ETH-Studie zeigt
Opiod-Vergiftungsfälle verdreifachten sich in letzten 20 Jahren

Eine neue Studie von Forschenden der ETH Zürich zeigt eine besorgniserregende Entwicklung im Umgang mit starken Schmerzmitteln. Bisher waren Probleme im Umgang mit solchen Opioiden vor allem aus den USA bekannt.
Publiziert: 27.06.2022 um 14:49 Uhr
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Aktualisiert: 27.06.2022 um 15:39 Uhr
Auf das Opioid Oxycodon bezogen sich als ein Drittel der Anfragen bei Tox Info Suisse, wie die ETH-Forschenden festhalten.
Foto: Keith Srakocic

Fälle von Opiod-Vergiftungen sowie Opiod-Verkäufe haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten in der Schweiz markant zugenommen – die Zahl der Anrufe bei der Vergiftungsinformationstelle, Tox Info, verdreifachte sich. Angetrieben wurden die Trends vor allem durch starke Opioide, insbesondere das starke Schmerzmittel Oxycodon.

Das berichten Forschende der ETH Zürich um Andrea Burden, Professorin für Pharmakoepidemiologie, im Fachmagazin «The Lancet Regional Health - Europe». «Unsere Studie zeigt deutlich, dass in der Schweiz der Opioid-Konsum stark steigt», liess sich Burden in einer Mitteilung der Hochschule vom Montag zitieren.

Die Verkaufszahlen hätten etwa gleich stark zugenommen wie in den Niederlanden und in Dänemark. Allerdings seien die Pro-Kopf-Verkäufe in der Schweiz in den vergangenen Jahren «substanziell höher», so die Professorin.

Mehr Tote durch Schmerzmittelmissbrauch

In Nordamerika erhält die sogenannte «Opioidkrise» grosse Aufmerksamkeit. Damit wird der starke Schmerzmittelmissbrauch seit den späten 90er Jahren und der damit einhergehende starke Anstieg der Todesfallzahlen von Opioid-Abhängigen bezeichnet. Nach vorläufigen Schätzungen starben 2021 in den Vereinigten Staaten rund 108’000 Menschen an einer Überdosis, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Seit 1999 sind bereits 400'000 Menschen der Opioidkrise zum Opfer gefallen.

Auch in europäischen Ländern häuften sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Berichte über einen zunehmenden Opioidkonsum und opioidbedingte Todesfälle, wie Burden und ihre Kollegen in der Studie festhalten.

Auch in der Schweiz braucht es Monitoring

Für die Schweiz allerdings gab es bislang keine konkreten Zahlen, weshalb die ETH-Forschenden den Trend hierzulande nun erstmals abzuschätzen versuchten. Die Forschenden verglichen dazu die Zahlen der Notfallanrufe bei Tox Info Suisse zwischen den Jahren 2000 und 2019 sowie die Verkaufszahlen von Opioiden.

Demnach stieg die Zahl der Notfallanrufe bezüglich Opioid-Vergiftungen signifikant um 177 Prozent im Untersuchungszeitraum. Gleichzeitig nahmen die Verkäufe um 91 Prozent zu.

Die Forschenden merken an, dass der Konsum von Opioiden in der Schweiz nicht die epidemischen Ausmasse erreicht habe, die in den USA zu beobachten seien. Dennoch müsse die Lage beobachtet werden. Um eine Epidemie zu verhindern, sei ein Monitoring in der Schweiz erforderlich.

Stärkster Anstieg bei starken Schmerzmitteln

Die höchsten Anstiege verzeichneten die starken Opioide, insbesondere Oxycodon. Die Anrufe bezüglich Vergiftungen und auch die Verkäufe im Zusammenhang mit diesem starken Schmerzmittel hätten zwischen 2009 und 2016 «erheblich zugenommen», so die Forschenden. Dieser Wirkstoff war der ETH zufolge ein wichtiger Treiber der Opioidkrise in den USA. Das in der Schweiz am häufigsten gemeldete und auch verkaufte Opioid im Jahr 2019 war Tramadol, ein schwaches Opioid.

Auch im am Montag vorgelegten Uno-Drogenbericht war die Rede von einer «Opioid-Epidemie» durch den Missbrauch dieses Schmerzmittels im nördlichen und westlichen Afrika sowie im Mittleren Osten. Auch in Asien und Europa gebe es Anzeichen für Drogenkonsum von Tramadol, hiess es.

An zweiter und dritter Stelle bezüglich Anrufe und Verkäufe folgten gemäss der ETH-Studie die starken Opioide Oxycodon und Fentanyl. Wie die ETH allerdings betont, sage die Studie kaum etwas über illegalen Fentanyl-Konsum aus, weil Fälle von schweren Opioidvergiftungen kaum je von Tox Info Suisse festgehalten würden. Betroffene wendeten sich direkt an Notfalldienste. Fentanyl soll Heroin in seiner Wirkung um das 50-Fache übertreffen und hat ein hohes Potenzial für illegalen Konsum und tödliche Überdosen.

Spitze des Eisbergs

«Die in der Studie präsentierten Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs», sagte Burden. «Wir brauchen unbedingt mehr Daten, um die mit dem Opioidkonsum in der Schweiz einhergehenden Schäden zu verstehen – dazu gehören die Zahl derer, die über ärztliche Verschreibungen eine Abhängigkeit entwickelt haben, und die Zahl der opioidbedingten Todesfälle.» In einer Folgestudie möchte sie diese Fragen nun klären. (SDA/lm)

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