Der Blick der Kellnerin geht zur Uhr, die ihren Arbeitsrhythmus seit kurzem streng reguliert: Noch 15 Minuten bis Mitternacht – lächerlich früh für die Olé Olé Bar, eine Räuberhöhle an der Zürcher Langstrasse. Hier dauern die Sommernächte sonst, bis die Vögel zwitschern.
Das Gesetz gebietet es so: Ab Mitternacht ist Sperrstunde, auch im Milieu. «Ihr müsst sitzen», lotst die Kellnerin ihre Gäste an die Tische draussen auf dem Trottoir. Auch dies eine weitere Corona-Auflage: bloss keine Menschentrauben!
Als die Bars und Beizen am 11. Mai wieder öffneten, war das für die Pandemie-Bekämpfer in Bern ein kritischer Moment. Würden sich Wirte, Personal und Gäste an die Auflagen halten
Basel verschärfte Regime
Und dann sorgten letztes Wochenende Bilder aus Basel für Schlagzeilen. Hunderte, dicht gedrängt im Ausgehviertel Steinenvorstadt, interpretierten die Abstandsregel mehr als unverbindlichen Vorschlag. Blütezeit für Superspreader und andere Virenschleudern! Die Basler Regierung sah sich wegen der Zustände landesweit an den Pranger gestellt und verschärfte das Regime – samt Schliessung einer sündhaft fehlbaren Bar.
Und Zürichs Ausgehvolk? Verhält sich an diesem Freitagabend lammfromm. Dabei wäre eigentlich alles angerichtet für einen ordentlichen Exzess – nach dem Feiertag, vor dem Wochenende, tropisch schwül, die letzte Nacht vor dem grossen Regen.
Zürich vs. Basel
Die neue puritanische Lebensweise hat mit den uniformierten Männern und Frauen zu tun, die sich an all den Ecken postiert haben, wo früher die Prostituierten standen. Die Polizei patrouilliert durchs Rotlichtviertel wie eine Besatzungsarmee im Rebellengebiet: zu Fuss, per Velo, in ungezählten Streifenwagen. Zürich will besser dastehen als Basel – ein alter Reflex.
Wenn auf dem Helvetiaplatz Flaschen splittern, hat der Ordnungshüter dafür nur einen gelangweilten Blick. Ordinäre Aufgaben scheinen ihn derzeit kaum zu interessieren. Aber wenn ein paar Jugendliche die Corona-Fünferregel brechen, sind Freund und Helfer sofort mit strengem Tadel zur Stelle – die Abstandsregel ist oberste Staatsräson. Denn Masken trägt im Ausgang niemand.
Fünf Minuten vor Mitternacht: Eine dunkelhäutige Frau und ihr glatzköpfiger Begleiter hängen schwer in den Stühlen vor dem Schweizerdegen, einem Lokal, in dem einheimische Rentner ihrem Alter entfliehen.
Bis Mitternacht ausgekostet
Es muss schnell gehen, der Wirt will schliessen. «Vorbildlich», kommentiert ein Streifenpolizist. Zehn Meter weiter in der Piranha-Bar, wo sich die Latinos treffen, löscht das Licht just zur Geisterstunde. «Die haben es auf die Minute ausgekostet», hält der Polizist amtlich fest.
Nun ist Sperrstunde: eine Situation wie früher in England, als die Pubs um 23 Uhr schlossen. Weil das Gesetz es so wollte, damit die Arbeiter anderntags wieder pünktlich und ausgenüchtert zur Waffen- und Munitionsproduktion in der Fabrik erschienen. Ein Nebeneffekt der britischen Regelung waren massenhaft Betrunkene, die zeitgleich an die frische Luft spediert wurden.
Alle drängen in letzten Bus
Nur ist Zürich nicht Manchester: Im «Chreis Cheib» sind keine krakeelenden Trunkenbolde oder besinnungslose Teenager auszumachen. Und was mancherorts auf den ersten Blick wie schlimmes Gedränge wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als korrektes Gruppensitzen in Corona-Zeiten. Um halb eins trottet das Ausgehvolk mangels Alternativen brav und gesittet nach Hause. Eng begleitet von der Polizei, die nie drängt, sondern sanft ermahnt wie ein kompromissloser, aber gerechter Vater. Die grösste Menschentraube gibt es vor der Haltestelle, weil alle in den letzten Bus drängen.
Die Schweiz kann durchaus wilder, wie die vergangene Woche eindrücklich zeigte.
An Auffahrt – also Christi Himmelfahrt – zog es auch das Volk himmelwärts. Auf manchen Höhenwegen kam es zu Völkerwanderungen. Rund ums Gipfelkreuz des Mythen im Kanton Schwyz drängte sich die Rucksackmeute wie Papageientaucher auf Islands Felsen.
Lausanner Fussballspiel sorgt für Schlagzeilen
Gleichentags musste die Zürcher Polizei ganze Parks räumen, weil die Leute zu zahlreich an ihrer Bräune arbeiteten. 200 Kilometer entfernt spielten in Lausanne Jugendliche Fussball – und 1000 weitere schauten dabei zu. Das illegale Spiel, das szenisch auch in die Pariser Banlieue gepasst hätte, sorgte weit über die Landesgrenzen hinaus für Schlagzeilen. «Eingreifen wäre kontraproduktiv und gefährlich gewesen», so die Lausanner Polizei. Weil tags darauf das Rückspiel anstand, wussten sich die Behörden nicht anders zu helfen, als die Tore zu beschlagnahmen.
Auch in St. Gallen war die Jugend voller Tatendrang. Am Freitag sorgten 200 auf dem Klosterplatz für so viel Radau, dass die Polizei den Auflauf beenden musste. Und in Bern riegelten die Behörden am Samstag vorsorglich den Bundesplatz ab, weil sich die notorischen Corona-Demonstranten wieder auf den Weg gemacht hatten.
Bundesrat erwartet Verantwortung
Der Bundesrat schweigt sich zu so viel Unangepasstheit seiner Untertanen vielsagend aus. Das Bundesamt für Gesundheit wiederholt mantraartig seinen Appell «an die Eigenverantwortung der Bevölkerung».
Zurück an die Zürcher Langstrasse. Bars und Restaurants sind jetzt verrammelt, der letzte Bus ist weg. Die aufgemotzten Autos mit Kennzeichen von ausserhalb, sonst ein steter Unruheherd, sind auf dem Rückweg. 24-Stunden-Läden mit ihrem Bier-, Schnaps- und Zigarettenangebot dienen den gestrandeten Trinkern als letzter Hafen.
So ging eine laue Nacht zu Ende. Dann kam im ganzen Land der grosse Regen.
Was haben wir uns empört! Die ganze Schweiz schüttelte den Kopf über die Unverbesserlichen, die schon am ersten Samstag nach dem Lockdown die Basler Ausgangsmeile Steinenvorstadt vollstopften. Junge Partygänger – unreif, egoistisch, rücksichtslos. Corona-Ignoranten!
Doch dann kam der Sonntag und mit ihm die überfüllten Fluss- und Seepromenaden von Zürich bis Genf. Vor allem Familien drängte es ins Freie. Im Verlauf der Woche griffen die reiferen Semester zu den Wanderstöcken. An Auffahrt herrschte am Grossen Mythen Dichtestress. Und am selben Abend versammelten sich über 1000 Leute zu einem illegalen Fussballspiel in Lausanne.
Das Volk strömt aus den Häusern. Landauf, landab, Tag und Nacht. Schutzmasken? Fehlanzeige. Junge Partygänger? Quatsch. Wir alle lassen den Lockdown euphorisch hinter uns – und mit ihm auch das Social Distancing. Als ob es das Virus nie gegeben hätte. Doch das Virus ist noch da. Vor kurzem lagen die Fallzahlen in Südkorea fast bei null. Dann steckte ein Mann in einer einzigen Partynacht über 100 Menschen an.
Vielleicht ist das auch in Steinenvorstadt passiert. Vielleicht aber auch auf dem Grossen Mythen oder am Zürichsee. Dann könnten es fast alle von uns gewesen sein – ausser vielleicht die alten Menschen und solche mit einer schweren Vorerkrankung. Viele von ihnen harren weiter zu Hause aus und hoffen, nicht angesteckt zu werden. Denn für sie ist das Virus tödlich.
Was haben wir uns empört. Was sind wir nur für Scheinheilige.
Was haben wir uns empört! Die ganze Schweiz schüttelte den Kopf über die Unverbesserlichen, die schon am ersten Samstag nach dem Lockdown die Basler Ausgangsmeile Steinenvorstadt vollstopften. Junge Partygänger – unreif, egoistisch, rücksichtslos. Corona-Ignoranten!
Doch dann kam der Sonntag und mit ihm die überfüllten Fluss- und Seepromenaden von Zürich bis Genf. Vor allem Familien drängte es ins Freie. Im Verlauf der Woche griffen die reiferen Semester zu den Wanderstöcken. An Auffahrt herrschte am Grossen Mythen Dichtestress. Und am selben Abend versammelten sich über 1000 Leute zu einem illegalen Fussballspiel in Lausanne.
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