Allaman VD – ein ideales Sujet für Postkarten: Von Weinreben gerahmt, ruht das Dörfchen zwischen dem Lac Léman und einer kleinen Anhöhe. In seinen Gässchen grüssen sich Fussgänger mit Vornamen. Auf seinen Weiden grasen Ziegen friedlich neben Pferden. Doch die Idylle trügt. In keiner Gemeinde der Schweiz gibt es mehr Straftaten pro Kopf als in diesem Dorf.
Seit 2009 erhebt das Bundesamt für Statistik, wo in der Schweiz wie viele Straftaten verübt werden. SonntagsBlick hat aus den Daten die erste Langzeiterhebung erstellt. Sie zeigt, wie viele Straftaten pro 1000 Einwohner zwischen 2009 und 2014 jährlich gemeldet wurden. Allaman hält mit Abstand den ersten Platz. Auf drei Einwohner kam hier jährlich eine Straftat – fünfmal mehr als im schweizweiten Durchschnitt.
Verbrechenshochburg Allaman? Die Gastarbeiter im Weingebiet schmunzeln. «Ich fühle mich hier viel sicherer, als bei uns zu Hause in Frankreich», sagt Jean Avoine (62). «Noch nie habe ich einen Zwischenfall erlebt.»
Anne Descuves (54) bestätigt das lächelnd. Die Gemeinderatspräsidentin öffnet die Haustür, bittet in ihre warme Stube: «Kriminell? Wir? Das kann nicht sein», sagt sie. «Diese Statistik stimmt zwar. Aber dafür können unsere Einwohner nichts.»
Schuld sei das grosse Einkaufszentrum. Es liegt zwar hinter der Bahnlinie, aber noch auf Gemeindegebiet. «Ständig gibt es dort Einbrüche und Diebstähle. Weil wir nur 400 Einwohner sind, explodiert die Quote pro Kopf.»
Schon vor Jahren habe man die miserable Platzierung in der Statistik des Bundes bemerkt. «Der Gemeinderat sass zusammen, hat über mehr Polizeipräsenz beraten», sagt Descuves. Nach fünf Minuten habe man sich dagegen entschieden: «Für die Sicherheit im Einkaufszentrum ist nicht die Gemeinde zuständig. Und sonst gibt es in Allaman keine Kriminellen.» Gefährlich sei es anderswo.
Bei den Grossstädten rangieren Genf (Rang 9) und Lausanne (8) in der Statistik vorn. Der Röstigraben zieht sich auch durch die Kriminalstatistik: Sieben der gefährlichsten zehn Orte liegen in der Westschweiz.
Auf dem zweiten Platz landet Grancia TI. Auch dort hat es viele Einkaufsmöglichkeiten und wenige Einwohner. Platz drei belegt Frick AG. Hier explodierte die Zahl der Straftaten, weil 1500 Personen vom Anlagebetrug einer dort ansässigen Firma betroffen waren.
In Interlaken BE (Rang 5) liefern die Behörden eine andere Begründung: «Wir haben im Jahr fast drei Millionen Touristen», sagt Peter Michel (44), Sicherheitsvorsteher der Gemeinde. «Wenn diese nur schon wenige Verstösse begehen, wirkt sich das enorm auf die Quote aus.» Zudem ist Interlaken für viele Bahnstrecken der Endbahnhof. «Wenn etwas im Zug gestohlen wird, rechnet man das uns zu.»
Michel kritisiert die Statistik des Bundes. «Das wirft ein negatives Bild auf unsere Destination.» Mehrmals habe man bei den Beamten, welche die Zahlen erheben, reklamiert. «Aber diese beharren darauf, dass die Zahlen statistisch korrekt sind.»
Über die Erhebung freuen können sich die Einwohner von Rumendingen BE. Das Dorf im Emmental ist die einzige Gemeinde der Schweiz, in der die Polizei seit Erhebungsbeginn keine Straftat verzeichnete. «Eine grosse Ehre – wir sind der sicherste Ort der Schweiz», freut sich Bewohner Tom Gerber (45). Aber Rumendingen droht den ruhmreichen letzten Platz zu verlieren. Gerber: «Vor kurzem wurde einem Einwohner die Kettensäge gestohlen!»