Foto: Mario Heller

Küche oder Baustelle
Stressjob Koch – aufgeben oder durchhalten?

Lange gab es für Ex-Koch Silvio Razzino (36) aus Mauren TG nur einen Weg in der Gastronomie: den nach oben. Heute ist er aber Bauarbeiter, weil er irgendwann genug hatte. Starkoch Jacky Donatz hingegen würde immer wieder an den Herd stehen.
Publiziert: 23.01.2019 um 08:23 Uhr
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Früher Koch, heute Bauarbeiter: Silvio Razzino (36) aus Mauren TG.
Foto: Philippe Rossier
«Als Bauarbeiter bin ich viel glücklicher!»

Fast hätte er eine Bilderbuchkarriere als Koch gemacht. Als Legastheniker schloss Silvio Razzino (35) mit Müh und Not die Ausbildung zum Koch in einem Restaurant in Arbon TG ab. Dann kämpfte er sich durch die garstige Branche, getragen von der Leidenschaft, in der Küche aus Lebensmitteln köstliche Leckerbissen zuzubereiten.

Von der Küchenhilfe hin zum Küchenchef, dann sogar Gastgeber – lange gab es für Razzino nur einen Weg: den nach oben. Seine Motivation: «Die Hoffnung, irgendwann einmal mein eigenes Restaurant zu führen und davon auch noch schön leben zu können.»

Entnervt die Reissleine gezogen

Es kam aber anders. Denn auch wenn er in der Küchenhierarchie höher und höher stieg, zufriedener wurde er nicht in dieser Branche. Vor fünf Jahren zog er entnervt die Reissleine.

Heute arbeitet Razzino im kalten Strassengraben, isoliert schwere Fernwärmeleitungen in der ganzen Schweiz. Und hat sich mit dem Schritt aus der Gastronomie hinein in die Bauwirtschaft befreit. Denn: «Irgendwann hatte ich einfach die Schnauze voll.» 

Statt mit Schwingbesen hantiert er nun mit Gasbrennern, rührt nicht mehr gekonnt eine Sauce béarnaise an, sondern stülpt massive Plastikmuffen über dicke Heizungsrohre. Bei Regen, Schnee oder gleissender Hitze.

Brotloser Job ohne Perspektive

«Für den Wechsel gibt es bis heute mehrere Gründe. Der wichtigste: Als Koch arbeitet man lange, hat unregelmässige Arbeitszeiten, und dadurch ist es schwierig, mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben», sagt der Ex-Koch. Damit könnte man sich zwar noch arrangieren. Aber: «Der Job ist am Ende nicht nur hart, sondern auch noch brotlos.» Als Küchenchef in einem gediegenen Restaurant in Weinfelden TG hat er am Ende 5600 Franken im Monat verdient. Bei einer Wochenarbeitszeit von oft weit über 60 Stunden.

Doch nicht nur der geringe Verdienst machte Razzino zu schaffen. Auch der Kostendruck in Verbindung mit wachsenden Ansprüchen seitens der Gäste machten ihn auf die Dauer unzufrieden: «Es werden Gerichte mit immer exklusiveren Produkten verlangt, gleichzeitig soll die Speisekarte aber günstiger werden.» Es herrscht ein harter Preiskampf in der Branche. Die Folge: chronischer Personalmangel in der Küche. Die Angestellten? Permanent überlastet.

Angst vor der Schuldenfalle

Am Ende kam für Razzino noch eine bittere Erkenntnis dazu: «Hat man erst mal den Grad eines Küchenchefs erreicht, gibts keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten mehr.» Denn sich selbständig machen, ohne eigenes Kapital zu haben, sei pure Illusion. «Und in diese Schuldenfalle wollte ich nicht tappen.»

Nun ist Razzino Bauarbeiter «und dabei viel glücklicher», wie er sagt. Ausserdem verdient er jetzt wesentlich mehr als noch als Küchenchef. Zudem geniesst er die geregelte Arbeitszeit, hat sich ein Privatleben aufgebaut. Nicht einmal in Gedanken träumt er sich zurück in die Küche: «Ich bin mit der Gastronomie fertig – fix und fertig!»

* Autor Flavio Razzino (30) ist der Bruder des Protagonisten. 

Fast hätte er eine Bilderbuchkarriere als Koch gemacht. Als Legastheniker schloss Silvio Razzino (35) mit Müh und Not die Ausbildung zum Koch in einem Restaurant in Arbon TG ab. Dann kämpfte er sich durch die garstige Branche, getragen von der Leidenschaft, in der Küche aus Lebensmitteln köstliche Leckerbissen zuzubereiten.

Von der Küchenhilfe hin zum Küchenchef, dann sogar Gastgeber – lange gab es für Razzino nur einen Weg: den nach oben. Seine Motivation: «Die Hoffnung, irgendwann einmal mein eigenes Restaurant zu führen und davon auch noch schön leben zu können.»

Entnervt die Reissleine gezogen

Es kam aber anders. Denn auch wenn er in der Küchenhierarchie höher und höher stieg, zufriedener wurde er nicht in dieser Branche. Vor fünf Jahren zog er entnervt die Reissleine.

Heute arbeitet Razzino im kalten Strassengraben, isoliert schwere Fernwärmeleitungen in der ganzen Schweiz. Und hat sich mit dem Schritt aus der Gastronomie hinein in die Bauwirtschaft befreit. Denn: «Irgendwann hatte ich einfach die Schnauze voll.» 

Statt mit Schwingbesen hantiert er nun mit Gasbrennern, rührt nicht mehr gekonnt eine Sauce béarnaise an, sondern stülpt massive Plastikmuffen über dicke Heizungsrohre. Bei Regen, Schnee oder gleissender Hitze.

Brotloser Job ohne Perspektive

«Für den Wechsel gibt es bis heute mehrere Gründe. Der wichtigste: Als Koch arbeitet man lange, hat unregelmässige Arbeitszeiten, und dadurch ist es schwierig, mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben», sagt der Ex-Koch. Damit könnte man sich zwar noch arrangieren. Aber: «Der Job ist am Ende nicht nur hart, sondern auch noch brotlos.» Als Küchenchef in einem gediegenen Restaurant in Weinfelden TG hat er am Ende 5600 Franken im Monat verdient. Bei einer Wochenarbeitszeit von oft weit über 60 Stunden.

Doch nicht nur der geringe Verdienst machte Razzino zu schaffen. Auch der Kostendruck in Verbindung mit wachsenden Ansprüchen seitens der Gäste machten ihn auf die Dauer unzufrieden: «Es werden Gerichte mit immer exklusiveren Produkten verlangt, gleichzeitig soll die Speisekarte aber günstiger werden.» Es herrscht ein harter Preiskampf in der Branche. Die Folge: chronischer Personalmangel in der Küche. Die Angestellten? Permanent überlastet.

Angst vor der Schuldenfalle

Am Ende kam für Razzino noch eine bittere Erkenntnis dazu: «Hat man erst mal den Grad eines Küchenchefs erreicht, gibts keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten mehr.» Denn sich selbständig machen, ohne eigenes Kapital zu haben, sei pure Illusion. «Und in diese Schuldenfalle wollte ich nicht tappen.»

Nun ist Razzino Bauarbeiter «und dabei viel glücklicher», wie er sagt. Ausserdem verdient er jetzt wesentlich mehr als noch als Küchenchef. Zudem geniesst er die geregelte Arbeitszeit, hat sich ein Privatleben aufgebaut. Nicht einmal in Gedanken träumt er sich zurück in die Küche: «Ich bin mit der Gastronomie fertig – fix und fertig!»

* Autor Flavio Razzino (30) ist der Bruder des Protagonisten. 

«Etwas anderes als Kochen kann ich mir nicht vorstellen»

Fussballer, Popstars und Staatschefs – sie alle waren bei ihm zu Gast: Jacky Donatz (67) kann mit Stolz auf seine Karriere zurückblicken. Seine letzte Station war das Fifa-Restaurant Sonnenberg, seit der Pensionierung vor zwei Jahren ist er aber weiterhin aktiv: «Ich habe keine Lust, daheim herumzusitzen. Und solange der Gast mich will, bin ich für ihn da.» Am Wochenende ist Donatz am Snow Polo in St. Moritz GR für ZwyerCaviar vor Ort, und im Februar verwöhnt er im Alpenblick Arosa mit seinen berühmten Fleischspezialitäten. Gemeinsam mit anderen Veteranen der hohen Sterneküche wie André Jaeger (71), Othmar Schlegel (68) und Wolfgang Kuchler (70) gibt er auch Gastspiele, zuletzt im Globus. 

Ohne Gast kein Koch!

Seinen Beruf würde er sofort wiederwählen: «Etwas anderes kann ich mir gar nicht vorstellen, ich liebe gutes Essen und den Umgang mit den Gästen. Von ihrer Zufriedenheit hängt alles ab.» Das ist auch sein Tipp an junge Köche: «Ohne Gast kein Koch, ganz einfach. Es geht nicht um die teuerste Einrichtung und um luxuriöse Zutaten, man darf bei Investitionen und Einkauf nicht übertreiben. Sonst kann der Schuss leicht nach hinten losgehen.» 

Der erste Monatslohn war 20 Franken

Seine erste Erfahrung in der hochklassigen Küche hatte der Samedaner bei einem Stage im noblen Hotel Suvretta im Sommer 1966 sammeln können. Ein Jahr später machte er im Flughafenrestaurant Kloten die Lehre zum Koch. «Mein erster Monatslohn war 20 Franken, plus Kost und Logis. Man muss bescheiden anfangen», erinnert er sich. Zu den Meilensteinen seiner Karriere gehören Fünf-Sterne-Hotels wie das Tschuggen, Arosa GR und das Castello del Sole, Ascona TI. Und dann natürlich die 17 Jahre am Sonnenberg mit dem damaligen Fifa-Boss Sepp Blatter als Stammgast.

Von TV-Auftritten nicht blenden lassen

Eine solche Karriere sei auch heute noch möglich: «Ohne Leistung und Einsatz wäre ich sicher nicht so weit gekommen. Zu verdanken habe ich diesen Weg meinen Chefs, die mich gefördert haben.» Wichtig sei also die Ausbildung an einem Ort mit Aufstiegschancen und Möglichkeiten für Weiterbildung. «Wichtig ist, seinen eigenen Stil zu finden und sich weder von Trends noch von Social Media oder TV-Auftritten blenden zu lassen», rät Donatz.

Fussballer, Popstars und Staatschefs – sie alle waren bei ihm zu Gast: Jacky Donatz (67) kann mit Stolz auf seine Karriere zurückblicken. Seine letzte Station war das Fifa-Restaurant Sonnenberg, seit der Pensionierung vor zwei Jahren ist er aber weiterhin aktiv: «Ich habe keine Lust, daheim herumzusitzen. Und solange der Gast mich will, bin ich für ihn da.» Am Wochenende ist Donatz am Snow Polo in St. Moritz GR für ZwyerCaviar vor Ort, und im Februar verwöhnt er im Alpenblick Arosa mit seinen berühmten Fleischspezialitäten. Gemeinsam mit anderen Veteranen der hohen Sterneküche wie André Jaeger (71), Othmar Schlegel (68) und Wolfgang Kuchler (70) gibt er auch Gastspiele, zuletzt im Globus. 

Ohne Gast kein Koch!

Seinen Beruf würde er sofort wiederwählen: «Etwas anderes kann ich mir gar nicht vorstellen, ich liebe gutes Essen und den Umgang mit den Gästen. Von ihrer Zufriedenheit hängt alles ab.» Das ist auch sein Tipp an junge Köche: «Ohne Gast kein Koch, ganz einfach. Es geht nicht um die teuerste Einrichtung und um luxuriöse Zutaten, man darf bei Investitionen und Einkauf nicht übertreiben. Sonst kann der Schuss leicht nach hinten losgehen.» 

Der erste Monatslohn war 20 Franken

Seine erste Erfahrung in der hochklassigen Küche hatte der Samedaner bei einem Stage im noblen Hotel Suvretta im Sommer 1966 sammeln können. Ein Jahr später machte er im Flughafenrestaurant Kloten die Lehre zum Koch. «Mein erster Monatslohn war 20 Franken, plus Kost und Logis. Man muss bescheiden anfangen», erinnert er sich. Zu den Meilensteinen seiner Karriere gehören Fünf-Sterne-Hotels wie das Tschuggen, Arosa GR und das Castello del Sole, Ascona TI. Und dann natürlich die 17 Jahre am Sonnenberg mit dem damaligen Fifa-Boss Sepp Blatter als Stammgast.

Von TV-Auftritten nicht blenden lassen

Eine solche Karriere sei auch heute noch möglich: «Ohne Leistung und Einsatz wäre ich sicher nicht so weit gekommen. Zu verdanken habe ich diesen Weg meinen Chefs, die mich gefördert haben.» Wichtig sei also die Ausbildung an einem Ort mit Aufstiegschancen und Möglichkeiten für Weiterbildung. «Wichtig ist, seinen eigenen Stil zu finden und sich weder von Trends noch von Social Media oder TV-Auftritten blenden zu lassen», rät Donatz.

Lieber Spital als Spitzengastronomie

Viel Stress, hoher Budgetdruck, geringer Lohn, dazu extrem lange Arbeitszeiten: Viele Köche haben nach einigen Jahren genug und wechseln den Herd. Oft weichen sie dabei in Grossküchen aus. Also in Altersheim- und Spitalküchen, ins Coop- oder Migros-Restaurant. 

Innerhalb der Branche sinkt bei so einem Wechsel das Ansehen. «Je nach Karriereplanung sind wir im Nachteil gegenüber einer Position in einer berühmten Küche», sagt auch Marcel Wyler, Sprecher des Inselspitals Bern. Dort arbeiten 59 Angestellte für die Verpflegung der Patienten.

Die Arbeit der Köche dort wird in der Spitzengastronomie als Fliessbandarbeit abgetan. Die Vorteile für die Angestellten liegen aber auf der Hand. Der Jobwechsel bringt einen hohen Gewinn an Lebensqualität. Wyler macht dies potenziellen Interessenten schmackhaft: «Geregelte Arbeitszeiten, gut strukturierte, organisierte und geplante Arbeits- und Tagesabläufe sowie spannende Aufgaben in einem modernen Arbeitsumfeld mit Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.»

Viel Stress, hoher Budgetdruck, geringer Lohn, dazu extrem lange Arbeitszeiten: Viele Köche haben nach einigen Jahren genug und wechseln den Herd. Oft weichen sie dabei in Grossküchen aus. Also in Altersheim- und Spitalküchen, ins Coop- oder Migros-Restaurant. 

Innerhalb der Branche sinkt bei so einem Wechsel das Ansehen. «Je nach Karriereplanung sind wir im Nachteil gegenüber einer Position in einer berühmten Küche», sagt auch Marcel Wyler, Sprecher des Inselspitals Bern. Dort arbeiten 59 Angestellte für die Verpflegung der Patienten.

Die Arbeit der Köche dort wird in der Spitzengastronomie als Fliessbandarbeit abgetan. Die Vorteile für die Angestellten liegen aber auf der Hand. Der Jobwechsel bringt einen hohen Gewinn an Lebensqualität. Wyler macht dies potenziellen Interessenten schmackhaft: «Geregelte Arbeitszeiten, gut strukturierte, organisierte und geplante Arbeits- und Tagesabläufe sowie spannende Aufgaben in einem modernen Arbeitsumfeld mit Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.»

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