Sarah Heiligtag (38) träumte immer davon, Schweine zu retten. Würde sie bloss träumen, könnte sie heute keiner Sau den Bauch kraulen. Die Sau heisst Lotte. Sie grunzt zufrieden.
Ihr Hof heisst «Hof Narr». Er liegt in Hinteregg ZH und ist ein Ort, wo Schweine nicht geschlachtet werden, Pferde nicht geritten und Hühner keine Eier legen müssen. Er ist ein Lebenshof, das Gegenteil zu dem, was Heiligtag «die Industrie» nennt: Mast-, Lege- und Milchwirtschaftsbetriebe.
Ein Idyll, wie es im Buche steht
«Hof Narr» ist ein Bauernhof aus dem Bilderbuch: Kleine Kinder in grossen Gummistiefeln gehen mit Geissen spazieren, jedes Tier hat einen Namen, das Huhn darf auch mal in der Küche schlafen; am Stall hängt ein farbiger Wimpel. Der Betrieb gehört Heiligtag, ihrem Mann und den zwei Kindern. Ihr Ziel: «Gewaltfreiheit und eine Welt, in der es allen Individuen gut geht.» So weit, so massentauglich.
Auch Hühner hat Sarah Heiligtag gerettet, insgesamt 40. Huhn Ela ist fast nackt um den Hintern. Hühner verlieren Federn, wenn sie gestresst sind. Vor vier Wochen kam Ela mit acht anderen Hennen aus einem Legebetrieb auf den Hof. Sonst wäre sie jetzt Biogas. Langsam wachsen die Federn nach. Ein Schweizer Legehuhn lebt im Schnitt ein knappes Jahr, legt 320 Eier. Die Natur hätte es so vorgesehen, dass ein Huhn im Frühling zehn Eier legt und sie dann ausbrütet. Auch der Brutinstinkt wurde Legehennen weggezüchtet.
Ein Huhn mit betrügerischem Charakter
Heiligtag zeigt auf ein dunkles Huhn, sagt: «Das ist Ulgur, die Lügnerin.» Sieht Ulgur, dass ein Mensch mit gutem Essen kommt, macht sie einen Laut, der signalisiert: Achtung Gefahr! Alle Hühner rennen dann in die eine Ecke, bloss Ulgur in die andere – zum Futter. «Wobei», sagt Heiligtag, «die anderen Hühner haben Ulgur mittlerweile durchschaut.» Manche legen nach wie vor täglich, andere stellen das Eierlegen ein, sobald sie hier sind. Das dürfen sie. Essen wollen die Heiligtags die Eier nicht. Die Familie lebt vegan.
Auch die Idee, einen Ort zu schaffen, wo Mensch, Tier und Pflanzen im Einklang leben, hatte Heiligtag schon länger. Die Bauern abschaffen will sie nicht – im Gegenteil. «Die Zeit ist reif für eine biovegane Landwirtschaft, die allen grosse Chancen bietet.» Seit vier Jahren existiert ihr Hof. Getragen von Freiwilligen, finanziert durch Patenschaften.
Kleine Dramen gehören dazu. Wie damals, als der Fuchs kam und Gockel Bert seine Hühner verteidigte. Sechs starben. Bert, so erzählt es Heiligtag, liess seinen Kopf so sehr hängen, dass sie dachte, sein Rückgrat sei gebrochen. Die Tierärztin meinte: nicht das Rückgrat, sondern das Herz sei gebrochen. Wochenlang ass Bert kaum mehr etwas.
«Das Schwein ist auch ein Philosoph»
Als Kind wollte Heiligtag Schlachthöfe zerstören. Heute will sie Schlachthöfe schliessen. An Demonstrationen tritt sie als Rednerin auf. Dass sie als militante Tierschützerin bezeichnet wird, ist ihr egal. Sie spricht davon, den Menschen die Augen zu öffnen, indem sie Tiere aus der Anonymität holt: «Nur dank der anonym gewordenen Ware Tier ist es möglich, sie auszubeuten, wie es heute normal geworden ist.»
Will Heiligtag nachdenken, setzt sie sich manchmal neben Schwein Bo ins Stroh. Sie hat Philosophie studiert. Bo sei auch ein Philosoph, sagt sie. Die Schweine sind die Lieblinge der Kinder, die den Hof für ein paar Lektionen Ethikunterricht besuchen. Kein Wunder: Mimi, Lotte, Bo und Tobi kommen angerannt, wenn sie Kinderstimmen hören, legen sich ins Stroh – dazu bereit, dass Kinderhände über ihre Borsten streicheln oder ihnen Geheimnisse in die grossen Schweineohren flüstern.
Drei Jahre alt sind die vier Schweine, sie wurden im Alter von acht Wochen vor dem Mastbetrieb gerettet. Für Heiligtag ist es nicht nur unfassbar, wie jemand diese Tiere essen kann, sondern auch, wie gescheit Schweine sind. «Sie suchen das Glück im Leben. Das macht sie uns ähnlich.»
Sie will Menschen dazu bringen, sich Fragen zu stellen
Die gelernte Landwirtin spricht auch über Getreide, das für die Fleischindustrie in Drittweltländern angebaut wird, dort die Umwelt zerstört und als Lebensmittel fehlt. Ihr Hof soll Menschen dazu bringen, sich Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob sie wollen, dass Tiere für fünf Minuten Gaumenschmaus ausgebeutet werden dürfen. «Ich akzeptiere es, wenn jemand darüber nachdenkt und zum Entschluss kommt, dass das in Ordnung ist», sagt Heiligtag. Was natürlich nicht bedeutet, dass sie nicht weiter für einen Sinneswandel kämpft.