Landwirtschaft
Offene Ohren für Ängste und Sorgen der Bauern

Laut und scharf kritisieren Bauernorganisationen die künftige Landwirtschaftspolitik des Bundesrates. Die Zukunftssorgen der Bauern spüren zwar auch Beratungsstellen der Landwirtschaft. Die konkreten Gründe für Fragen und Hilferufe sind aber oft andere.
Publiziert: 04.01.2018 um 11:08 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:19 Uhr
Weil nicht alles idyllisch ist in der Schweizer Landwirtschaft: Beraterinnen und Berater haben offene Ohren für die Ängste und Sorgen der Bauern. (Themenbild)
Foto: KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER

«Die Agrarpolitik ist vielleicht der Auslöser für einen Anruf bei uns, aber der Kern des Problems liegt woanders», sagt Ueli Straub, Geschäftsleiter des Bäuerlichen Sorgentelefons, der Nachrichtenagentur sda. Wer sich über die Landwirtschaftspolitik aufregen wolle, tue dies selten am Sorgentelefon.

Die Telefonberaterinnen und -berater spürten vorab die indirekten Folgen von politischen Ankündigungen und Entscheiden: «Wer schon im Dunkeln sitzt, für den kann die Politik eine Bestätigung sein, dass es nicht heller wird.» Die Zukunft ihres Betriebs, Geldsorgen, Überlastung, aber auch familiäre Probleme treiben Bauern um.

«Einen Schwall von Anrufen hat die Gesamtschau des Bundesrates nicht ausgelöst», sagt auch Ernst Flückiger, Leiter Fachbereich Beratung am Inforama Rütti in Zollikofen BE. «Aber ich bekomme täglich Coaching-Anfragen zum Umgang mit der Belastung oder auch zur Zukunft eines Betriebes.»

«Im Gespräch tauchen dann die Lasten auf», erzählt er. «Die Arbeitswoche auf dem Hof hat oft über 60 Stunden.» Manchmal komme für die Bäuerin und den Bauern ein weiterer Job dazu, Kinder, Weiterbildung, ein Amt bei einer Organisation oder in der Politik.

«Von jedem Bauern wird heute verlangt, unternehmerisch zu handeln. Aber wie in anderen Branchen auch ist lange nicht jeder, der den Beruf erlernt hat, ein echter Unternehmer», sagt Flückiger. Landwirtschaftliche Betriebsleiter arbeiteten in allen Funktionen: CEO, Fachkraft und Hilfsarbeiter. Zur hohen Arbeitslast kommen könne finanzieller oder sozialer Druck für die Familie.

Bauern hätten zwar Probleme wie andere Berufsleute auch, sagt Straub. Doch ihnen stellten sich spezifische Schwierigkeiten, zum Beispiel durch das bäuerliche Bodenrecht. Es gebe vor, dass Höfe ab einer gewissen Grösse zum Ertragswert weitergegeben werden könnten statt zum Verkehrswert.

Bei kleinen Betrieben sei das nicht möglich. «Es gibt darum eine Tendenz, nicht loszulassen. Denn wer draussen ist, kommt fast nicht mehr hinein. Einige Bauern krampfen darum bis zur Erschöpfung», führt Straub aus.

Auch die grosse Nachfrage nach Landwirtschaftsland kann Anlass sein zum Kämpfen bis zur schieren Verzweiflung. «Betriebe wollen wachsen. Sobald einer in der Nachbarschaft Schwäche zeigt, beginnen die Geier zu kreisen», sagt Straub. «Viele arbeiten, bis es nicht mehr geht, und im schlimmsten Fall heisst es dann, die Agrarpolitik sei schuld. Häufig ist die Ursache aber eine ganz andere.»

Hilfesuchende können vom Sorgentelefon auch an Fachstellen verwiesen werden. Die Zahl der Coaching- und Mediationsangebote für Bauern und Bäuerinnen hat in den letzten Jahren zugenommen. Auch Kantone bieten Beratungen an - zum Beispiel in Bern das Inforama.

Flückiger coacht nach dem Beispiel der Wirtschaft und bezieht die gesamte «Geschäftsleitung» des Hofes in die Standortbestimmung ein, wie er sagt. «Also nicht nur den Betriebsleiter, sondern auch dessen Frau.» Auch heikle Fragen spricht er an, etwa Probleme in der Familie. «Als Coach, der von aussen kommt, kann und muss ich das.»

Verschiedenste Anlaufstellen sind in der Schweiz für Bauern und Bäuerinnen da. Das Bäuerliche Sorgentelefon und das vom Kanton Bern betriebene Inforama sind zwei davon. Beim Sorgentelefon sind neun Freiwillige an zwei Halbtagen pro Woche bereit, anonym Hilfesuchenden zuzuhören und zu beraten.

Das Inforama berät nicht anonym und verrechnet auch Kosten. Besteht ein hohes öffentliches Interesse an einem Beratungsthema - etwa Leistungen der Landwirtschaft zu Gunsten der Öffentlichkeit - ist der Stundenansatz tiefer als bei Fragen, mit denen Betriebsleiter und -leiterinnen aus rein persönlichen Interessen vorstellig werden.

Am gefragtesten waren 2016 beim Inforama Themen zu Betriebsplanung und Weiterentwicklung des Betriebs. Danach folgen Rechtsfragen, etwa zu Pachtverträgen, Generationenwechsel, Gutachten - zum Beispiel Bauprojekte und deren Finanzierung, Coaching und Unterstützung bei der Verbesserung von Biodiversität und Landschaftsqualität.

www.baeuerliches-sorgentelefon.ch; www.inforama.vol.be.ch

Fehler gefunden? Jetzt melden