas Bärfuss neues Buch «Vaters Kiste» handelt vom Erben.
Foto: Philippe Rossier

Das Gespräch wollte Lukas Bärfuss (50) in der Zürcher Altstadt führen. Dort, wo einem auf Schritt und Tritt kulturelles Erbe begegnet. Gerade eben hat er von der Universität Freiburg den Ehrendoktor bekommen. Vererbbar ist der Titel nicht.

Was möchten Sie Ihren Kindern hinterlassen?
Lukas Bärfuss: (Überlegt lange) Wenn es nur ein Wollen wäre, dann wäre die Antwort auf die Frage einfach. Der Privatbesitz ist in meinem Falle schnell erledigt. Es gibt in meiner Familie auch keinen Grundbesitz und ich habe auch nicht die Absicht, welchen zu kaufen.

Und darüber hinaus?
Die Welt, in der ich gross wurde, erfolgreich wurde, die mich genährt hat, die trägt einen inneren Widerspruch in sich: Sie strebt nach Wachstum und diese Art von Wachstum entzieht der zukünftigen Generation die Lebensgrundlage.

Der Renommierte

Lukas Bärfuss (50) ist einer der bedeutendsten Schweizer Autoren. Mit dem Georg-Büchner-Preis hat er 2019 den bedeutendsten Literaturpreis des deutschsprachigen Raums gewonnen. Bärfuss lebt in Zürich und ist Vater von zwei Kindern. Einmal im Monat schreibt er für das SonntagsBlick Magazin.

Philippe Rossier

Lukas Bärfuss (50) ist einer der bedeutendsten Schweizer Autoren. Mit dem Georg-Büchner-Preis hat er 2019 den bedeutendsten Literaturpreis des deutschsprachigen Raums gewonnen. Bärfuss lebt in Zürich und ist Vater von zwei Kindern. Einmal im Monat schreibt er für das SonntagsBlick Magazin.

Aber da ist einiges im Gang. Der Klimawandel ist erkannt. Die Energiewende läuft.
Zu spät. Ein Grossteil unserer Erbmasse ist bereits definiert. Wir können gedanklich und technologisch an Lösungen arbeiten, wie unsere Kinder da wieder rauskommen. Die Dekarbonisierung ist nicht damit getan, dass man auf andere Energien umsteigt. Es braucht eine Dekarbonisierung des Denkens.

Ihr Buch beginnt damit, dass Sie zu Hause aufräumen.
Putzen ist ein Dienst an den Nachkommen. Ich weiss ja nicht, wann es mich putzt (lacht).

Ihnen kommt dabei eine Bananenkiste in die Hände. Es ist das Einzige, was Ihr Vater Ihnen hinterliess. Ist Ihnen darin etwas lieb?
Es gab darin nur einen einzigen Wertgegenstand: ein Sanyo-Kassettengerät. Das stand eine Weile in der Küche – und hat Musik gemacht. Aber nostalgischen Gefühle habe ich keine – und wenn ich sie hätte, würde ich sie mir ausreissen.

«Ich bin glücklich, nichts geerbt zu haben», sagt Lukas Bärfuss im Gespräch mit Blick.
Foto: Philippe Rossier

Was bedeutet es, Nichterbe zu sein in unserer Gesellschaft?
Eine unglaubliche Freiheit. Wenn ich sehe, was das bedeutet, wenn man ein Haus erbt. Das gelingt gewissen Familien ordentlich, aber in vielen Fällen leider nur sehr schlecht. Familiäre Beziehungen werden belastet. Darum bin ich glücklich, nichts geerbt zu haben.

Besitz ist oft mit Schulden verbunden. Das spüren viele Menschen im Moment mit den steigenden Hypothekarzinsen.
Der Kapitalismus beruht darauf, dass wir uns verschulden. Ich will das nicht. Ich bin bereit, Risiken einzugehen und stehe in vielen Verbindlichkeiten, aber ich möchte, dass sie menschlich und nicht finanziell begründet sind. Ich schulde niemandem was. Ausser den Menschen, die ich liebe.

Seit wann vererben wir Menschen eigentlich?
Gestorben wurde immer. Nachlässe entstehen ohne unser Zutun. Wie man mit ihnen umgeht, wurde in der Geschichte unterschiedlich gehandhabt. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war es eine Zeitlang sogar heilsnotwendig, dass man sein Erbe vor dem Tod verschenkt. Kein reicher Mensch kam ins Himmelreich.

Und das heutige Erbrecht?
Das Schweizerische Erbrecht gibt es in seiner heutigen Form seit 1908. Das ist gleichzeitig eine lange und eine kurze Zeit. Lang, weil seither viel geschehen ist, kurz, weil andere Gesetze im Vergleich viel älter sind. Entscheidend ist: Die gesellschaftlichen Grundlagen haben sich grundlegend verändert. Wir brauchen ein neues Erbrecht.

Das Gespräch mit Lukas Bärfuss fand in der Altstadt von Zürich statt.
Foto: Philippe Rossier

Das ist doch politisch völlig unrealistisch!
Im Gegenteil. Die Wirklichkeit macht Druck. Reformen sind unumgänglich. Das heutige Erbrecht hat keine Perspektive. Die ungleiche Verteilung der Vermögen kann nicht bleiben. Das herrenlose Gut, der Abfall, gehört ebenfalls in die Erbmasse. Das Kapital muss in mehr Hände verteilt werden. Die Schweiz kennt und pflegt andere Modelle. Versicherungen und die beiden grossen Einzelhändler in diesem Land sind Genossenschaften. Darauf müssen wir uns besinnen.

Hier in der Altstadt von Zürich stehen Häuser, die «Zum Mohrentanz» und «Zum Mohrenkopf» heissen. Es gab eine Debatte darum, ob das rassistisch oder einfach Geschichte ist. Wie geht die Schweiz mit ihrem kulturellen Erbe um?
Die Schweiz geht überhaupt nicht damit um. Wir haben keine Erinnerungspolitik. Alles zerfällt in einzelne, lokale Versuche, mit dem giftigen Erbe umzugehen. Klar ist: Es gibt keinen kulturellen Erbzwang. Wir wählen selbst, wie und woran wir uns erinnern.

Was heisst das nun in Bezug auf diese Häuser?
Es gibt zwei Konzepte: Man entfernt die bösen Bilder. Leider kommen auch Dinge. Verschwinden werden sie natürlich trotzdem nicht. Erinnerungspolitik findet kein Ende. Sie ist nie erledigt. Die Häuser bleiben eine Aufgabe, an der wir als Gesellschaft lernen können. Das ist manchmal schmerzhaft, aber das werden wir aushalten. Und zu lernen haben wir viel.

In seinem Buch setzt sich Bärfuss mit der Kulturgeschichte des Erbens auseinander.

Auseinandersetzungen gibt es auch zum Thema kulturelle Aneignung. Also darüber, ob man sich ein anderes Erbe zu eigen machen darf. Was halten Sie davon?
Es kommt darauf an, von wem man sich etwas angeeignet. Klauen ist nie in Ordnung. Es geht um die Verteilung des Gewinns. Leider ist es sehr ungerecht. Und doch: Ich habe alles abgeschrieben. Vor allem bei Shakespeare. Er hat dasselbe gemacht bei Holinshed. Es gibt keinen Ursprung, Kultur ist Tausch, manchmal einer fairer, oft ein unfairer.

Und dürfen Weisse Rastas tragen?
Dreadlocks haben eine religiöse Dimension. Sie stehen für die Rastafarier, für die Löwenmähne, für den Kaiser Haile Selassie, für die Rückkehr nach Afrika, für Marcus Garvey, für ein ganzes System. Man sollte sich fragen, aus welchen Gründen man Dinge aus ihrem Kontext reisst. Ich würde niemals ein Kruzifix tragen oder Yoga betreiben.

Zum Abschluss: Wo ist die Kiste Ihres Vaters heute?
Bei mir im Archiv. Ich werde sie behalten. Schliesslich hat sie mir ein Buch geschenkt, sie ist damit entgiftet.

Lukas Bärfuss, «Vaters Kiste. Eine Geschichte über das Erben», Rowohlt

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