Sie war jung. Sie sah verboten gut aus. Und sie war so nett zu ihm. Da wurde er schwach.
Peter S.* (53), Kaufmann aus einer kleinen Aargauer Gemeinde, ist allein zu Haus an jenem Dienstagabend. Seine Frau besucht eine Freundin, er surft im Internet auf dem sozialen Netzwerk «Lovoo». Da erscheint plötzlich dieses Bild. Jeannette B.* nennt sich die junge Frau, die da posiert, spärlich bekleidet und mit prallen Brüsten.
«Was machst du gerade?», will Jeannette wissen. «Mir gefällt dein Bild!»
«Ich bin allein daheim», tippt Peter S. Sie weiss: «Du fühlst dich bestimmt einsam.»
So ging es zehn Minuten hin und her, wie Peter S. berichtet.
«Ich will dich live sehen», schreibt Jeannette schliesslich. «Lass uns auf Skype weiterreden.»
Das lässt sich Peter S. nicht zweimal sagen. Wenige Sekunden später ist er mit der jungen Frau per Livekamera verbunden, sieht, wie sie sich auf einem Bett räkelt.
«Zeig mir, was du hast!», fordert sie ihn auf. Das tut Peter S. Und das bereut er jetzt bitterlich.
Wenige Minuten, nachdem er sich entblösst hat, wird sein Bildschirm schwarz. Jeanette ist weg. Stattdessen hört Peter S. eine Männerstimme: «Wir haben alles aufgezeichnet. Das Video schicken wir an alle deine Facebook-Freunde und an deine Frau – es sei denn, du zahlst uns 3000 Franken.»
Peter S. zittert. Und zahlt am nächsten Tag. Aus Angst. Und aus Scham. «Es war mir so verdammt peinlich», sagt er heute. Was er damals noch nicht wusste: Er wurde Opfer von Sextortion – einer perfiden Art von Internetbetrug.
Die Täter lauern in sozialen Netzwerken auf ihre Opfer. Per Chat nehmen sie Kontakt auf, animieren zu sexuellen Handlungen vor laufender Webcam. Dann drohen sie, die Bilder an Partner, Kollegen und Arbeitgeber zu schicken. Die Opfer, die sich meist wie Peter S. blauäugig in die Falle locken lassen, sehen sich in ihrer Existenz bedroht – und zahlen so schnell wie möglich.
Die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) registrierte letztes Jahr 306 Meldungen zu Sextortion, Tendenz steigend. Das zeigen auch Zahlen aus den Kantonen. Die Polizei Schaffhausen warnt derzeit Männer vor einer neuen Betrugswelle. 2013 registrierte sie drei Fälle von Sextortion, 2014 vier Fälle und im laufenden Jahr bereits deren sechs. Die Kantonspolizei Bern zählte im letzten Jahr 60 Fälle. Sprecherin Jolanda Egger sagt: «Generell gilt zu beachten, dass eine hohe Dunkelziffer bestehen dürfte, weil längst nicht alle Fälle gemeldet werden.»
Bei der Bekämpfung der Sex-Erpressung hat das Wallis eine Vorreiterrolle. Der Datenschutzbeauftragte Sébastien Fanti (44) hat eine spezielle Hotline für Opfer eingerichtet (siehe Interview auf Seite 4). Sie ist seit Januar in Betrieb. «Bisher konnten wir 60 Personen weiterhelfen.»
Fanti sagt: «Allein im Wallis fordern Sex-Erpresser jeden Monat rund eine Million Franken von ihren Opfern.» Auf die Schweiz hochgerechnet seien dies jedes Jahr Dutzende Millionen für die Erpresser.
Fanti weiss: Viele Opfer können die enormen Forderungen nicht bezahlen. Das hat verheerende Folgen. «Sie verzweifeln, weil sie sich aus Scham niemandem anvertrauen können», sagt der Rechtsanwalt. «Einige der Anrufer waren selbstmordgefährdet.» Ihnen habe er umgehend psychologische Hilfe vermittelt.
Die Erpresser spielen mit Menschenleben – und sahnen dabei ab. Die Ermittlungen führen meist an die Elfenbeinküste. Dort sitzen die Hintermänner der Sex-Mafia. Sie werben Frauen als Lockvögel an und drehen Videos, die beim Betrug abgespielt werden und dem Opfer den Eindruck geben, er spreche live mit einer Frau. Dabei sind die Dialoge oft vorproduziert. Bilder der Frauen sind oft gefälscht, ebenso ihre Identitäten.
Auch Peter S. wurde aufgefordert, die 3000 Franken per Western Union nach Afrika zu zahlen. Er tat es – und hörte nie wieder etwas von den Erpressern. Andere hatten weniger Glück: Oft veröffentlichen die Täter das Video trotzdem und verlangen noch mehr Geld.
Trotz des brutalen Vorgehens wurde bisher kaum ein Täter von den Schweizer Behörden verfolgt oder gar gefasst. «Polizei und die Staatsanwaltschaft haben nicht die Ressourcen, um die Täter in Afrika zu verhaften», sagt der Datenschützer.
Umso wichtiger sei die Prävention. Fanti: «Die Leute müssen das Problem frühzeitig erkennen. Wenn das Geld erst einmal nach Afrika überwiesen ist, bekommt man es nie mehr zurück.»
Davor warnt auch Interpol. Vor einem Monat veröffentlichte die internationale Behörde einen Leitfaden zum Thema Sextortion. «Zahlen Sie das geforderte Geld nicht. Es handelt sich um organisiertes Verbrechen», heisst es darin.
Die Opfer sollen sich nicht schämen. «Sie sind nicht der Einzige, der auf diesen Betrug reinfällt. Aber Sie können helfen, diesen zu stoppen.»
Die Behörde spricht von Hunderttausenden Betroffenen weltweit. «Der Ausbau des Internets, gerade in Entwicklungsländern, wird dazu führen, dass die Zahl der Opfer weiter steigen wird.»