Nächste Woche müssen sich die letzten Mitglieder der Thurgauer ‘Ndrangheta-Zelle vor Gericht verantworten. Auch die Schweiz hat gegen sie ermittelt. Wurden diese Ermittlungen eingestellt?
Michael Lauber: Ja, die Bundesanwaltschaft hat das gegen diese Personen eröffnete Strafverfahren sistiert, da sie mittlerweile nach Italien ausgeliefert und dort dem Richter zugeführt werden konnten.
Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden bei der Verfolgung dieser Gruppe?
Die Bundesanwaltschaft hat zusammen mit den Spezialisten von Fedpol umfangreiche Ermittlungen vorgenommen. Das medienbekannte Video war ein Ergebnis der Überwachungsmassnahmen. Die enge Zusammenarbeit mit den italienischen Kollegen und die in der Schweiz getätigten Ermittlungshandlungen sind wichtig für den jetzigen Prozess in Italien. Die Strategie, die in der Schweiz beschuldigten Personen nach Italien auszuliefern, ist aufgegangen. Dass aufgrund der italienischen Prozessordnung das Überwachungsvideo öffentlich wurde, ist unschön, wir waren nicht allzu erfreut. Aber wir haben uns mit den italienischen Kollegen ausgesprochen. Der weiteren engen Zusammenarbeit tut dieser Vorfall also keinen Abbruch.
Ermittlungsverfahren italienischer Behörden deuten darauf hin, dass in der Schweiz weitere Mafiagruppen aktiv sind. Ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen sie?
Wir führen in enger Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden verschiedene Verfahren gegen kriminelle Organisationen. Nur, bei der noch geltenden Rechtslage werden solche Verfahren primär geführt, um die italienischen Kollegen in ihren Verfahren mittels Rechtshilfe und Auslieferung zu unterstützen. Erst mit den vorgesehenen Verschärfungen des Strafrechts wird es verhältnismässig und sinnvoll, auch in der Schweiz Verfahren zu führen.
Wie viele solcher Verfahren führt die Bundesanwaltschaft im Augenblick?
Die Bundesanwaltschaft führt mehrere Verfahren im Deliktsbereich der kriminellen Organisationen und der Geldwäscherei, ohne dass ich hier in die Details gehen möchte.
Im Dezember wird am Bundesstrafgericht gegen mehrere Personen verhandelt, die für die ‘Ndrangheta Geld gewaschen haben sollen. Was dürfen Sie zu diesem Fall sagen?
In diesem Prozess vor dem Bundesstrafgericht ist ein Beschuldigter wegen Unterstützung einer ’Ndrangheta-Familie angeklagt. Er hat diese Cosca (Clan; Red.) organisatorisch, logistisch und durch Vermittlungsaktivitäten unterstützt. Ihr Chef ist bei einem parallelen Verfahren in Italien in erster und zweiter Instanz verurteilt worden. Alle drei Beschuldigten, von denen einer gemäss den angeklagten Fakten als Finanzintermediär tätig war, sind wegen Geldwäscherei angeklagt: Sie haben mehr als 1,5 Millionen Franken in den Kauf von Immobilien im Tessin investiert. Das Geld stammte aus dem Drogenhandel der ’Ndrangheta.
Sie erwähnten es bereits: Das Strafmass für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation liegt bei fünf Jahren. Ganz allgemein: Reichen die gesetzlichen Bestimmungen in der Schweiz aus, um gegen die Mafia vorzugehen?
Wir brauchen eine klare Verschärfung im Bereich der kriminellen Organisationen. Es geht darum, die Strafrahmen klar und empfindlich anzuheben, auch für führende Mitglieder, und die Mitgliedschaft selber unter Strafe zu stellen.
Das würde Ihnen genügen?
Zu einem glaubwürdigen Instrumentarium gehört eigentlich auch eine griffige Kronzeugenregelung. Darauf haben wir wiederholt hingewiesen. Diese wurde jedoch kürzlich vom Parlament abgelehnt. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist dies bedauerlich. Dafür kennt die Schweiz bereits die Beweislastumkehr im Hinblick auf Vermögenswerte. Wenn ein Verurteilter die legale Herkunft der Gelder nicht belegen kann, dürfen wir sie einziehen. Diese Regelung ist wichtig für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität.
Diese Woche wird in Bellinzona der Fall eines Täters der russischen Mafia verhandelt. Er zeigt: Selbst Einbruchdiebe sind in kriminellen Vereinigungen organisiert. Befindet sich die Schweiz im Griff solcher Banden?
Lassen Sie mich festhalten: Gestützt auf unsere Strafverfahren stellen wir keine Hinweise auf eine systematische Unterwanderung in der Schweiz fest. Dass das so bleibt, dazu müssen wir jedoch Sorge tragen. Unter anderem mit der vorgesehenen Verschärfung der rechtlichen Grundlagen. Das Phänomen der organisierten Kriminalität an sich ist jedoch nicht neu.