Die Schweiz ist im Fussballfieber
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Nati im Viertelfinal:Die Schweiz ist im Fussballfieber

Integrations-Experte Thomas Kessler erklärt die gespaltene Beziehung der Schweiz zur Fussball-Nati
«Wenn der Erfolg stimmt, vergessen wir unser Bünzlitum!»

Zuerst flogen die Fetzen, es hagelte Vorwürfe, alte Wunden rissen auf. Dann siegte die Schweizer Nati. Jetzt sind Fans wieder verrückt nach ihr. Integrations-Experte Thomas Kessler erklärt, warum die Liebe zur Mannschaft diesmal von Dauer sein könnte.
Publiziert: 01.07.2021 um 01:48 Uhr
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Aktualisiert: 01.07.2021 um 07:13 Uhr
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Thomas Kessler war von 1991 bis 1998 Drogendelegierter und von 1998 bis 2008 Integrationsbeauftragter des Kantons Basel-Stadt.
Foto: Roland Schmid / 13 Photo
Helena Schmid

Yann Sommer (32) breitet die Arme aus, rennt zur Fan-Tribüne. Die Schweizer Spieler stürmen hinterher, fallen sich in die Arme. Captain Granit Xhaka (28) wendet sich der Kamera zu, streicht sich durch die blondierten Haare, formt mit den Fingern eine Schere und ballt die Faust. Eine Szene, beispielhaft für die turbulente Beziehung zwischen Fans und Spielern.

Doch spätestens seit dem historischen Sieg im Achtelfinal gegen den Weltmeister ist die Schweiz wieder wie frisch verliebt in ihre Nati. Jeder Streit scheint plötzlich vergessen. Das Land ist sich einig – und stolz. Die Reaktion überrascht wenig, sagt Integrations-Experte Thomas Kessler. «Wenn der Erfolg stimmt, vergessen wir Schweizer unser Bünzlitum und feiern mit!»

«Secondos erzielen Spitzenleistungen»

In den letzten Jahren dominierten Vorwürfe und Streitigkeiten. So etwa um die Tatsache, dass die meisten Spieler bei der Nationalhymne nicht mitsingen. Oder um die Doppeladler-Geste, mit der Xhaka und Xherdan Shaqiri (29) ihre Tore an der WM 2018 bejubelten. Die meisten Nati-Spieler sind Kinder von Migranten. Fans fragen sich: Sind sie stolz auf unser Land, für das sie spielen?

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Thomas Kessler winkt ab. Einwanderer aus dem Balkan seien längst ein Teil der Schweiz – und mitverantwortlich für deren Erfolge und Wohlstand: «Spitzenleistungen im Sport oder der Wirtschaft erzielen bei uns häufig die Migranten oder Secondos.»

Doch dass Erfolg offen gezeigt wird – das gehöre nicht zur Schweizer DNA. Steven Zuber (29) fuhr dieses Jahr im Ferrari zum Trainingscamp. Shaqiri im Lamborghini, Haris Seferovic (29) mit seinem Porsche. Es hagelte Kritik.

«Faul und protzig geht gar nicht»

Und zum zweiten Gruppenspiel in Rom liessen Xhaka und Manuel Akanji (25) extra einen Coiffeur einfliegen. Gegen Italien spielten sie blond – die Schweiz verlor 0:3. Und tobte vor Wut. Kessler dazu: «Faul und protzig, das geht in unserem Land gar nicht!»

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Aber: Der Lifestyle mit schnellen Autos und aufwendigen Frisuren sei auch hierzulande viel mehr verbreitet, als wahrgenommen würde. «Das ist die Welt vieler junger Männer, mittlerweile auch mehr junger Frauen», sagt Kessler.

Der Boliden-Auftritt und die Figaro-Affäre kämen also nicht bei allen schlecht an. Doch die ältere Generation schenke diesen Aspekten von Lifestyle und Freude kaum Beachtung, findet der Experte und bemängelt: «Sie moralisiert, obwohl sie keinerlei Kontakt mehr zu dieser Schicht hat.»

«Müssen keine Vorbilder sein»

Kessler rät daher zu mehr Gelassenheit: «Nati-Spieler müssen keine Vorbilder sein – sie sollen spielen können!»

Genau das tat die Mannschaft am Montag. Sie gewann trotz grossem Rückstand in der zweiten Halbzeit und begeisterte so die heimischen Fans. «In dieser Partie bewiesen die Spieler, für was unser leistungsorientiertes Land steht: Zielstrebigkeit, Durchhaltevermögen und Einsatz.»

Doch wie lange wird die rosarote Brille währen? Im Viertelfinal trifft die Schweiz auf Spanien. Schwinden die grossen Gefühle, wenn die Mannschaft verliert? «Nein», meint Kessler. «Den historischen Erfolg werden die Fans ihnen nicht aberkennen. Solange der Einsatz stimmt, verkraften die Schweizer Fans auch eine Niederlage.»

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