Kantonale Abstimmung TI
Tessiner Inländervorrang sorgt für Empörung in Italien

Nach dem Ja der Tessiner Stimmbürger zu einem kantonalen Inländervorrang folgte die politische Reaktion aus Italien auf dem Fuss. Am Montag fanden einige italienische Medien deutliche Worte für das Tessiner Votum, das offenbar Ressentiments weckt.
Publiziert: 26.09.2016 um 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:40 Uhr
Das Tessiner Ja zur SVP-Initiative «Zuerst die Unseren» stellt die Beziehungen zu Italien erneut auf eine Zerreissprobe. (Symbolbild)
Foto: KEYSTONE/TI-PRESS/FRANCESCA AGOSTA

Der italienische Aussenminister Paolo Gentiloni warnte nach der Abstimmung davor, die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU aufs Spiel zu setzen.

Ohne die Personenfreizügigkeit seien die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU in Gefahr, zitiert die Nachrichtenagentur ANSA den italienischen Aussenminister Paolo Gentiloni. Dieser räumte aber zugleich ein, dass die Tessiner Abstimmung vorerst ohne «praktische Konsequenzen» bleibe.

Schärfer tönte es dagegen aus der angrenzenden Lombardei: Das Tessin habe dafür gestimmt, «zehntausenden lombardischen Grenzgängern» den Zugang zu verweigern, sagte der Präsident der Region Lombardei Roberto Maroni (Lega Nord).

Er erkenne zwar den Entscheid des «souveränen Volkes» an, warne aber zugleich davor, dass die Rechte seiner lombardischen Mitbürger gefährdet werden könnten. Noch diese Woche will die Region Lombardei laut Maroni «geeignete Gegenmassnahmen» vorbereiten, um die Rechte der Arbeiter zu verteidigen.

Der Präsident der Vereinigung «Grenzgänger im Tessin», Eros Sebastiani, versucht dagegen, die Wogen zu glätten: Das Tessin könne nicht eigenmächtig über diese Fragen entscheiden, das müsse Bern tun. Er habe jedoch nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses von zahlreichen italienischen Grenzgängern besorgte Anrufe erhalten, wie es nun weitergehe. Die Tessiner nahmen die SVP-Initiative am Sonntag mit 58 Prozent deutlich an.

Die italienische Abgeordnete im Europaparlament Lara Comi (Forza Italia) teilte über ihre Facebook-Seite mit, dass sie bereits die EU-Kommissarin Marianne Thyssen kontaktiert habe.

Mit ihr wolle Comi über eine zwischenzeitliche Aufhebung aller Verträge zwischen der Schweiz und der EU sprechen. Der derzeitige Umgang der Schweizer mit den Italienern sei «nicht hinnehmbar». Die Zeiten, in denen Italiener nur als «Arbeitstiere» angesehen wurden, wie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, seien längst vorbei, so die Europaabgeordnete.

Das italienische Fernsehen Rai weist auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Initiative hin und dass das Votum zunächst ohne unmittelbare Konsequenzen für die Grenzgänger bleiben sollte.

Der «Corriere della Sera» aus Mailand gewichtet das Abstimmungsergebnis auch regional: In Lugano, wo mehr Grenzgänger beschäftigt seien, fiel die Zustimmung laut dem «Corriere» weitaus deutlicher aus als etwa in der Kantonshauptstadt Bellinzona. Die Tageszeitung rief ausserdem in Erinnerung, dass das Tessin bei einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent nur schwer behaupten könne, dass «Ausländer die Arbeit stehlen» würden.

Es sei ein «hartes Signal der Unduldsamkeit» gegenüber Migranten, schrieb die Römer Tageszeitung «La Repubblica» zum Tessiner Votum. Die Situation der italienischen Grenzgänger habe sich im Tessin noch weiter verschlechtert.

Auch die Tessiner Zeitungen befassten sich in ihren Montagsausgaben mit Gründen und Auswirkungen des Abstimmungsresultats. Für Regierung und Parlament sei das Resultat ein «Dilemma», schrieb etwa der «Corriere del Ticino».

Der Tessiner Wirtschaft gehe es gut, die Arbeitlosenquote bewege sich derzeit sogar unter dem nationalen Durchschnitt, und trotzdem nehme ein Grossteil der Bevölkerung die Ausgangslage als negativ wahr. Sie hätten wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft und fühlten sich in der Gegenwart bedroht. Wenn die Initiative «Prima i nostri» nun aber wortgetreu umgesetzt würde, könnte der Tessiner Wirtschaftsmotor wirklich ins Stottern geraten und für weiteres Ungemach bei der Bevölkerung sorgen.

Mit «Zuerst die Unseren» habe sich ein effizienter Slogan der Angst durchsetzen können, kommentierte «La Regione». Im Tessin habe sich eine «Solidarität der Angst» herausgebildet, die besonders bei Abstimmungen über Migrations- und Ausländerfragen immer wieder zum Vorschein komme.

Das Tessiner Votum sei in gewisser Weise eine Mahnung an Bern, kommentierte das «Giornale del Popolo». Egal ob die Entscheidung der Tessiner nun auf Fakten oder einer diffusen Angst beruhte - das Resultat könnte auch den politischen Prozess bei der Umsetzung der SVP-Einwanderungsinitiative vom 9. Februar beeinflussen.

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