Als Michael S. (38)* im Juli 2008 die Brasilianerin Elena heiratete, hätte er nie gedacht, wie die Beziehung enden würde. «Sie war krankhaft eifersüchtig, kontrollierte mich immer mehr», erzählt der Schreiner aus dem Oberaargau.
Kam er abends von der Arbeit nach Hause, fürchtete er stets Vorwürfe, Beschuldigungen, Streit – und massive Gewalt. «Sie beschimpfte und bedrohte mich. Sie schlug Fensterscheiben ein, warf mein Telefon hinaus.» Und es wurde schlimmer.
«Sie ging auf mich los, kratzte mich, riss mir Haare aus, schlug mit den Fäusten auf mich ein. Einmal ging sie sogar mit dem Messer auf mich los», sagt Michael. «Die Situation zu Hause machte mich kaputt.»
Doch er hielt aus. Vor allem wegen Tochter Emma (3). «Ich konnte nicht zurückschlagen. Das ist meine Frau, meine Familie», sagt Michael. «Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass ich ein Opfer von häuslicher Gewalt bin.»
Kein Einzelfall
Michael ist kein Einzelfall. 2012 waren ein Viertel aller Opfer von häuslicher Gewalt Männer, bei 2248 von insgesamt 8949 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt. Und der Anteil steigt kontinuierlich. Das zeigen die neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS).
«Die Zahl der männlichen Opfer ist eigentlich noch viel höher», sagt Oliver Hunziker (47) vom Verein verantwortungsvoll erziehender Mütter und Väter (VeV). Die Organisation betreibt seit fast vier Jahren das einzige Männer- und Väterhaus der Schweiz. «Die wenigsten Männer trauen sich, ihre Frau anzuzeigen. Es ist ein Tabuthema. Sie schämen sich, weil sie nicht mehr Herr der Lage sind. Und sie werden bei der Polizei als Opfer auch weniger ernst genommen.»
Hunziker: «Es ist ein Skandal, dass man beim Thema häusliche Gewalt den Fokus immer nur auf die Frauen als Opfer legt. Gewalt ist nicht männlich, sondern menschlich.»
Eineinhalb Jahre durchgehalten
Michael S. hielt noch anderthalb Jahre durch. «Ich versuchte, meine Frau zu einer Ehetherapie zu überreden. Ich gab mein ganzes Erspartes für eine Reise nach Brasilien zu ihrer Familie. Ich hoffte, es würde dann besser.»
Vergebens. «Kaum waren wir wieder in der Schweiz, ging der Terror weiter.» Ein Abend war besonders schlimm: «Sie rief mich elf Mal an, ich solle von der Arbeit nach Hause kommen. Als ich dann kam, waren alle Fotos und Bilder zerschlagen. Darüber hatte sie Bierflaschen ausgeleert. Sie hatte alle meine Kreditkarten aus meinem Portemonnaie geholt und mich aus dem Schlafzimmer ausgesperrt.» Dem kräftigen Mann versagt fast die Stimme, als er sich an diesen Tag erinnert: «Sie schrie mich an, schlug mich mit der Faust ins Gesicht!»
Er alarmiert die Polizei. Doch die Notfallpsychiaterin befindet: Die Frau sei instabil, sie bleibe am besten mit der Tochter im Haus. Michael schläft bei Freunden.
«Nicht ernst genommen»
«Männer werden als Opfer oft nicht ernst genommen», sagt Elsbeth Aeschlimann von der Opferberatung Zürich, der einzigen Beratungsstelle für gewaltbetroffene Männer im Kanton.
2012 suchten dort 121 Männer Hilfe wegen häuslicher Gewalt. Die heutige Situation der männlichen Opfer sei vergleichbar mit der von weiblichen vor 30 Jahren.
Michael S. flüchtet im April 2012 mit seiner Tochter ins Männerhaus. «Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich hatte keine Kraft», sagt er. Sieben Wochen bleibt er in der Einrichtung und zeigt seine Frau wegen Tätlichkeit an.
«Von den Behörden bin ich sehr enttäuscht. Als Mann hat man keine Chance. Die Angst, dass einem nicht geglaubt wird, ist berechtigt», stellt er fest. «Ich muss nicht nur die Gewalt aushalten, sondern kämpfe auch um das Sorgerecht für meine Tochter.» Er rät anderen Männern, mit Freunden darüber zu reden und Hilfe zu holen.