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Harte Zeiten für das Horizontal-Gewerbe während der Corona-Krise
Harte Zeiten für Sexarbeitende

Das Coronavirus legt das Sexgewerbe in der Schweiz flach. Bordelle mussten dicht machen, Sexarbeiterinnen ihre Arbeit auf Eis legen. Etlichen droht der soziale Abstieg. Für viele sind die Fachstellen für Sexarbeit die letzte Hoffnung.
Publiziert: 20.03.2020 um 10:39 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2020 um 12:57 Uhr
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«Einige Sexarbeitende kämpfen um das blanke Überleben», sagt Xenia-Geschäftsleiterin Christa Ammann.
Foto: Philippe Rossier
Dominique Rais

Gähnende Leere statt geschäftiges Treiben: Dieser Tage herrscht nicht nur auf dem Strassenstrich, sondern auch in den Schweizer Puffs tote Hose. Die Coronakrise trifft das Sexgewerbe hart. Denn der Lockdown der Schweiz hat auch vor dem Horizontalgewerbe nicht halt gemacht. Seit Dienstag steht die Sexarbeit in der Schweiz still. Anschaffen ist bis mindestens 19. April 2020 verboten!

«Der Andrang von Sexarbeiterinnen, die bei uns Hilfe suchen, ist gross. Einige sind abgereist. Aber viel der ausländischen Sexarbeiterinnen sind nach wie vor in der Schweiz, weil weder Züge fahren noch Flüge in ihre Heimatländer fliegen», sagt Lelia Hunziker, die Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), zu BLICK.

Nicht alle Prostituierten halten sich an Sex-Verbot

Die Lage für die Prostituierten in der Schweiz ist ernst. «Seit zwei bis drei Wochen sind die Einnahmen der Sexarbeiterinnen massiv eingebrochen», sagt Hunziker. Auch Xenia, die Berner Fachstelle für Sexarbeit, weiss um die prekäre finanzielle Situation der Frauen. «Einige Sexarbeitende kämpfen um das blanke Überleben», sagt Xenia-Geschäftsleiterin Christa Ammann zu BLICK.

Geht es um die Existenz, wird die Gesundheit nicht selten ausser Acht gelassen, wie BLICK-Recherchen zeigen. Denn etliche Prostituierten halten sich nicht an das Sex-Verbot, bieten ihre Dienste ganz offensiv im Internet an, werben gar mit dem Slogan «Coronavirus-frei». Andere wiederum locken ihre Freier mit einem «Corona Spezial», einer Rabattaktion für nach der Coronakrise, gekoppelt an eine Vorauszahlung.

«Sexarbeitende befinden sich in Notsituation»

«Wir raten den Frauen ganz klar, sich streng an die Massnahmen des Bundesamtes für Gesundheit zu halten», so die FIZ-Geschäftsführerin. Der dringende Appell von Ammann an die Sexarbeiterinnen: «Alle, die es sich leisten können, sollen nicht mehr arbeiten.»

Fakt ist: Die Prostituierten stehen vor einer harten Herausforderung – zwischen Existenzangst und gesundem Menschenverstand. Xenia-Chefin Ammann weiss um die Zwickmühle, in der sich viele befinden. «Viele Sexarbeitende haben nur befristet Mietverträge für die Etablissements, in denen sie arbeiten. Bleiben die Freier aus, können sie auch ihre Räumlichkeiten, in denen viele zudem auch leben, nicht mehr bezahlen», so Ammann.

Sie weiss von einigen Sexarbeitenden, die unmittelbar davor stehen, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren. «Wenn sie keine Unterstützung vom Bund bekommen, sind sie zum Teil trotz Verbot dazu gezwungen, ihrer Arbeit nachzugehen. Das zeigt die Notsituation, in der sich einige Sexarbeitende schon jetzt befinden, auf», sagt die Xenia-Chefin. Doch es gebe auch Solidarität im Milieu: Einige Betreiber der Etablissements lassen die Sexarbeitenden laut Ammann vorläufig gratis wohnen.

Prostituiert rutschen wegen Corona-Krise in die Sozialhilfe

FIZ und Xenia hat sich darum zusammen mit dem Schweizerischen Netzwerk für die Interessen der Sexarbeitenden ProKoRe (Prostitution, Kollektiv, Reflexion) der Situation der Prostituierten angenommen. Innert weniger Stunden wurde das gemeinsame Projekt mit dem Arbeitstitel «Kurz und langfristige Bekämpfung von negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Sexarbeitende in der Schweiz» aus dem Boden gestampft. Schon in den nächsten Tagen soll eine 70- bis 80-Prozent-Stelle geschaffen werden.

Die Schwerpunkt-Themen des Projekts: Armut, Obdachlosigkeit, Gesundheitsversorgung und die Rückreise der Sexarbeiterinnen in ihre Heimatländer. Das Ziel: «Wir wollen schnell und unkompliziert Hilfe und Grundlagen für Beratungsdienste aufgleisen», sagt die FIZ-Geschäftsführerin. Vor allem soll so auch Betroffenen in Kantonen, wo es keine entsprechenden Anlaufstellen gibt, geholfen werden.

Zudem soll laut Hunziker ein nachhaltiges Konzept für die Sexarbeiterinnen ausgearbeitet werden, die jetzt in die Sozialhilfe rutschen. Denn ihnen droht als Folge, dass ihre B-Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert wird. Ein Lichtblick für die Sexarbeitenden: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat laut Hunziker unkompliziert und unbürokratische Gelder in Aussicht gestellt.

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