Hier entsteht Fleisch in der Maschine
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Direkt aus tierischen Zellen:Hier entsteht Fleisch in der Maschine

Käse ohne Kühe, Fleisch aus dem Labor
Käse ohne Kuh

Käse ohne Kuhmilch, Fleisch aus dem Labor, Eier aus Pflanzen – «Novel Food» soll Umwelt und Tiere retten. Der neuste Trend der Lebensmittelindustrie ist ein riesiges Geschäft, eine Milliardenwette auf das Essen von morgen.
Publiziert: 30.01.2022 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2022 um 06:22 Uhr
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Bauer und Unternehmer Jaap Korteweg (r.) mit Geschäftspartner Niko Koffeman: «Jetzt kommt die Kuh aus rostfreiem Stahl.»
Tobias Marti

Der in den Niederlanden geborene Jaap Korteweg (59), also ausgerechnet ein Flachländer, will nichts weniger als ein heiliges Tier abschaffen, unsere Kuh – zumindest als Nutztier.

Der Landwirt tüftelt im belgischen Gent an einer revolutionären Erfindung: Käse ohne Kühe. Bei Milchbauern ist er deshalb ungefähr so populär wie die Maul- und Klauenseuche.

Kortewegs Begründung schleckt leider kein Rindvieh weg: Kühe sind Klimakiller. Einerseits wegen des Methangases, das 25-mal klimaschädlicher ist als CO2, und eben nicht nur in Mülldeponien oder Sümpfen entsteht, sondern auch in den Mägen der Wiederkäuer.

Andererseits wird die Fläche zum Problem. Weltweit dienen 80 Prozent des Agrarlandes zur Erzeugung von Fleisch und Milch – die aber nur 20 Prozent unserer benötigten Kalorien bringen. Besser wären pflanzliche Alternativen.

Milchbauern ohne Tiere

Vor 100 Jahren sei von Hand gemolken worden, argumentiert Korteweg, vor 70 Jahren kam die Melkmaschine, vor 30 Jahren der Melkroboter. «Jetzt kommt die Kuh aus rostfreiem Stahl.»

Die Milchbauern der Zukunft sollen nämlich das Gras der Schweizer Wiesen an einen Stahltank verfüttern. In dem produzieren dann gentechnisch veränderte Mikroben das Milcheiweiss Kasein und lassen damit Käse entstehen. Präzisionsfermentation heisst das Verfahren, das schon heute ganz ähnlich bei herkömmlichen Käsesorten angewendet wird.

Und was passiert mit der helvetischen Kuh? Die würde zum wild lebenden Tier, ohne Glocke, ohne Bauer, möglichst mit Hörnern. Korteweg: «Ihre Milch wäre allein für die eigenen Kälber bestimmt.» So weit die Theorie.

Was nach Science-Fiction tönt, nennt sich Novel Food: das nächste grosse Ding im Lebensmittelsektor. Bald sollen sich Milliarden von künstlichem Käse, von Fleisch und Fisch aus dem Labor ernähren. Es könnte die Lösung unserer Umweltprobleme sein, den Klimawandel stoppen, das Leiden der Tiere beenden.

Die weltweite Agrarindustrie ist nach der Energiebranche zweitgrösster Verursacher von Treibhausgasen, schlimmer als Strassen- und Flugverkehr. Vom Wasser- und Antibiotikaverbrauch ganz zu schweigen.

Käse allein verursacht laut Deutschlands Veganpapst Christian Vagedes vier Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses, ein Drittel dessen, was Autos in die Luft blasen. Grün an dieser Industrie ist eigentlich nur noch das Image, das sie in ihren Werbekampagnen verbreitet.

Mit Visionen kennt sich Korteweg aus. Seine Firma The Vegetarian Butcher hat Nuggets, Hamburger und Co. neu erfunden. Vor drei Jahren verkaufte er die Soja-Fleischersatz-Marke für einen Millionenbetrag an den Nestlé-Konkurrenten Unilever.

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Fleischmarkt wächst unbeirrt weiter

Obwohl Detailhändler und Wirte den fleischlosen Januar als «Veganuary» zur neuen Fastenzeit erklären, steigt der Appetit auf Tierisches. Der globale Fleischmarkt, eine Billion Dollar schwer, wird laut US-Marktforschern bis 2040 fast aufs Doppelte angewachsen sein: auf 1800 Milliarden. Vor allem in Afrika und Asien steigt die Lust auf Fleisch. Geht es so weiter, fehlt dafür bald die Agrarfläche.

Pflanzliche Ersatzprodukte sind derweil längst im Laden angekommen. Laut dem Fleischersatz-Report des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) wandeln sich die Schweizer zu einem Volk von Flexitariern, verzichten bewusst mehrmals im Monat auf tierische Lebensmittel. 20 Prozent ernähren sich heute schon so.

Mit dem Ersatz – meist kalorienreich, mit Emulgatoren und Aromen aufgepeppt – machte der Detailhandel 2020 einen Umsatz von 117 Millionen Franken, doppelt so viel wie 2016. Jeder sechste verkaufte Burger im Supermarkt ist heute bereits ein rein pflanzliches Erzeugnis.

Käse aus dem Fermentor und Fleisch aus dem Bioreaktor sind der nächste Schritt. Und zwar nicht irgendwann: Laut BLW-Report wird Laborfleisch schon in den kommenden Jahren Marktreife erlangen.

Womit Christoph Mayr (37) zurzeit in seinem Labor in Wädenswil ZH experimentiert, interessiert die Welt brennend. Nirgendwo in der Schweiz und kaum irgendwo in Europa gibt es so etwas zu sehen. Gerade musste Mayr die Leute vom Fernsehen vertrösten, seine Forscher kämen sonst nicht mehr zum Forschen.

Der Wissenschaftler zupft an seinem Kittel: «Diese Tabelle lieber nicht fotografieren, jenen Bildschirm besser nicht filmen», sagt er. Es ist eine geheimniskrämerische Branche. Dabei arbeiten Firmengründer Mayr und die 15 Mitarbeiter von Mirai Foods (japanisch für Zukunft) hier lediglich an Hackfleisch. Nur stammt es eben aus dem Bioreaktor und soll einmal das Original ersetzen.

Und wie schmecken die Dinger? Mayr hat nichts zum Degustieren da. In dieser Branche darf selten jemand testessen. Vor Jahren schrieben die Medien von Zombiefleisch. Nach neusten Berichten unterscheidet sich der Geschmack kaum noch vom Original.

Die Konsumenten zögern noch

Die Branche weiss: Geschmack und Konsistenz sind entscheidend für den Erfolg. Noch aber haben viele Konsumenten Zweifel. Bei Umfragen erklärten sich lediglich 44 Prozent der französischen Befragten bereit, so etwas überhaupt zu probieren, von den Deutschen immerhin jeder Zweite.

Sogar die Jugend hat Bedenken. Zwei von drei Australiern in den Zwanzigern würden Laborfleisch nicht akzeptieren, wie Befragungen ergaben. Derweil hat Migros die Insektensnacks, ein anderes «Trendprodukt» der Branche, wegen mangelnder Nachfrage wieder komplett aus dem Sortiment entfernt.

«Für Konsumenten ist es schwer abzuschätzen, was sie in Zukunft einmal wollen», sagt Christine Schäfer, Trendforscherin am Gottlieb Duttweiler Institut. «Auf das Handy hat auch niemand gewartet. Und jetzt gehts nicht mehr ohne.»

Wohlige 37 Grad warm ist der Bioreaktor, unten wabert eine rote Flüssigkeit, den Bedingungen im echten Rind nachempfunden. In der Nährlösung vermehren sich Muskel- und Fettzellen zu sogenanntem In-vitro-Fleisch. Keine manipulierten Zellen, keine Gentechnik, betont Mayr: «Die Natur ist genial, das muss man zugeben.» Und fügt hinzu: «Sie hat aber auch ein paar Millionen Jahre Vorsprung.»

Im Wettlauf gegen die menschengemachten Probleme sieht sich der Forscher als Umweltschützer: Laborfleisch verursache zehnmal weniger Treibhausgase, töte keine Tiere, benötige keine Antibiotika. Mayr will das «bisherige» Fleisch sogar überflügeln. «Wir können es etwa mit Vitaminen anreichern», sagt er.

Ihm selbst schmeckt Fleisch, er hat deswegen aber ein schlechtes Gewissen. Leute wie er sind seine Zielgruppe. Nächstes Jahr will Mayr die ersten Restaurants in Singapur beliefern. Nur im asiatischen Stadtstaat und in Israel sind bereits Züchtungen aus dem Labor zugelassen. Chicken-Nuggets werden dort für 23 Dollar pro Portion serviert. Mayr: «In drei Jahren wollen wir die Schweiz beliefern.»

Doch es ist schwierig, die Natur nachzubauen. Und kostspielig. An 200 Gramm Hackfleisch arbeitete sein Team zwei Monate lang. Ein Kilo kostete noch vor einem Jahr so viel wie ein Mittelklasseauto. Inzwischen drückte Mayr die Kosten auf die eines Velos.

Investoren riechen den Braten

Unter Investoren herrscht Goldgräberstimmung. Novel Food ist eine riesige Wette, ein Milliardending. Das nötige Geld aufzutreiben, scheint kein Problem zu sein. Promis wie Bill Gates oder Weltraum-Unternehmer Richard Branson mischen mit.

Future Meat, ein Konkurrent von Mayr aus Israel, sammelte im letzten Monat 347Millionen Dollar Investorengelder ein. Nestlé arbeitet bereits mit Future Meat zusammen. Die Migros beteiligt sich an den israelischen Aleph Farms, Coop investiert in Mosa Meat aus den Niederlanden.

Rund 40 Firmen rund um den Globus liefern sich ein Wettrennen. Der Markt für alternatives Protein wird bis 2035 auf 290 Milliarden Dollar anwachsen, so eine Studie der Boston Consulting Group. Aller Euphorie zum Trotz: Noch führte kein Laborerfolg zu einem profitablen Geschäft.

Friederike Grosse-Holz beisst gelegentlich in einen In-vitro-Burger, dann wieder probiert sie ein alternatives Ei. Alles streng geheim, so richtig darüber reden dürfe sie nicht, meint die Biotechnologin. Nur so viel: Das pflanzliche Eiweiss liess sich tatsächlich zu Schnee schlagen.

Grosse-Holz arbeitet als wissenschaftliche Direktorin für Blue Horizon, einen Zürcher Kapitalgeber. Für diesen «Impact Investor» fahndet sie nach dem Wunder-Start-up, das Investoren glücklich machen und zugleich die Welt retten soll. Ihre Leitfrage: Ist die Erfindung besser für Planet, Mensch und Tier?

Sie und ihr Investor haben 850 Millionen Franken eingesammelt, um sie in Protein-Alternativen oder nachhaltige Lebensmittel zu stecken. Bisher sind die Anleger vor allem vermögende Privatkunden, bis Ende Jahr soll mit institutionellen Investoren das Kapital verdoppelt werden. Anders gesagt: Bald könnten Schweizer Pensionskassen ihre Gelder in Laborfleisch und Co. anlegen.

Verzicht verkauft sich schlecht, findet Grosse-Holz, 20 Jahre lang habe man das erfolglos versucht. «Bald aber bekomme ich mein Lieblingsessen, ohne ein Tier zu essen.» Zuerst könnten Hybridprodukte kommen, eine Mischung aus Laborfleisch und pflanzlichem Protein. Bis Ende des Jahrzehnts dürfte in der Herstellung Parität erreicht sein, Laborfleisch so viel kosten wie das Original. Grosse-Holz: «In zehn Jahren stammt jedes fünfte Schnitzel nicht mehr vom Tier.»

Fischstäbchen vom Getreidefeld

Es sind die Fischstäbchen, nach denen die Leute verrückt sind. «Eine Kindheitserinnerung», sagt Noah Rechsteiner (21). Selbstverständlich sind seine Stäbchen aus Weizen, schmecken aber wie Fisch. Der Koch führt das Anoah, derzeit Zürichs hippste Adresse für vegane Küche.

Zehn Prozent seiner Gäste ernähren sich laut Rechsteiner vegan. Viele wollten keine Ersatzprodukte, sondern ausdrücklich Gemüse, eine vegane Auster aus Pilzen etwa, geschmorten Sellerie oder Mayonnaise aus Kürbis und mit Schwefelsalz. «Wer die Esskultur verändern will, braucht dafür drei Generationen», ist der Koch überzeugt. Erst dann habe sich der Geschmackssinn verändert.

An der Nachhaltigkeit des Laboressens hat Rechsteiner gewisse Zweifel. Noch schneiden pflanzliche Ersatzprodukte in der Ökobilanz besser ab, bestätigt die Biotechnologin Grosse-Holz. Nachhaltiger als richtiges Fleisch sei das Labor aber alleweil.

Zurück in Wädenswil: Dieser Tage zieht Mirai Foods um, die Forscher brauchen mehr Platz. Firmengründer Mayr ist ungebremst optimistisch, er rechnet damit, dass sich aus seiner Branche in wenigen Jahren der nächste 100-Milliarden-Dollar-Krösus erheben wird, eine Firma in der Grössenordnung von Novartis. «Wir wären aber auch mit 50 Milliarden zufrieden», sagt Mayr und lacht.

Wie gesund ist vegan?

Laut Studien haben Vegetarier und Veganer häufig ein geringeres Risiko für ernährungsbedingte Krankheiten. Grund dafür ist der hohe Verzehr an Gemüse, Früchten und Vollkornprodukten. Dazu kommt ein im Vergleich zum Schnitt insgesamt gesünderer Lebensstil. Die Auswirkungen einer langfristigen veganen Ernährung auf die Gesundheit (in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes) sind allerdings «nicht eindeutig positiv». Oft ist ein Mangel an gewissen Nährstoffen verbreitet. ­Darum kann die Ernährungskom­mission eine vegane Ernährung noch nicht als Gesundheitsmassnahme empfehlen. Grundsätzlich gilt aber für alle Ernährungsformen: Nur ausgewogene Ernährung ist gesund.

Laut Studien haben Vegetarier und Veganer häufig ein geringeres Risiko für ernährungsbedingte Krankheiten. Grund dafür ist der hohe Verzehr an Gemüse, Früchten und Vollkornprodukten. Dazu kommt ein im Vergleich zum Schnitt insgesamt gesünderer Lebensstil. Die Auswirkungen einer langfristigen veganen Ernährung auf die Gesundheit (in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes) sind allerdings «nicht eindeutig positiv». Oft ist ein Mangel an gewissen Nährstoffen verbreitet. ­Darum kann die Ernährungskom­mission eine vegane Ernährung noch nicht als Gesundheitsmassnahme empfehlen. Grundsätzlich gilt aber für alle Ernährungsformen: Nur ausgewogene Ernährung ist gesund.

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