Die Schweiz ist mit Nigeria in einen Rechtsstreit mit historischem Charakter verwickelt. Es geht um die Beschlagnahmung des unter Schweizer Flagge fahrenden Öl-Tankers «San Padre Pio», der seit zweieinhalb Jahren von den nigerianischen Behörden festgehalten wird.
Nun hat die Schweiz Nigeria beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg verklagt. Ganze 946 Seiten dick und sechs Kilo schwer ist die Klageschrift, die der Schweizer Botschafter in Deutschland, Paul R. Seger (61), deponiert hat. Das EDA erklärt gegenüber BLICK: «Darin argumentiert die Schweiz, dass Nigeria mit der Festsetzung gegenüber der Schweiz mehrere Pflichten aus dem Völkerrecht verletzt hat.»
Seger selber schreibt in seinem jüngsten Newsletter etwas ausführlicher: «Die Schweiz fordert nebst der sofortigen Aufhebung der Blockade Schadenersatz und eine klare Verurteilung des Rechtsbruchs durch den Gerichtshof.» Der Hochseetanker werde unter «flagranter Verletzung internationaler Regeln völlig willkürlich vor der nigerianischen Küste festgehalten».
Vier Ukrainer zwei Jahre lang festgehalten
Die San Padre Pio wird seit dem 23. Januar 2018 in Nigeria blockiert. Auch vier ukrainische Besatzungsmitglieder wurden zwei Jahre lang festgehalten, obwohl der Internationale Seegerichtshof in Hamburg Nigeria nach 17 Monaten anwies, das Schiff samt Besatzung und Fracht freizugeben.
Nach Angaben der nigerianischen Behörden verstiess der Transport gegen innerstaatliches Recht. Wie «CH Media» Ende 2019 schrieb, lautete der Vorwurf der nigerianischen Staatsanwaltschaft auf illegalen Erdölhandel, Fälschung von Papieren und weiteres mehr. Nach Ansicht der Schweiz befand sich das Schiff aber nicht in den Hoheitsgewässern Nigerias.
Beweise für Anschuldigungen fehlten
Ende 2019 erwartete man die baldige Freisetzung des Tankers, da der Federal High Court of Nigeria in Port Harcourt die vier Besatzungsmitglieder und den Tanker – auch der selber war angeklagt – freigesprochen hatte.
Laut dem Urteil hatte die Schweizer Reederei ABC Maritime den Tanker an die Genfer Firma Augusta Energy verchartert. Das geladene Gasöl stammte aus Togo und war für die Firma Total E&P in Nigeria bestimmt. Die Besatzung war gerade daran, das Öl vor der Küste auf zwei kleinere Schiffe umzuladen, als die Nigerianer das Schiff beschlagnahmten.
Gemäss Richter konnte die Anklage nicht beweisen, dass die Beschuldigten nicht über die nötigen Bewilligungen für den Öl-Deal verfügten. Auch fehlten die Beweise für die Anschuldigung, dass nicht alle Gebühren bezahlt worden waren.
Schweizer Intervention ist historisch
Doch noch immer liegt die 2012 gebaute, 113 Meter lange San Padre Pio vor der Bonny-Insel bei Port Harcourt in Nigeria vor Anker. Es wird erwartet, dass die Staatsanwaltschaft das erstinstanzliche Urteil weiterzieht.
Die Intervention der Schweiz in Hamburg ist historisch. Es ist nicht nur das erste Mal, dass ein Binnenstaat vor dem Internationalen Seegerichtshof auftritt. Das Urteil wird vermutlich auch grundlegender Natur sein, weil die Offshore-Nutzung in den sogenannten Ausschliesslichen Wirtschaftszonen, etwa durch den Bau von Windparks, rasch zunimmt.
Bei all diesen neuen Nutzungen des Meeres stellt sich die Frage, inwieweit sich die jeweiligen Befugnisse des Küstenstaates und des Flaggenstaates – also des Staates, bei dem das Schiff registriert ist – erstrecken.
Warten auf das Urteil
Wann in dieser Sache ein Urteil gefällt wird, ist noch nicht bestimmt. Auf Anfrage von BLICK schreibt Julia Ritter, Mediensprecherin des Seegerichtshofs: «Zurzeit befinden wir uns in der schriftlichen Phase des Verfahrens. Sobald die schriftliche Phase abgeschlossen ist, wird das Gericht eine mündliche Verhandlung des Rechtsstreits abhalten und dann darüber beraten.»
In der Regel fälle das Gericht sein Urteil innerhalb eines Jahres nach Abschluss der schriftlichen Phase.
Das EDA versucht, das Schiff schon vorher auf direktem Wege frei zu bekommen. Es schreibt: «Parallel zum Verfahren hat die Schweiz gegenüber den nigerianischen Behörden ihre Haltung mehrfach zum Ausdruck gebracht und die Freilassung des Schiffs gefordert. Die diplomatischen Bemühungen der Schweiz zur Freilassung des Schiffs werden fortgesetzt.»
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