In Aarau tut sich Seltsames. Seit fünf Jahren schon. Jeden Samstagmorgen ziehen Männer und Frauen mit Abfallsäcken durch die Bahnhofstrasse und die Altstadt, klauben Kippen vom Boden und greifen nach jeder Dose.
Dafür stehen sie auf, bevor der Hahn kräht, bei Kälte und Regen, Geld bekommen sie keines. Sie tun das freiwillig, sie sind die Güselwehr, eine Truppe von 20 Freiwilligen, die dem Littering den Kampf angesagt hat und dabei ziemlich glücklich wirkt.
Blendende Laune am frühen Morgen
Ins Leben gerufen hat die Güselwehr der Tierarzt Andres Brändli (70). Um sieben Uhr am Samstagmorgen stand er auf Platz Nummer 58 im Parkhaus beim Bahnhof. Gut gelaunt, obwohl er schon seit einer Stunde sammelte, was das Partyvolk in der Nacht liegen gelassen hatte. «Wir von der Güselwehr sind eine verschworene Gemeinschaft», sagt er. Seine Kollegen nicken. Denn gut gelaunt sind auch sie.
Im Räumchen hinter Parkplatz 58 greifen sie nach «Langfinger», Leuchtweste und Abfallsack – auf gehts! Brändli ist ein praktischer Mann, der kaum je um einen guten Spruch verlegen ist. Er zeigt auf eine leere Dose und sagt: «Wer Red Bull trinkt, bekommt doch davon Stierenkraft!» Lustig bloss, dass die Kraft nicht ausreiche, die Dose danach auch richtig zu entsorgen.
Wütend macht ihn das nicht. Sonst wäre er nicht Samstag für Samstag auf Aaraus Gassen unterwegs. Wer die Männer und Frauen der Güselwehr fragt, warum sie freiwillig den Müll anderer einsammeln, bekommt ganz unterschiedliche Antworten: Sie ärgerten sich über den Abfall und freuten sich über eine saubere Stadt, sagen Brändli und Dölf Pfister (70). Malermeister Heinrich Hochuli (65) hält es für einen guten Grund, um früh aus dem Bett zu kommen, also länger vom freien Tag zu profitieren. Und der Litauer Rimas Sukarivicius (34), der seit fünf Jahren in der Schweiz lebt: «Die Sauberkeit in der Schweiz hat mich schon immer beeindruckt. Jetzt lebe ich hier und will etwas dazu beitragen.»
Städtische Angestellte freuen sich über die Helfer
Es ist kurz nach sieben, die ersten Frühaufsteher kaufen Gemüse, Käse und Brot auf dem Wochenmarkt. Auch ein Mitarbeiter des Stadtbauamts kurvt auf einem Lastwägeli herum und leert Abfalleimer. Er freut sich über die Unterstützung der freiwilligen Müllsammler.
Die Güselwehr hat in den vergangenen Jahren Berge von Abfall zusammengetragen. Und auch viele Ausweise, Portemonnaies, einmal sogar eine Fünfzigernote – darin eingewickelt war Heroin. Sie findet Schnapsflaschen, aus denen nur ein Schluck getrunken wurde, oder Hamburger, die nach einem Bissen auf dem Boden landeten.
Mit dem Überfluss in der Gesellschaft konfrontiert
Wer Abfall einsammelt, werde auch mit dem Überfluss in der Gesellschaft konfrontiert, sagt Dora Frey (70). Sie war gestern mit geschminkten Lippen und dicker Wollmütze unterwegs und erzählt, dass sie im Sommer manchmal auch schlafende Menschen findet. Die sammelt sie nicht ein, sondern weckt sie auf und schickt sie nach Hause.
Heimlicher Schluss- und Höhepunkt jedes Samstagmorgens ist das Treffen um acht im Migros-Restaurant. Hier wird über Gott und die Welt gesprochen, manchmal auch politisiert. Dann gehts ab nach Hause. Aber am nächsten Samstag kommen sie wieder.