Metformin. Das Medikament für Diabetiker soll angeblich Nichtzuckerkranke vor Krebs und Herzinfarkt schützen. Was das Wissenschaftsblatt «Nature» im Juni schrieb, schlug in Anti-Aging-Kreisen ein wie eine Bombe. Das rezeptpflichtige Medikament wird als neue Wunderpille gehandelt.
Jürg Sigerist hat die Berichte aufmerksam gelesen. Seit 20 Jahren schluckt er alle möglichen Substanzen, die versprechen, den Alterungsprozess zu verzögern. «Pillenfresserei» nennt er selbst seine Gewohnheit.
Mit Vitamin C fing er an. Heute gönnt er sich täglich fünf Gramm davon, zusätzlich Präparate mit Omega-3-Säuren, Selen, Magnesium, Kreatin, Resveratrol, dem Hormon DHEA sowie Padma-Kapseln. Hunderte von Franken investiert Sigerist monatlich dafür bei internationalen Online-Apotheken. Zwei Mal schon büsste ihn der Schweizer Zoll wegen illegaler Medikamentenimporte. Seither bestellt er nur noch in kleinen Mengen, dafür fast wöchentlich.
Sigerist ist Ökonom, kennt sich aber mit Medikamenten aus. Pharmafirmen gehören zu den besten Kunden des PR-Spezialisten. Er liest auch die Berichte, die vor gefährlichen Nebenwirkungen warnen. «Substanzen wie DHEA oder Kreatin sind kontrovers und hoch riskant», sagt er.
Vom Konsum hält ihn dies aber nicht ab. «Ich bin der beste Beweis, dass sie nicht schädlich sein können», sagt er. «Sonst hätte ich längst Krebs oder sonst etwas bekommen.» Vom neuen Wundermittel Metformin lässt er aber die Finger, bis eine Studie vorliegt. Zu gross ist ihm das Risiko, die Substanz könnte im Cocktail mit seinen anderen Medikamenten toxisch werden.
Auf den Gesundheitstrip kam Sigerist mit 50. Zuvor liess er keine Sünde aus. Seine Familie lebte im Wallis, er war Wochenaufenthalter in Zürich. «Wir haben alles gemacht, was Gott verboten hat.»
Die Zeiten waren hervorragend, das Geld lag auf der Strasse. Sigerist war Finanzjournalist, später wechselte er die Seiten. Er arbeitete für Banken und für den wegen Betrugs verurteilten Finanzjongleur Werner K. Rey.
Heute hat er dem Nachtleben abgeschworen. Er trinkt nicht, raucht nicht, hält eisern Diät, schläft viel – und schluckt seine Pillen. Ihm gehe es nicht darum, 120 Jahre alt zu werden, sagt er. «Ich will aber so lange wie möglich gesund und leistungsfähig bleiben.»
Sigerist wirkt jugendlich. Er kleidet sich wie ein Dandy, den Kragen offen, auf der Brust baumelt eine Kette, der muskulöse Körper steckt in einem schmalen Anzug. Falten im Gesicht hat er fast keine. Die Haare sind zwar grau, aber voll und kräftig.
Wie viel davon ist echt, wie viel ein Produkt der Schönheitschirurgie? Hier hört für Sigerist der Spass auf. Ausser den Zähnen habe er nie etwas machen lassen. «Ich habe panische Angst vor Spritzen, unters Messer würde ich mich nie freiwillig legen», sagt er. Ausserdem sei das alles nur Symptombekämpfung. Wer Fett absaugen lasse, habe zuvor viel falsch gemacht.
Sigerist kennt ein wirksameres Anti-Aging-Programm: Er schwimmt wie ein Besessener. Im Hallenbad Sitten wühlt er sich zweimal wöchentlich 2,5 Stunden durchs 50-Meter-Becken. Sechs bis sieben Kilometer spult er pro Einheit ab. Auch für 24-Stunden-Wettkämpfe steigt er ins Wasser. Beim letzten Mal zogen ihn die Helfer nach 21,1 Kilometern aus dem Bassin. Sein nächstes Ziel ist die Schwimm-Europameisterschaft. Mit 70 will er erstmals an den Start.
Und das glatte Gesicht? Verdankt er einem selbst entwickelten Training. «Es ist doch seltsam, alle Muskeln trainieren wir, nur das Gesicht nicht.» Deshalb fing er an, im Fitnessstudio parallel zu den Kraftübungen die Gesichtsmuskeln zu stählen. Während er den Bizeps trainiert, schneidet er gleichzeitig Grimassen. Die Wirkung ist etwa dieselbe wie eine Botox-Spritze. Sie hält nur länger an.