Als Islamforscher und gläubiger, aber reformorientierter Muslim weiss ich, dass nicht nur die religiös-politische Ideologie des Islamismus, sondern jeder schriftgläubige, an der Scharia orientierte orthodoxe Islam diametral allen europäischen Wertevorstellungen von Demokratie, Pluralismus und individuellen Menschenrechten in einer Zivilgesellschaft, also der europäischen Leitkultur, entgegensteht.
Weil es keinen Eintopf-Islam gibt, stellt sich neben der Frage nach der Leitkultur auch jene, auf welchen Islam Europa seine Immigranten verpflichten soll. Gegen die von europäischer Wertebeliebigkeit befallenen Gesinnungsethiker und Multikulti-Ideologen argumentiere ich, dass Europa als Aufnahmekontinent, der seine Identität bewahren muss, ein Recht darauf hat, einen europakompatiblen Islam einzufordern.
Das Problem ist schliesslich nicht akademischer Natur; es betrifft die Zukunft Europas und sein Schicksal: Bleibt dieser Kontinent demokratisch auf der Basis des säkularen Rechts und der individuellen Freiheit oder wird er ein Scharia-Europa im Namen der negativen Vielfalt? Europäer sollten auf ein Bestimmungsrecht bei der Entscheidung dieser Alternativen bestehen.
Ganz Europa und nicht nur die Schweiz sind von diesen Alternativen betroffen. Die Vehemenz der Problematik wird von den Zahlen der «demografischen Lawine» aus der Welt des Islams im Jahr 2015 untermauert. Zur Zeit leben rund 28 bis 30 Millionen Muslime in Europa. Und es werden täglich mehr.
Angesichts dieser rasanten Entwicklung, auf die die Europäer nicht vorbereitet sind, ist die Frage zwingend: Welche Werte bestimmen das Zusammenleben von ursprünglichen Bewohnern Europas und den neu hinzuströmenden Millionen muslimischer Flüchtlinge? Mit dieser Frage sind wir bei dem von mir in zwei Jahrzehnten entwickelten Integrationskonzept der Leitkultur angelangt.
Leitkultur bedeutet nichts anderes als eine auf den europäischen Wertvorstellungen basierende Hausordnung für ein Gemeinwesen in Europa. Ohne Leitkultur ergibt sich automatisch eine Wertebeliebigkeit und ein Verlust des inneren Friedens. Leider kultivieren viele Multikulti-Europäer im Namen von Toleranz und Vielfalt eine Werterelativierung, die nicht nur europäische Werte, sondern sogar die Identität Europas in Frage stellt.
Die neuen Bewohner Europas wissen genau, wer sie sind; sie verfügen auch über eine Leitkultur. Für viele dieser muslimischen Migranten heisst sie Scharia, und sie fordern im Namen von Multikulturalismus und Vielfalt deren Geltung in Europa. Die Scharia-Leitkultur basiert auf einem schriftgläubigen und orthodoxen Islam, der die islamische Identität wesentlich bestimmt. Nun ist diese Scharia-Leitkultur mit den Wertvorstellungen eines demokratischen Europas unvereinbar. Das ist ein Faktum und keine Meinung.
Selbst Muslim, plädiere ich für kulturübergreifenden Brückenbau, jedoch ohne die europäischen Werte preiszugeben. Wir benötigen einen Wertekonsens auf einer europäischen Grundlage. Dabei ist es unumgänglich, dass islamische Migranten viele Konzessionen machen müssen, wenn sie zu Europa gehören wollen. Geschieht dies nicht, landen die neuen Migranten in den bereits bestehenden Parallelgesellschaften. Aus eben diesen Parallelgesellschaften in Paris und Brüssel sind der islamistische Dschihadismus und seine abscheulichen Terroraktionen hervorgegangen.
Eine europäische Leitkultur erfordert vorrangig die Trennung von Religion und Politik, die Akzeptanz der Werte der politischen Kultur der Demokratie wie etwa Pluralismus, individuelle Menschenrechte und säkulares Recht. Demokratie besteht nicht nur aus Wahlen. Sie ist weit mehr. Muslime müssen verstehen, dass Demokratie eine politische Kultur ist.
Ich bin gegen Polarisierung und Konfrontation und stelle deshalb die Frage, wie der Islam mit der europäischen Werteordnung kompatibel gemacht werden kann. Ich bin ehrlich und räume ein, dass dies einen Wandel in der islamischen Weltanschauung durch religiöse Reformen unbedingt erfordert.
Dazu gehört unter anderem die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Gleichstellung von Nichtmuslimen und Muslimen. Muslime fühlen sich in ihrer Weltanschauung allen anderen moralisch überlegen. Die Scharia untermauert diese moralische Überlegenheit, die in Europa nicht zugelassen werden darf.
Die linken und grünen Argumente gegen eine europäische Leitkultur unterstellen Hegemonie, Zwang und Bevormundung. Das ist gleichermassen falsch und kontraproduktiv. Es geht einzig und allein um die Inklu-sion der Muslime in Europa als Citoyens. Das ist genau der Gegensatz zu Exklusion. Eine Inklusion ist jedoch nur durch Europäisierung des Islam im Rahmen einer europäischen Leitkultur möglich. Zur Integration islamischer Migranten als Citoyens eines europäischen Gemeinwesens bedarf es eines Wertekonsenses. Geteilte Werte ermöglichen Muslimen, zu Europa zu gehören.
Um das Ziel der Integration auf der Basis einer europäischen Leitkultur zu verwirklichen, müssen sich sowohl muslimische Migranten als auch die Europäer verändern. So müssen Europäer lernen, die Muslime als Mitbürger zu behandeln und nicht als Fremde auszugrenzen. Muslime können hierzu beitragen, indem sie die Bereitschaft erbringen, als europäische Bürger und nicht als Vorkämpfer der mis-sionarischen Islamisierung zu agieren. Beide Seiten müssen ihre Selbst- und Fremdbilder einem Wandel unterziehen.
So müssen Muslime nicht nur ihr Feindbild eines Europas der Dekadenz aufgeben, sondern auch ihre Selbstbilder der moralischen Überlegenheit. Genuine Integration im Rahmen einer europäischen Leitkultur ist die Friedenslösung. Daran müssen Europäer und Muslime gemeinsam arbeiten.
Gelingt dies nicht, wird Europa einen hohen Preis zahlen. Ich bin kein Panikmacher, aber ich warne davor, dass eine Verdoppelung der islamischen Gemeinde in Europa bei zugleich fehlender Integration beängstigende Konsequenzen zeitigt. Europa könnte das werden, was heute Syrien, Irak oder Libyen sind.
Diese Länder haben ein zerrüttetes Gemeinwesen, dort gibt es keine Leitkultur mehr – ausser jener der Gewalt.
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