Immer mehr Kinder von Studenten, Rentnern oder Ungelernten betreut
«Es kann doch nicht jede Kindergärtnerin sein»

Die oberste Zürcher Kindergärtnerin schlägt Alarm: Weil Lehrpersonen fehlen, werden Rentner und Ungelernte geholt. Gut für die Kids sei das nicht.
Publiziert: 20.09.2015 um 15:45 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:13 Uhr
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Brigitte Fleuti (52) vom Verband Kindergarten Zürich kritisiert, dass Leute ohne Diplom einen Job erhalten.
Foto: Valeriano Di Domenico
Von Roland Gamp

Basteln, Singen und Spielen war gestern. «Der Kindergarten hat heute einen fixen Lehrplan und soll die Buben und Mädchen professionell an die Schule heranführen», sagt Brigitte Fleuti (52). Die Präsidentin vom Verband Kindergarten Zürich arbeitet seit 30 Jahren im Beruf. «Noch nie waren die Anforderungen so hoch. Ich bin Kindergartenlehrerin, So­zialarbeiterin, Lerncoach und Familienberaterin in einem.»

Ein Job für gut ausgebildete Fachkräfte also. Doch genau daran mangelt es. In immer mehr Kantonen werden Kinder im Chindsgi von Studenten, Rentnern oder Ungelernten betreut.

In Zürich stehen auf Kindergartenstufe neu zehn Personen im Einsatz, die in einer Art Schnellbleiche nur drei Tage geschult wurden. «Das ist sehr unglücklich für die Kinder», sagt Brigitte Fleuti. «Sie dürften kaum richtig unterrichtet und gefördert werden.» Auch seien die Lehrpersonen vermutlich überfordert. «Es kann doch nicht jede Kindergärtnerin sein!»

Das Zürcher Volksschulamt betont, dass diese Blitzlehrer nun laufend geschult werden. Dreitägige Einführungskurse, vier Coachingtage und Begleitung am Ort reichten aus, um einen soliden Kindergartenunterricht zu bieten, sagt Urs Meier (62), stellvertretender Chef. Praktisch alle Personen hätten einen Bezug zur Arbeit mit Kindern. Er betont allerdings: «Es ist eine Notmassnahme, die auf ein Jahr befristet wurde.»

Noch weiter geht der Aargau: Dort braucht seit 2008 keine Berufsausübungsbewilligung mehr, wer im Chindsgi arbeiten will. «Die Schulpflege kann anstellen, wen sie will», sagt Manfred Dubach (57), Geschäftsführer des kantonalen Lehrerverbands. «Etliche Stellen sind mit Personen mit völlig ungenügender oder gar keiner pädagogischen Ausbildung besetzt.»

Das Aargauer Bildungsdepartement spricht von Ausnahmen. Bei einer Erhebung vor drei Jahren hatten jedoch 8,4 Prozent der Lehrpersonen in Kindergärten kein stufengerechtes Diplom.

Viele Kantone setzen auf die Jugend, lassen angehende Lehrpersonen auf dieser Stufe schon während dem Studium Praktika und Vikariate übernehmen. In Bern hingegen kommen Rentner zum Einsatz. «Lehrpersonen des Kindergartens haben die Möglichkeit, nach dem 70. Altersjahr weiterzuarbeiten», sagt Martin Werder (57), Kommunikationsleiter der Erziehungsdirektion. «Die früher bestehende Altersgrenze wurde per 1. August 2014 gestrichen.»

Für Brigitte Fleuti vom Zürcher Verband ist auch dies keine optimale Lösung, um Stellen zu besetzen. «Die hohen Anforderungen auch mit 70 Jahren noch zu erfüllen, ist wohl nur in Ausnahmefällen möglich.»

Statt Rentner oder Unausgebildete einzustellen, müsse man das Problem an der Wurzel packen. Grund für den Mangel sei die schlechte Bezahlung der Chindsgilehrer. «Vielerorts verdienen sie nicht gleich viel wie Primarlehrer.» Und das, obwohl sie die gleiche Ausbildung haben. «Deshalb ist die Stufe vom Lohn her nicht attraktiv.»

Der Kanton Bern hat reagiert, auf dieses Jahr hin Kindergärtner auf die gleiche Lohnstufe gehoben wie Primarlehrer. Auch im Aargau beschloss der Grosse Rat letzten Dienstag, die Löhne anzugleichen. «In Zürich sind wir leider noch Lehrpersonen zweiter Klasse», sagt Fleuti. «Wir haben eine Petition gestartet. Eine Lohnklage ist in der Pipeline.»

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