Im Studio von «Die Höhle der Löwen», dem Erfolgsformat des TV-Privatsenders 3+, flammen die Scheinwerfer auf. Khawar Awan (22) betritt den Saal, in dem fünf bekannte Investoren vor ihm sitzen, die sogenannten Löwen. Der junge Unternehmer hat drei Minuten. Er muss sie vor laufenden Kameras davon überzeugen, 80'000 Franken in sein Start-up zu stecken. Awan schwitzt und zittert vor Nervosität. Aber er präsentiert seine Geschäftsidee – und hat Erfolg: Alle fünf sind interessiert.
Awan wählt seinen Favoriten – Lukas Speiser, CEO des Online-Erotikhandels Amorana: «Er kann uns bestimmt viel auf den Weg geben.» Auch die Unternehmer Tobias Reichmuth und Bettina Hein holt er ins Boot. Die drei Löwen sind begeistert. Auch Awan strahlt, denn er verlässt die Sendung als Sieger.
Was die Zuschauer zu Hause am Bildschirm nicht ahnen: Awan wird keinen einzigen Rappen erhalten. Nicht selten platzen die vereinbarten Deals im Nachhinein. Das Publikum erfährt davon nichts. In der Start-up-Szene heisst es, die Hälfte aller in der Sendung zugesagten Investments blieben leere Versprechen. «Die Höhle der Löwen Schweiz» gehört zum Medienreich von CH Media TV. Joël Steiger, Leiter PR Entertainment, widerspricht: «Es sind weniger Deals, die final nicht zustande kommen.» Genaue Zahlen will er nicht nennen.
Die «Löwen» sitzen am längeren Hebel
Für die «Löwen» ist die Sendung trotzdem ein Gewinn. Vor der Kamera dürfen sie sich als grosszügige und hilfsbereite Geldgeber inszenieren – ohne jede Verpflichtung. Jenseits des Rampenlichts geht es härter zu: Tanzen die Start-ups nicht nach der Pfeife der Investoren, ziehen sie das Angebot zurück.
Mit dieser Darstellung konfrontiert, weicht Steiger von CH Media aus: «Alle unsere Investorinnen und Investoren hegten bereits vor ihrer Tätigkeit für 3+ grosses Interesse für die Start-up-Szene, einige Löwen investierten zudem auch schon zuvor eifrig in Start-ups.»
Für junge Unternehmer wie Khawar Awan ist das kein Trost. Er ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater war Busfahrer, seine Mutter Pflegerin. Schon als kleiner Junge begeisterte ihn Mode. Er hatte zwar kaum Geld, aber schon während der Schulzeit kam ihm die Idee, qualitativ hochwertige Kleider im niedrigen Preissegment anzubieten. Also gründete er Finelli und setzte sich zum Ziel, das grösste Streetwear-Label der Schweiz aufzubauen. Seine erste selbst gestaltete Kollektion verkauft sich gut. Doch um weiterzuwachsen, braucht seine Marke dringend Investitionen. Da kommt ihm der Gedanke: «Ich gehe in ‹Die Höhle der Löwen›.»
Hürden über Hürden
Bei mehreren Interessenten übernimmt einer der Investoren die Verhandlungen. Im Fall von Finelli leitete Lukas Speiser die Gespräche. Als sich auf Awans Konto eineinhalb Monate nach den TV-Aufnahmen immer noch nichts bewegte, schrieb er den Amorana-Chef via Instagram an.
Statt des CEOs meldete sich dessen Anwalt. Der beschwichtigte ihn per Telefon, die 80'000 Franken seien ein kleines Investment und ein klarer Deal. Das bedürfe keiner umfangreichen Prüfung. Awans Hoffnungen waren gross. Er hatte die Summe bereits für die nächste Kleiderproduktion eingeplant.
Dann aber wollte Speisers Anwalt plötzlich sämtliche Unterlagen einsehen. Statt in der «Höhle der Löwen» landete Awan in der Hölle des Papiertigers: Buchhaltung, Jahresabschlüsse, Mietverträge. In der Due-Diligence-Phase muss alles offengelegt werden. Bis zum ersten Treffen mit Speiser vergingen zwei weitere Monate. Der Start-up-Gründer stand unter zunehmendem Druck. Es dauerte noch einen Monat, bis alle drei Investoren zusammenkamen. Zu diesem Zeitpunkt hing das Schicksal von Awans Unternehmen komplett von neuen Finanzspritzen ab.
Doch die Löwen errichteten weitere Hürden. Nun sollte Awan einen Co-Gründer präsentieren. Der Jungunternehmer: «In so einer kurzen Zeit einen Co-Founder zu finden, ist unmöglich. Das weiss jeder Unternehmer.» Damals zahlte sich Awan nicht mal Lohn aus: «Es ist nicht einfach, jemanden zu finden, der im Textilbereich Erfahrung besitzt und bereit ist, den Job zu kündigen oder das Studium zu beenden.» Sechs Monate nach Aufzeichnung der Show folgte die Hiobsbotschaft: «Am Schluss haben sie mir per Mail abgesagt.»
Lukas Speiser bestätigt auf Anfrage, im Falle von Finelli im Lead gewesen zu sein. Seine Version über den Verlauf der Verhandlungen ist jedoch wesentlich kürzer: «Ich hatte zu dem Deal Treffen und Telefonate mit Khawar, um die Bedingungen zu besprechen.» Laut Speiser platzte das Investment, weil man sich nicht über die Verteilung der Aktien einig wurde.
Vertrag sei unverbindlich
Die Zusammenarbeit mit der TV-Produktion wollte Awan nicht kommentieren. Denn: Öffentliche Kritik ist riskant. CH Media kann gegen anstössige oder verleumderische Äusserungen von Beteiligten rechtlich vorgehen. So regelt es ein Engagementvertrag, der SonntagsBlick vorliegt. Um bei der «Höhle der Löwen» aufzutreten, müssen Start-ups zahlreiche Zugeständnisse machen. Unter anderem: «Der Produzent [erwirbt] das ausschliessliche sowie zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkte Recht am gesamten Ergebnis der Leistung der Mitwirkenden.» Die Start-ups erhalten keine Abgeltung, weder Vergütung noch Spesenersatz. Und der Produzent der Sendung entscheidet frei, ob das Aufnahmematerial verwendet wird. Weiter heissts: «Der Produzent ist berechtigt, den Mitwirkenden ohne Angabe von Gründen aus dem Projekt auszuschliessen.» CH Media TV wollte sich zu Vertragsdetails nicht äussern.
Auch Raphaell Schär trat in der Sendung auf: mit seinem Start-up MyFeld. Er versteht die Position der Produzenten, meint aber: «Dieser Vertrag ist hart und schreckt ab.» Eine Rechtsprüfung, von der Schär die Vereinbarung prüfen liess, sei zum Schluss gekommen, die Start-ups hätten wenig Rechte. «Zudem vergehen zwischen Aufnahme und Ausstrahlung Monate.» Bei einem Start-up könne in dieser Zeit viel passieren. Hinzu komme die Due-Diligence-Phase: «Es dauerte drei Monate, bis wir Geld überwiesen bekamen.»
Laut Schär müsse einem Start-up bewusst sein, wie die Show aufgebaut ist. Die Löwen haben vorab keine Info über die Start-ups. «Wenn man sich bei einem Business Angel Club bewirbt, reicht man alle Dokumente im Vornherein ein», so Schär. Das mache den Prozess kürzer. Der Jungunternehmer schlussfolgert: «‹Höhle der Löwen› ist gut, wenn man sein Start-up bekannter machen möchte und Investoren sucht.» Aber man müsse genug Zeit einplanen, da die Investments nicht schnell über die Bühne gehen.
«Heute ist Finelli das grösste Streetwear-Label der Schweiz»
CH Media erzählt eine andere Geschichte. In einer Stellungnahme heisst es: «Genauso wie bei Pitches ausserhalb unserer TV-Gründershow ist es normal, dass in Folgegesprächen (...) Gründe auftauchen können, die gegen eine Zusammenarbeit zwischen den Löwen und den Start-ups sprechen.» Zudem betont das Medienunternehmen, es biete Start-ups «eine prominente Plattform».
Start-up-Gründer Awan meint, ihm habe die Reichweite von 3+ wenig gebracht. Mit einem Post auf Tiktok erreiche er bis zu 1,2 Millionen Menschen. Nach der definitiven Absage gab er nicht auf und präsentierte seine Modevision 45 Investoren, bis er zwei Geldgeber fand.
«Heute ist Finelli das grösste Streetwear-Label der Schweiz», sagt er stolz. Anderen Start-ups rät er, sich gut über die Löwen zu informieren. Und falls der Deal scheitert: nicht aufgeben! Awan ist das beste Beispiel. Heute besitzt er einen Pop-up-Store in Luzern und einen am Zürcher Bahnhofplatz.
Sein Traum wurde Realität; trotz aller Widrigkeiten.
Hast du Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreibe uns: recherche@ringier.ch
Hast du Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreibe uns: recherche@ringier.ch