Auf einen Blick
- Bei der neuen Ausstellung im Landesmuseum Zürich kam es zu Differenzen
- Alec von Graffenried wollte nicht über seine Familiengeschichte reden
- In der Schau wird deswegen die Verwandtschaft zwischen zwei von Graffenrieds unterschlagen
Die neue Ausstellung im Zürcher Landesmuseum widmet sich der dunklen Seite der Geschichte. Mit der Schau «Kolonial» wollen die Kuratorinnen dem Publikum «globale Verflechtungen der Schweiz» im europäischen Kolonialismus aufzeigen. Erzählt wird das anhand einzelner historischer Schweizer Figuren, die es zu jener Zeit in die grosse weite Welt schafften.
Einer davon ist Christoph von Graffenried (1661–1743), Nobelmann und Angehöriger des berühmten Berner Patriziergeschlechts. Mit ein paar Getreuen versuchte er sein Glück in Nordamerika, wo ihm die britische Königin Anne auf dem Gebiet des heutigen US-Bundesstaats North Carolina 16’000 Hektar Land für die Gründung einer Siedlung zur Verfügung stellte. 1710 entstand die Stadt «New Bern».
Auf Kriegsfuss mit den Tuscarora
Dummerweise hatte der Pionier das Kleingedruckte nicht gelesen, und so bemerkte er erst vor Ort, dass dort bereits andere waren: der kriegserprobte Stamm der Tuscarora aus der Familie der Irokesen. Die fackelten nicht lange und machten das hoffnungsvolle Städtchen dem Erdboden gleich. Es folgten kriegerische Jahre, bis schliesslich der Eidgenosse mit seinen Männern die Eingeborenen besiegte und New Bern wieder aufgebaut wurde; mehrere Hundert Unterlegene wurden gemäss Quellen durch von Graffenrieds Kämpfer getötet oder versklavt.
Was auf der Infotafel zu New Bern nicht steht: von Graffenried wurde später von den Tuscarora gefangen genommen, landete am Marterpfahl mit seinem Kumpanen, der nicht überlebte, und muss danach so traumatisiert gewesen sein, dass er wieder in sein vertrautes Schweizer Bernburger-Nest in Worb flüchtete. Das Bild des ruchlosen Kolonialherren ist mitnichten so eindeutig, wie uns die Kuratorinnen weismachen wollen.
Das letzte Kapitel dieses Abenteurerlebens finden die Besucherinnen und Besucher erst in der angefügten Biografie. Zudem findet sich in der Vitrine eine Zeichnung des gescheiterten Auswanderers von seiner Gefangenschaft.
Ein paar Räume weiter noch ein von Graffenried
Die Gewichtung mag tendenziös wirken, passt aber durchaus zum Zeitgeist, an dem sich die Macherinnen der vom Bund getragenen Institution um Direktorin Denise Tonella (45) orientieren.
Kurios wird es ein paar Räume weiter. Dort sind Kurzvideos mit mehr oder weniger bekannten Schweizer Persönlichkeiten zu sehen, die ihre Statements zu verschiedenen Aspekten der Ausstellung abgeben, vom Alltagsrassismus bis zum heutigen Rohstoffhandel.
Unter anderem kommt auch der Grünen-Politiker und Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (62) zu Wort. Der nimmt die Gelegenheit wahr, um sich über die Verantwortung der heutigen Grosskonzerne in der dritten Welt zu äussern.
«Herr von Graffenried spricht in der Funktion als Stadtpräsident»
Bloss – dass er demselben Geschlecht entstammt wie Christoph von Graffenried, wird mit keiner Silbe erwähnt. Die Verwandtschaft mit dem barocken Baron aus dem Nebenraum wird so laut verschwiegen, dass sie selbst die dicken Mauern des Landesmuseums durchdringt. «Alec von Graffenried ist seit 2017 Stadtpräsident von Bern», heisst es im Textkasten lediglich, er interessiere sich «für die Erforschung des Alten Bern in der kolonialen Ausbeutung»; ausserdem fordere er «verbindliche Vorschriften für die Verantwortung von Unternehmen in ihren internationalen Geschäftsbeziehungen (Konzernverantwortung)».
Wie ist es zu dieser Informationslücke gekommen? «Auf eine Verwandtschaft wird tatsächlich nicht eingegangen», räumt ein Sprecher des Landesmuseums ein. Man habe dies aber auch «nicht als passend oder nötig erachtet», heisst es weiter, da die verfügbare Zeit in den Interviews sehr beschränkt sei und «Herr von Graffenried nicht als Vertreter der Familie von Graffenried spricht, sondern in der Funktion als Stadtpräsident von Bern».
«Auf einmal wurde ich zu Christoph von Graffenried befragt»
Eine Nachfrage beim Exekutivpolitiker bringt Klarheit. Er sei «sehr kurzfristig» von einer vom Nationalmuseum beauftragten Firma darum gebeten worden, bei einem Film über die Ausstellung mitzumachen. Begründet habe man dies damit, dass man an seiner Meinung zur kolonialen Vergangenheit Berns interessiert sei. Doch sei es beim Gespräch dann plötzlich auch um seinen Namen gegangen: «Auf einmal wurde ich zu Christoph von Graffenried befragt.» Dass es darum gehen soll, habe man ihm im Vorfeld nicht mitgeteilt.
Also intervenierte der Gesprächsgast und verhinderte kurzerhand eine Erwähnung. «Wir sprachen dann kurz auch über dieses Thema, doch habe ich klargestellt, dass für mich Emigration im Allgemeinen und diese Schweizer Auswanderungsgeschichte im Speziellen nicht der Kern der Sache ist.» Dieser Fokus auf eine «individuelle Auswanderungsgeschichte mit einer langen Ahnenlinie» sei «vielleicht sexy», moniert von Graffenried, werde aber «der strukturellen Bedeutung des eigentlichen Themas in keiner Art» gerecht.
«Hört auf, dieses 18. Jahrhundert zu verklären!»
Viel wichtiger und eine «Herzensangelegenheit» sei für ihn die politische und gesellschaftliche Realität der Schweiz im 18. Jahrhundert: «Eine Schweiz, die überall hin ihre Söldner entsandte. Eine Schweiz, die ihre eigene Jugend auf Europas Schlachtfeldern ins Gemetzel schickte. Auch darauf basierte der Reichtum der Oberschicht. Und dieser Reichtum wurde später mit Finanzgeschäften im Ausland weiter vermehrt, darunter auch mit Anlagen im Dreieckshandel, also dem Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika. Das war eine Grundlage des sagenhaften Berner Staatsschatzes. Das interessiert mich.»
Der Magistrat redet von «Autokraten» und «Oligarchen», wenn er über den damals mächtigen Berner Stadtstaat spricht, mit dem er über seine Familiengeschichte verbunden ist. «Hört auf, dieses 18. Jahrhundert zu verklären! Die französische Besatzung war in Tat und Wahrheit eine Befreiung, die überhaupt erst die Gründung der modernen Schweiz ermöglicht hat. Das ist es, was ich erzählen will.»
Im Gegensatz zu den hehren Ausführungen sieht es die Kommunikationsabteilung des Museums in einem Punkt ganz pragmatisch. Der Sprecher sagt: Dass eine Verwandtschaft zwischen den beiden von Graffenrieds bestehe, «ist aufgrund des Namens sowieso augenscheinlich.»
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