Vier Tibet-Antilopen müssen sterben, damit sich Gutbetuchte einen Edelschal aus der feinen Shahtoosh-Wolle des geschützten Tieres umstreifen können. Luxus pur für mindestens 4000 Franken – und illegal! BLICK deckte am Montag den vermutlich grössten Fall von Shahtoosh-Schmuggel in der Schweiz auf. Eine deutsche Jetsetterin ging in St. Moritz dem Zoll ins Netz.
Kein Zufall, dass es gerade dort passierte. Das internationale Geschäft mit den verbotenen Edelschals blüht. «Die Schweizer Alpen sind ein Paradies für Jetset-Ferien, ein Magnet für Gutbetuchte. Daraus ergibt sich ein grosses Potenzial für Shahtoosh-Besitzer», sagt Mirjam Walker, Chefkontrolleurin für Artenschutz beim Bund. Sie weiss: «Auch in der Schweiz floriert der illegale Shahtoosh-Handel.» Doch die Behörden sind nicht untätig, sie haben dem Schmuggel den Kampf angesagt, wie Walker im Interview erklärt.
BLICK: Frau Walker, die Schweiz sagt dem Handel von Schals aus Shahtoosh-Wolle den Kampf an. Warum?
Mirjam Walker: Der Handel mit Tibet-Antilopen und Erzeugnissen daraus ist seit 1979 verboten. Dennoch blüht das internationale Geschäft. Auch in der Schweiz floriert der illegale Shahtoosh-Handel. Das ist besorgniserregend!
Woran machen Sie das fest?
Seit 2013 führen wir mit der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) vermehrt Kontrollen durch. Jahr für Jahr haben wir mehr dieser Luxusschals beschlagnahmt. 2016 eröffneten wir 25 Fälle und konfiszierten 61 Schals.
Im Jahr 2013 waren es neun Fälle und 21 Beschlagnahmungen. Wie erklären Sie sich den Anstieg?
Einerseits wurden die Grenzbeamten besser geschult. Andererseits haben wir die Überwachung intensiviert. Pro Jahr führen wir zwei bis drei mehrtägige Kontrollen durch an Orten, wo wir eine hohe Trefferquote vermuten.
Das Jahr 2015 war ein Rekordjahr punkto Beschlagnahmungen. Müsste man jetzt nicht von einem Rückgang sprechen?
Nein. Solche Schwankungen sind normal, die Tendenz bleibt die gleiche.
Wo und wie schlagen die Behörden zu?
Mehrheitlich führen wir die Zugriffe und Beschlagnahmungen im Winter durch. Beispielsweise an Grenzübergängen zum Engadin, Flugplätzen wie in Samedan und in Jetset-Orten wie St. Moritz. Bei einem Preis von bis zu 40'000 Franken für einen einzigen Shahtoosh-Schal ist die Klientel natürlich überschaubar.
Sie sprechen von 25 Shahtoosh-Fällen im letzten Jahr. Das tönt ebenfalls überschaubar.
Der Eindruck täuscht. Die in der Schweiz beschlagnahmten Schals sind nur die Spitze des Eisbergs eines illegalen internationalen Handels. Einer, der genauso verboten ist wie der mit Elfenbein, Tigerfellen und Nashorn-Hörnern.
Davon hat man bislang kaum etwas gehört.
Vielen Besitzern dieser Luxusschals ist tatsächlich nicht bewusst, was sie da um den Hals tragen. Oder sie geben das einfach nicht zu. Dabei müssen für einen Schal aus reiner Shahtoosh-Wolle zwei bis fünf Antilopen getötet werden. Für die letztes Jahr beschlagnahmten Schals wurden also gegen 244 Tiere gewildert.
Lassen sich die Antilopen nicht einfach scheren wie ein Schaf?
Tibet-Antilopen kann man nicht wie Vieh halten. Das sind wilde Tiere, die bei ihren Wanderungen Hunderte Kilometer zurücklegen.
Wieso hat die Schweiz ein Shahtoosh-Problem?
Die Schweizer Alpen sind ein Paradies für Jetset-Ferien, ein Magnet für Gutbetuchte. Daraus ergibt sich ein grosses Potenzial für Shahtoosh-Besitzer. Schals aus der feinsten Wolle der Welt sind Luxus pur. Es sind wundervolle Produkte, die süchtig machen können.
Warum ist der Bund jetzt Vorreiter bei der Shahtoosh-Jagd?
Wir wissen, dass die Schweiz ein Shahtoosh-Hotspot ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa haben wir bereits eine Plattform zum Austausch über unser Shahtoosh-Wissen aufgebaut. Und wir können eine Zunahme der Beschlagnahmungen vorweisen. Wir wollen dieses Wissen an andere Länder weitergeben, damit sie nicht bei null anfangen müssen.
Welche Rolle spielt Interpol dabei?
Interpol kann dort helfen, wo wir grenzüberschreitende Kriminalität haben. Dies ist hier der Fall. Interpol hat eine zentrale Rolle gespielt beim Aufbau der internationalen Zusammenarbeit in diesem Bereich. Wir können die Kriminellen und Käufer nur verfolgen, wenn wir uns über die Grenzen vernetzen.
Was sind die ersten Schritte im internationalen Austausch?
Im Juni 2016 hat die Schweiz im französischen Lyon mit Interpol ein Netzwerk ins Leben gerufen. Mit dabei waren auch Vertreter des Artenschutzabkommens Cites, Vollzugsbeamte und Behörden der Herkunfts-, Produktions-, Transit- und Konsumländer sowie Experten aus forensischen Instituten aus den USA und Indien. Wir haben dort Ziele im Kampf gegen den illegalen Shahtoosh-Handel festgelegt.
Von welchen Zielen sprechen Sie?
Zu den Zielen gehört, dass alle betroffenen Länder eine Shahtoosh-Plattform aufbauen, ihre Grenzbeamten besser schulen und Defizite bei Kontrollen abbauen. Wir planen gemeinsame Aktionen im Kampf gegen Shahtoosh-Schmuggel. In der Schweiz wollen wir die Kontrollen intensiv weiterführen und die Öffentlichkeit besser für die Problematik sensibilisieren.
Wie kann man sich den Kampf gegen die Kriminellen vorstellen, wenn Sie meist nur die Endkäufer der Schals hochnehmen?
Wir wollen herausfinden, von wo die Schals nach Europa und in die Schweiz kommen. Wer sind die Zwischenhändler und Produzenten? Wir verfolgen den Weg zurück über Reichen-Hotspots bis ins Produktionsland Indien. Jeden Umschlagplatz, den wir ausmachen können, teilen wir mit ausländischen Kollegen.
Wo liegen die Schwierigkeiten?
Shahtoosh-Schals sind nur für gut geschulte Augen von Kaschmirtüchern zu unterschieden.
Was passiert mit einer in der Schweiz aufgegriffenen Person?
Die Shahtoosh-Schals werden beschlagnahmt. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen eröffnet ein Verwaltungsverfahren und gibt eine Bussenempfehlung ab. Die Eidgenössische Zollverwaltung führt das eigentliche Strafverfahren gegen den Händler oder Besitzer. Die illegale Einfuhr von Shahtoosh-Schals wird mit einer Busse von mehreren Tausend Franken pro Schal bestraft, der illegale Handel mit mehreren Zehntausend Franken.
Braucht es kein härteres Vorgehen gegen Schmuggler und Käufer von Shahtoosh-Schals?
Wer sehr wohlhabend ist, dem tun ein paar Tausend Franken Busse nicht weh. Es ist darum viel wichtiger, die Öffentlichkeit besser aufzuklären. Wir müssen erreichen, dass die Reichen ihre Leidenschaft für Shahtoosh-Schals und ihren sorglosen Umgang mit dem Artenschutz überdenken.
In den letzten hundert Jahren ist die Tibet-Antilopen-Population im Himalayagebiet von über einer Million auf heute 70'000 Tiere geschrumpft. Haben Sie Ihren Kampf nicht schon verloren?
Wir gehen gemäss aktuellem Wissensstand von einer Population von über 100'000 Tieren aus. Wenn der Handel international wirksam bekämpft wird, besteht eine sehr gute Chance, dass sich die verbleibenden zehn Prozent der Population erholen. Doch dafür müssen wir jetzt schnell vorwärtsmachen.
Es dürfte der grösste Fall von Shahtoosh-Schmuggel in der Schweiz sein: Die Jetsetterin N. T.*, Angehörige einer schwerreichen deutschen Familie, hat 100 bis 125 Schals aus der Wolle der vom Aussterben bedrohten Tibet-Antilope erworben. Gegenwert ihrer Sammlung: bis zu fünf Millionen Franken.
BLICK hat den Fall gestern aufgedeckt. T.s Anwälte konnten zwar verhindern, dass die Identität ihrer Mandantin gelüftet werden darf, doch die Fakten liegen nun auf dem Tisch.
Die Schweizer Behörden liessen die Jetsetterin vor zwei Jahren hochgehen. Erst filzten sie T.s Fahrer an der schweizerisch-österreichischen Grenze in Martina GR, dann stellten sie ihre Suite in einem St. Moritzer Luxushotel auf dem Kopf und konfiszierten diverse Shahtoosh-Schals. Gleichzeitig ermittelte die Münchner Justiz gegen T. Gegen eine Geldzahlung in unbekannter Höhe stellte die dortige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
Der Fall zeigt: Die Schweizer Behörden haben ihre Anstrengungen gegen den verbotenen Handel mit Shahtoosh-Schals in den letzten Jahren verstärkt. Die Zahl der beschlagnahmten Schals und der Strafverfahren ist stark angewachsen.
Dennoch sind die Tiere mehr denn je vom Aussterben bedroht. Der Bestand der im Himalaya lebenden Antilope ist seit den 1950er-Jahren von über einer Million auf weniger als 100'000 Exemplare geschrumpft.
Obwohl der Handel seit 40 Jahren verboten ist, werden jährlich 20'000 Tiere getötet. Für einen Schal werden im Schnitt vier Tiere benötigt.
Die Tibet-Antilope hat das feinste Fell aller Tiere. Ein Haar ist nur gerade 0,01 Millimeter dick. Ein ganzer Schal lässt sich mühelos durch einen Fingerring ziehen.
* Name der Redaktion bekannt
Es dürfte der grösste Fall von Shahtoosh-Schmuggel in der Schweiz sein: Die Jetsetterin N. T.*, Angehörige einer schwerreichen deutschen Familie, hat 100 bis 125 Schals aus der Wolle der vom Aussterben bedrohten Tibet-Antilope erworben. Gegenwert ihrer Sammlung: bis zu fünf Millionen Franken.
BLICK hat den Fall gestern aufgedeckt. T.s Anwälte konnten zwar verhindern, dass die Identität ihrer Mandantin gelüftet werden darf, doch die Fakten liegen nun auf dem Tisch.
Die Schweizer Behörden liessen die Jetsetterin vor zwei Jahren hochgehen. Erst filzten sie T.s Fahrer an der schweizerisch-österreichischen Grenze in Martina GR, dann stellten sie ihre Suite in einem St. Moritzer Luxushotel auf dem Kopf und konfiszierten diverse Shahtoosh-Schals. Gleichzeitig ermittelte die Münchner Justiz gegen T. Gegen eine Geldzahlung in unbekannter Höhe stellte die dortige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
Der Fall zeigt: Die Schweizer Behörden haben ihre Anstrengungen gegen den verbotenen Handel mit Shahtoosh-Schals in den letzten Jahren verstärkt. Die Zahl der beschlagnahmten Schals und der Strafverfahren ist stark angewachsen.
Dennoch sind die Tiere mehr denn je vom Aussterben bedroht. Der Bestand der im Himalaya lebenden Antilope ist seit den 1950er-Jahren von über einer Million auf weniger als 100'000 Exemplare geschrumpft.
Obwohl der Handel seit 40 Jahren verboten ist, werden jährlich 20'000 Tiere getötet. Für einen Schal werden im Schnitt vier Tiere benötigt.
Die Tibet-Antilope hat das feinste Fell aller Tiere. Ein Haar ist nur gerade 0,01 Millimeter dick. Ein ganzer Schal lässt sich mühelos durch einen Fingerring ziehen.
* Name der Redaktion bekannt