Das Regionalgericht verurteilte die ausgebildete Pflegefachfrau zu einer Geldstrafe von 315 Tagen zu 80 Franken. Zudem ordnete es eine ambulante Psychotherapie an. Dem Mädchen wird eine Genugtuung von 10'000 Franken zugesprochen.
Die Frau soll laut einem psychiatrischen Gutachten an einer seltenen psychischen Störung gelitten haben, dem Münchhausen-by-proxy-Syndrom. Betroffene täuschen bei Drittpersonen Krankheiten vor oder verursachen sie sogar, um Aufmerksamkeit zu erhalten.
Die Angeschuldigte bestritt die Diagnose vor Gericht vehement. Sie habe bei ihrer Tochter einfach Krampfanfälle festgestellt und dies so an die Ärzte weitergegeben. Am Anfang bestand der Verdacht auf Epilepsie und das Mädchen erhielt entsprechende Medikamente.
Über 20 Mal landete das Kleinkind bei Ärzten und in Spitälern wegen mutmasslicher Krämpfe. Die Diagnose Epilepsie liess sich hingegen laut zwei ärztlichen Gutachtern nicht bestätigen. Auch andere Erkrankungen schlossen sie aus.
Weil die am Kind festgestellten Symptome nicht so recht mit den Schilderungen der Eltern in Einklang zu bringen waren, erging eine Gefährdungsmeldung wegen Kindsmisshandlung an die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden.
Von da an sei ihre Mandantin einer «richtigen Hexenjagd» ausgesetzt worden, sagte die Verteidigerin in ihrem Plädoyer. Alles was die Frau getan oder gesagt habe, sei immer gegen sie verwendet worden. Es gebe keine zweifelsfreien Beweise, dass die Frau ihr Kind gequält habe. Bestünden Zweifel an der Täterschaft, müsse das Gericht die Frau nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» freisprechen.
Ganz anders die Staatsanwältin: Sie sah es als erwiesen an, dass die Frau dem Kleinkind mindestens siebenmal die Atmung blockierte, bis das Kind Erstickungskrämpfe bekam. Weiter soll sie dem Mädchen auch hohe Dosen an starken Beruhigungsmitteln, teilweise ohne ärztliche Indikation, verabreicht haben. Als das Mädchen vorübergehend fremdplatziert wurde, habe sich sein Gesundheitszustand rasch verbessert.
Die Staatsanwältin verlangte für die Angeklagte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Im Strafvollzug müsse die Frau eine Therapie machen.
Das Regionalgericht sprach die Frau schliesslich mangels Beweisen vom schwersten Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung frei. Damit falle die psychiatrische Diagnose des Münchhausen-by-proxy-Syndroms nicht etwa in sich zusammen, betonte der Gerichtspräsident. Vielmehr müsse sich die Frau im Rahmen einer ambulanten Therapie ihrer Störung stellen lernen.
Handfeste Beweise lagen dem Gericht laut Gerichtspräsident hingegen auf die Verabreichung von starken Beruhigungs- und Krampflösemitteln vor. In Blut- und Haarproben konnten entsprechende Stoffe beim Mädchen nachgewiesen werden. Auch bei seinem Schwesterchen fielen Proben positiv aus.
Als Pflegefachfrau habe die Mutter Zugang zu solchen Arzneimitteln, kam das Gericht zum Schluss. Dass das Mädchen die Mittel mehrmals selbst eingenommen habe, sei unwahrscheinlich. Auch Drittpersonen kämen nicht in Frage.
Das Mädchen kam 2011 auf die Welt. Die angeklagten Vorfälle ereigneten sich in den Jahren 2012 bis 2014. In den vergangenen sieben Jahren sind keine Vorfälle mehr aktenkundig geworden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann an die nächsthöhere Instanz weitergezogen werden.
(SDA)
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