WC-Papier gibt es zweilagig, dreilagig oder nach Wunsch auch mit vier oder fünf Lagen. Von supersoft bis parfümiert. In unterschiedlichen Farben mit Muster und Prägungen. Die Auswahl kann in normalen Zeiten überfordern. Die Krise hat uns bescheiden gemacht – Hauptsache, irgendein Papier!
In Zeiten, in denen in Hongkong ein Lastwagenfahrer mit vorgehaltenem Messer um seine Toilettenpapier-Lieferung für einen Supermarkt beklaut wird (Wert 200 Franken), sich in Australien Kunden ums Klopapier prügeln und in der Migros ein Schild steht mit dem Hinweis «Nur 1 Packung WC-Papier pro Einkauf», ist es Zeit nachzudenken über dieses Papier, das kaum etwas kostet und nun von grossem Wert ist.
Dazu zuerst ein Blick in die Vergangenheit. Denn alles hat seine Geschichte. Auch das Klopapier. Nun, sie beginnt mit der Hand. Der linken. Und das ist dann auch der Grund, weshalb wir uns zur Begrüssung die rechte reichen. Doch der Mensch ist erfinderisch: Die Griechen sollen Tonscherben benutzt haben, die Römer befestigten Schwämme an Ästen. Und dann gab es ja auch noch Moos, Blätter, Lumpen oder Zeitungspapier. Hin und wieder soll auch ein Huhn dafür hergehalten haben. Man nahm, was halt grad da war. Der erste verbürgte WC-Papier-Benutzer war 1391 der Kaiser von China. Es waren einzelne Blätter. Eines davon einen halben Quadratmeter gross. Der Kaiser riss ab, was er brauchte. 1857 erfand der Amerikaner Joseph Gayetty kleine, mit Aloe-Extrakten verfeinerte Papiertücher, die man aus einer Schachtel ziehen konnte. Rund dreissig Jahre später kam eine britische Firma auf die Idee, das Papier auf eine Rolle zu wickeln: die Erfindung des Klopapiers! Wir Schweizer spielen auch in der weiteren Geschichte des Toilettenpapiers keine Rolle. Konnten aber auf einen Deutschen mit Namen Hans Klenk zählen. Er eröffnete 1928 die erste Toilettenpapierfabrik im deutschsprachigen Raum. Damit niemand im Laden nach Klopapier fragen musste, mixte er die Buchstaben seines Namens und nannte es Hakle.
46 Rollen pro Jahr
330 Millionen Rollen WC-Papier werden jedes Jahr in der Schweiz verkauft. Die Toilettenpapier-Hochburg liegt zwischen Aarau und Solothurn. Was in den beiden WC-Papier-Fabriken passiert, ist keine Hexerei. Aus Holz wird Zellulose, die wird zu Brei, mit ganz viel Wasser verdünnt, dünn gesprüht, das Wasser mit Hitze rausgezogen und die gewünschte Anzahl Schichten übereinandergelegt. Was zu gigantischen Rollen führt, die in 12,5 Zentimeter lange Stücke geschnitten werden.
Produziert wird in Gretzenbach SO von der Firma Cartaseta. Zeit, um Fragen zu beantworten, hat man dort derzeit nicht. Produziert wird auch bei Hakle in Niederbipp BE. Und zwar vom US-Hygienepapier-Multi Kimberley-Clark. 1,3 Millionen Rollen stellt Hakle normalerweise pro Tag her. Aktuell ist die Produktion auf das Maximum hochgefahren. Der Mann der Stunde ist Hugo ter Braak. Er ist in der Schweiz für Hakle zuständig. Der Toilettenpapier-Chef appelliert an die Solidarität der Schweizer: «Durch rücksichtsvolles Einkaufen können wir alle unseren Teil dazu beitragen, dass jeder Zugang zu genügend Toilettenpapier hat.» Er liefert praktischerweise ein Rechenbeispiel mit: 46 Rollen braucht jeder im Jahr. Für eine vierköpfige Familie reichen also 46 Rollen für die nächsten drei Monate.
«Jeder hat nur einen Hintern»
Doch auch wenn der Bundesrat und Hugo ter Braak sagen, dass es genug für alle hat – das Hamstern geht ungehemmt weiter. Und während die Wirtschaft einbricht, explodiert der Absatz von Toilettenpapier. In Deutschland um 700 Prozent zwischen Februar und März. Die Migros nennt keine Zahlen. Spricht aber von einer «erhöhten Nachfrage». In Taiwan, wo ebenfalls Klopapier gehamstert wird, versuchte Premier Su Tseng-Chang die Bürger mit der Botschaft zu beruhigen, dass jeder «nur einen Hintern hat». Bringen tut alles nichts. Das Klopapier wird weiterhin zusammengerafft.
Längst haben sich Psychologinnen und Psychologen mit diesem Phänomen auseinandergesetzt. Ihre Erklärung: Herdentrieb. Bei Unsicherheit schauen wir, was die andern tun, und übernehmen deren Verhalten. Einer hat also damit begonnen, übermässig Toilettenpapier zu kaufen. Wir tun dasselbe. Auch wenn es keinen Sinn macht. Ein anderer Ansatz: Die schiere grösse einer Packung Toilettenpapier gibt Menschen das Gefühl, etwas gegen die Unsicherheit getan zu haben. Bloss: Hilft es wirklich, sich an einer Rolle Klopapier festzuhalten?
Unsere Sterblichkeit ausblenden
Vielleicht wurde einfach nicht genug weit gedacht, um das Phänomen zu erklären. Denn Klopapier braucht der Mensch ja aus einem bestimmten Grund. Der Berliner Schriftsteller Florian Werner hat einige kluge Bücher geschrieben. Eines trägt den Titel «Dunkle Materie. Die Geschichte der Scheisse». Am Telefon erzählt Werner, dass er vergangene Woche eine Stunde lang sämtliche Supermärkte in seiner Umgebung abgeklappert habe, weil er kein Toilettenpapier mehr hatte. Und auch wenn er nicht der Hamster-Typ sei: «Als ich keine einzige Rolle fand, wurde auch ich nervös.»
Werner sagt: «Das Hamstern zeigt, wo die Prioritäten unserer Gesellschaft liegen. Erstaunlicherweise nicht beim Genuss oder beim Verzehr, sondern bei der Hygiene.» Die Entwicklung der Zivilisation ist denn auch eng mit der Entwicklung der Hygiene verbunden. Schaue man sich die Benimmbücher aus dem 16. /17. Jahrhundert an, würden darin Sachen vorgeschrieben, die heute für uns selbstverständlich seien: Damen nicht vor das Zimmer zu kacken, sich die Hose nicht erst beim Tisch wieder zuzumachen. Das sind also Dinge, die vor noch nicht allzu langer Zeit keineswegs selbstverständlich waren, so Werner. Ab dem 19. Jahrhundert seien die Mechanismen der Hygiene immer raffinierter geworden. Vor etwa 120 Jahren fing man damit an, die Klotüren von innen zu verriegeln. Und so ging das weiter bis zu den Duftsprays, die heute den Gestank nach dem Geschäft übertünchen sollen. «Wir möchten diese Körperlichkeit, die wir alle haben – soweit es geht –, ausblenden. Ich glaube, wir möchten damit auch unsere eigene Sterblichkeit verdrängen.»
Und da kommt Werner zum Kern der Frage, weshalb sich bei einer Pandemie so vieles ums Klopapier dreht: «Der Stuhlgang erinnert immer wieder an unseren Körper und damit auch an unseren eigenen Tod.» Das, was da in der Schüssel liege, sei ja ein Stück abgestorbenes Selbst. «Etwas, das zu uns gehörte und dieselbe Temperatur hatte wie unser Körper. Nun aber abgestossen wird, nutzlos in der Schüssel liegt. Das heisst, es ist immer auch so ein kleiner Leichnam, den wir da ins Klo befördern.» Gerade in Zeiten, wo viele Menschen zu Recht Angst vor dem Tod hätten, bestehe das Bedürfnis, diese schmutzige Materie, die uns an den Tod erinnert, möglichst restlos und sauber zu beseitigen. «Da ist es auch verständlich, dass wir Klopapier bunkern.»
Das Problem mit den Feuchttüchern
Gedanklich sitzen wir nun schon auf dem Klo. Dann können wir auch gleich noch auf den Spülknopf drücken. Toilettenpapier und Begleitung wandern beim Spülen in die Kanalisation. 20 Milliarden Franken hat die gesamte Kanalisationsinfrastruktur die Schweiz gekostet. Was dort mit dem WC-Papier passiert, weiss Roman Bieri. Er ist Betriebsleiter des Abwasserverbands Region Lenzburg und hat gerade viel zu tun, weil alle Aargauer, die sonst in der Stadt arbeiten, im Homeoffice sind. Das heisst sie gehen nun ganztags zu Hause aufs Klo. «Die Belastung hat deutlich zugenommen», sagt er. Aber was passiert denn nun mit dem Toilettenpapier, wenn wir spülen? Bieri erklärt: Es zerfällt zu kleinen Stückchen, und die setzen sich im Vorklärbecken mit den übrigen Fäkalien als Schlamm ab. Dieser Schlamm wird im Faulturm vergärt. Daraus wird Klärgas. Und so wird am Ende aus Stuhl und WC-Papier Wärme und Strom – irgendwie tröstlich.
Es gibt nur ein Problem. Es heisst: Feuchttücher. Die verstopfen die Kanalisation, weil sie sich nicht auflösen. Darum müssen sie in den Kläranlagen rausgefischt, gewaschen und in die Verbrennung gebracht werden. Wenn wegen des Hamsterns tatsächlich nicht mehr alle WC-Papier haben, weil die Lieferketten der Grossverteiler nicht auf derart grosse Lieferkapazitäten ausgelegt sind und die Rollen deshalb nicht genug schnell im ganzen Land verteilt werden können, hat das Folgen. In mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten kam es letzte Woche zu Verstopfungen der Kanalisation, weil vermehrt andere Sachen als WC-Papier benutzt wurden. Wird eine solche Verstopfung nicht rechtzeitig behoben, gibt es einen Rückstau. Was dann passiert? Toilettenpapier und Co. kommen zurück ins Badezimmer. Das will niemand. Darum: Alles andere als WC-Papier immer in den Hausmüll. In der Schweiz, beruhigt Bieri, funktioniere aber noch alles wie gewohnt.
«Fast alles, was Menschen ausmacht, wird zuerst über Scheisse ausgetragen»
Gewohntes veränderte sich für den Berliner Schriftsteller Florian Werner, als er zum ersten Mal Vater wurde. Wer wickelt, bekommt einen anderen Zugang zu Exkrementen. «Scheisse ist nicht gleich Scheisse», sagt er. Stuhlgang gebe es in allen Aggregatzuständen und Farben. Werner merkte aber vor allem auch, dass Kommunikation in den ersten Lebensjahren zu einem grossen Teil über diese scheinbar so profane Materie ausgehandelt wird: Das Kind kann Macht ausüben, indem es die Kleider vollmacht. Oder es kann Eltern Freude bereiten, indem es den Stuhl zurückhält. Fast alles, was Menschen ausmache, wird zuerst einmal über Scheisse ausgetragen, sagt Werner. Kommunikation, Ekel, Provokation, Streit, Fluchen und Humor. «Das ist das Erstaunliche an der Scheisse. Sie ist etwas, worüber wir lieber nicht sprechen wollen, aber eigentlich ist sie eine schillernde, vielsagende Substanz.»
Was wir allein tun und wofür wir das WC-Papier brauchen, prägt uns also mehr, als wir denken. Ganz besonders auch unseren Humor. Was wurden wir in den letzten beiden Wochen in den sozialen Netzwerken mit lustigen Bildern und Filmchen rund ums WC-Papier geflutet. Das ist gerade deswegen so lustig, weil für jeden klar ist, dass es blöd ist, WC-Papier zu hamstern (obwohl wir es trotzdem tun), aber auch, weil es eben gerade WC-Papier ist – dieses tabuisierte Papier. Was Psychologinnen und Psychologen auch sagen: Humor hilft gegen Angst. Das WC-Papier ist also der verkannte Star dieser Krise. Klopapier macht uns nicht nur sauber, sondern entspannt uns auch, weil es Grund zum Lachen gibt. Wer hätte das gedacht?