Trompetend trabt ein Elefant durchs Wasserloch, hungrige Störche klappern, es raschelt in den Mopani-Büschen: abends um sechs im Okavango-Delta, Botswana. Eigentlich hätte die junge Schweizerin ihren Arbeitsalltag jetzt hinter sich.
Isabelle Tschugmall (31) ist Safari-Guide, eine der wenigen Frauen in der Branche. Doch in diesen Zeiten sitzt sie – statt in ihrem Jeep irgendwo in der Savanne – auf einer Parkbank im Zürcher Kreis 6 und schildert die dramatische Stimmung in ihrer Wahlheimat vor dem Sonnenuntergang.
Wegen der Corona-Krise ist Tschugmall in der Schweiz gestrandet: «Ich schaffte es gerade noch knapp, nur mit einem kleinen Rucksack als Gepäck, auf den letzten Flug nach Zürich.» Zu diesem Zeitpunkt, erzählt sie, war die Schweiz bereits im Lockdown, Botswana machte seine Grenzen dicht. An Entdeckungsreisen im Busch war nicht mehr zu denken.
Safari vor unserer Haustür
Seit der Interkontinentaltourismus weitgehend stillgelegt ist, hat die studierte Kommunikationswissenschaftlerin ihr Lager im Zürcher Oberland aufgeschlagen: Sie campiert im Garten von Freunden – und organisiert Safaris in der Schweiz!
«Es gibt so viele spannende Tiere hier, aber wir nehmen sie gar nicht mehr wahr! Ich sehe die Krise als Chance für uns alle, die hiesige Natur und Tierwelt zu entdecken.» Auf ihrem aktuellen Safari-Programm stehen wie im südafrikanischen Botswana Sternkunde, Spurenlesen oder Pflanzenkunde. Gerade ist eine Wandersafari im Bündnerland mit Übernachtung in einer Berghütte geplant.
Tschugmall: «Dort werden wir zum Beispiel die Spuren der Dachse verfolgen. Das sind unter anderem kleine Mulden, die sie nahe ihrer Behausung als Toilette benutzen.»
Tiere erschnüffeln
Bei den Safaris gehe es auch darum, dem Wald zu lauschen, die eigenen Sinne neu nutzen zu lernen, etwa den Geruchssinn zu aktivieren. «Wir werden auch versuchen, den Moschusbock zu finden; einen metallisch glänzenden Käfer, der ein aromatisches Sekret als Abwehr nutzt.»
Um die Abwesenheit der exotischen Tiere wettzumachen, setzt Tschugmall zudem auf Themensafaris. Zum Beispiel die sogenannte Sexari. Das Wortspiel aus Safari und Sexologie beschreibt ein Wochenende oder einen Abend, an dem die Teilnehmer beobachten, was Mensch und Tier im Paarungsverhalten gemeinsam haben – und was nicht.
Vorbildliche Rollenverteilung
Rollenbilder in der Tierwelt seien ebenfalls ein spannendes Thema, sagt Tschugmall. Bei den Hyänen und den Elefanten etwa, denen sie entlang des Okavangos oft begegnet ist, fungieren die Weibchen als Anführerinnen. Hierzulande hätten etwa die einheimischen Heckenbraunellen spannende Beziehungskonstrukte: «Während bei den meisten Singvogelarten nur die Männchen Reviere besetzen, tun es die Heckenbraunellen-Weibchen ebenfalls. Ausserdem haben sie gelegentlich zwei Partner, und die Väter helfen bei der Brutpflege.»
Tschugmall ihrerseits rüttelte im Busch an Rollenbildern. Sie ist nicht nur selbst Guide, sondern gründete auch zwei Safari-Reiseunternehmen: eines in Maun (Botswana), das andere im südafrikanischen Kapstadt. Ihre Guides sind Frauen. Sie schliesse nicht aus, Männer anzustellen, betont Tschugmall. «Aber es freut mich sehr, wenn meine Kolleginnen und ich in der männerdominierten Branche aufzeigen, dass auch Frauen sehr wohl guiden können.»
Als Feministin sieht sie sich nicht. «Statt lange über Frauenförderung zu predigen, sollte man sie leben!» Nebst ihrem Job auf der Pirsch hat sie in Botswana eine gemeinnützige Schweizer Organisation gegründet, die sich für Projekte von ansässigen Unternehmerinnen engagiert.
Ihre Mitarbeiterinnen sind in dieser speziellen Zeit anderweitig im Einsatz. «Eine Kollegin in Kapstadt stellt die Buchungen und Offerten für nächstes Jahr zusammen, eine weitere kümmert sich um unser Haus in Maun, bringt den Jeep zur Reparatur – lauter solche Dinge. Eine andere absolviert momentan in Südafrika eine Weiterbildung.»
Keine Zukunfstängste
Sorgen um die Zukunft ihrer Start-ups macht sie sich nicht. «Ich habe den ‹African way of life› verinnerlicht, schauen wir einfach mal», sagt sie lachend, fügt aber schnell hinzu: «Es hilft, dass wir im Januar eine Finanzierungsrunde abgeschlossen haben. Damit verfüge ich über genügend Liquidität für die kommenden Monate.»
Löhne und Fixkosten in Botswana und Südafrika sind vergleichsweise tief. «Mit 100 Franken ernährt sich eine Familie einen Monat lang.» Mit Zahlen kennt sich Tschugmall aus. Vor ihrer Ausbildung zur Safari- Guide vor drei Jahren machte sie im Zürcher Finanzdschungel Karriere. 308 Seiten Lektüre brauchte es dann, um ihr Leben auf den Kopf zu stellen: die Biografie von Gesa Neitzel, einer deutschen Fernsehredaktorin, die ihre Karriere an den Nagel hängte und sich in Südafrika zur Rangerin ausbilden liess. Mit dem Buch als Inspiration gab Tschugmall damals Job, Wohnung und Freund auf und zog in eine Lehmhütte in Maun.
Bereits Buchungen für nächstes Jahr
An kreativen Ideen zur Überbrückung des coronabedingten Aufenthalts in der Schweiz mangelt es nun nicht. Nebst den Safaris hierzulande will Isabelle Tschugmall das restliche Europa ins Portfolio aufnehmen. Zudem produziert sie einen eigenen Podcast, hält Vorträge über ihren Werdegang und konzipiert Social-Media-Strategien für Firmen. Sie kennt sich mit Sternenkonstellationen genauso gut aus wie mit Instagram und Co.: «Diese Diversität hilft mir jetzt enorm.»
Aus der Traum, von der Emanzipation im afrikanischen Busch also? «Sicher nicht!», sagt Tschugmall energisch. Sie ist zuversichtlich, im nächsten Frühjahr nach Botswana einreisen zu können. «Für März haben wir bereits wieder Buchungen!»
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