Ramona (30) und Werner Zimmermann (35) erfuhren durch eine Fernsehsendung vom Heimunterricht. Schnell war klar: Auch ihre Kinder sollen die Freiheit haben, zu lernen und zu spielen, wann sie wollen. Wie schwierig das werden würde, wussten die beiden damals nicht.
Mittlerweile haben Zimmermanns zwei Kinder – Lena (5) und Nik (3). Vergangenen Herbst erreichte Lena das Kindergartenalter. Fristgerecht stellten die Eltern beim Kanton ein Gesuch um Heimunterricht. Seinen ablehnenden Bescheid begründete der Kanton damit, dass die Eltern keine Lehrpersonen seien und die Sozialisierung nicht gewährleistet sei.
1000 Franken Busse
Lena blieb trotzdem zu Hause. Die Schulgemeinde Mels schrieb Briefe, in denen sie die Eltern auf die Schulpflicht hinwies. Den Briefen folgte eine Busse über 1000 Franken. Zimmermanns zahlten, spielten aber mit dem Gedanken, in einen anderen Kanton zu ziehen, wo Heimunterricht oder gar Freilernen erlaubt ist. Als liberal gelten etwa Bern, Aargau, Appenzell Ausserrhoden, Waadt und Genf.
Die Eltern erwogen sogar, nach Österreich auszuwandern. Sie entschieden sich dagegen. «Wir lassen uns doch wegen eines solchen Gesetzes nicht aus der Schweiz vertreiben», sagt Ramona Zimmermann. Ein Umzug hätte für die Familie bedeutet, ihren Hof aufzugeben.
Strafanzeige wegen Hinderung der Schulpflicht
Die Schule Mels lud Ramona und Werner Zimmermann im Dezember zum Gespräch. «Über unsere Beweggründe wollte niemand etwas wissen», sagt die Mutter. Stattdessen setzte der Schulrat eine letzte Frist: Am darauffolgenden Montag habe Lena im Kindergarten zu erscheinen, andernfalls sei mit Konsequenzen zu rechnen.
Lena blieb zu Hause, die Schule informierte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) und erstattete Strafanzeige wegen Hinderung der Schulpflicht sowie Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Die Kesb meldete sich zu einem zweistündigen Besuch bei der Familie an: Man wolle prüfen, ob das Kindeswohl gefährdet sei. Im Extremfall würde eine Fremdplatzierung von Lena angeordnet.
So weit kam es nicht. Die Kesb befand, dass es Lena gut gehe. Die mildeste aller Massnahmen wurde vorbereitet: eine Beistandschaft. Der Beistand soll sicherstellen, dass Lena in die öffentliche Schule gehen kann, wenn sie diesen Wunsch äussert.
Für die Eltern ist klar: Lena geht nie in die öffentliche Schule
Doch eine fremde Person als Beistand wollten Ramona und Werner Zimmermann nicht. Die Kesb akzeptierte daraufhin, dass eine befreundete Lehrerin die Beistandschaft übernimmt. Die muss nun regelmässig Berichte über Lena verfassen und an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde weitergeben.
Im Januar erfolgte die polizeiliche Einvernahme der Eltern, ausgelöst durch die Strafanzeige. Sie mussten dem Polizisten erklären, wie Lena ausgebildet und sozialisiert wird. Das Urteil des Untersuchungsrichters steht noch aus. Das Strafmass erstreckt sich von einer Geld- bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren.
Wie auch immer das Urteil ausfallen wird, für die Zimmermanns ist jetzt schon klar: Lena wird nie in die öffentliche Schule gehen. Es sei denn, sie wünschte es selber.
Auch ihr kleiner Bruder Nik soll als Freilerner aufwachsen. «Wir sind nicht stolz, dass wir gegen das Gesetz verstossen», sagt Ramona Zimmermann. «Aber wir schaden doch auch niemandem, wenn die Kinder zu Hause lernen.»
Rund 500 Homeschooling-Kinder in der Schweiz
Im Erziehungsdepartement des Kantons St. Gallen will sich niemand zu diesem Fall äussern. Jürg Müller, Leiter Abteilung Aufsicht und Schulqualität, sagt nur: «Wir finden es zentral, dass Kinder soziale Kontakte ausserhalb der Familie und auch zu Gleichaltrigen haben. Sie sollen dabei lernen, sich mit anderen Meinungen und Ansichten auseinanderzusetzen.»
Aus diesem Grund sei der Kanton zurückhaltend bei der Bewilligung für Heimunterricht, erklärt Müller. So zurückhaltend, dass St. Gallen aktuell keiner Familie den Heimunterricht erlaubt.
Willi Villiger (60) aus Eggenwil AG ist Präsident des Vereins Bildung zu Hause. Vom Schulzwang hält der Realschullehrer nichts: «Ein freiheitlicher Staat lässt seine Bürger über die Bildungswege ihrer Kinder selber entscheiden. Dieselben Bürger stimmen schliesslich auch über andere, weitreichende Sachgeschäfte ab», sagt er und plädiert für den freien Wettbewerb zwischen Volksschule, Privatschulen und Privatunterricht.
Privatschulen boomen in der Schweiz. Rund fünf Prozent aller Kinder besuchen heute bereits eine nichtstaatliche Bildungsinstitution.
Die Homeschooler-Bewegung mit rund 500 Kindern ist dagegen klein. Kein Wunder, denn die kantonalen Bestimmungen für Homeschooling wurden in den letzten Jahren eher verschärft als gelockert.
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